Hamfast der Abenteurer
Ein
warnendes Schnauben seines Ponys ließ Hamfast aufmerken. Er war es gewöhnt,
sich auf das kluge Tier zu verlassen, und so rutschte er aus dem Sattel und
führte es nach rechts in die Büsche, obwohl er selbst nichts Verdächtiges
wahrgenommen hatte. Der schmale Pfad, dem er seit einigen Tagen folgte, machte
dort vorne eine Biegung, die er wegen der herumliegenden Felsbrocken nicht
überblicken konnte.
Hamfast
hatte ohne nennenswerte Ereignisse das Nebelgebirge überquert. Doch als er ins
Tal gekommen war, war der Bruinen vom Schmelzwasser über die Ufer getreten, und
dort, wo der Paß aus den Bergen herabführte, konnte von einer Überquerung des
Flusses keine Rede sein. Also mußte Hamfast zwischen ihm und dem Gebirge
entlangreiten, bis er eine Furt finden würde, und war deshalb gezwungen, weit
nach Süden aus- und von seinem ursprünglichen Weg abzuweichen.
Zunächst
hatte er kaum einen Raum finden können, auf dem sein Pony sich trockenen Hufes
hatte vorwärtsbewegen können, so dicht drang die Überschwemmung bis an den Fuß
des Nebelgebirges. Doch gegen Mitte des ersten Tages war das Wasser langsam
zurückgetreten und hatte einem schmalen Felsenpfad Platz gemacht, der nach und
nach auf der dem Fluß zugekehrten Seite mit Büschen bestanden war, die wie
kleine Inseln aus dem Wasser herausragten. Zur Linken stieg das Gebirge schroff
in die Höhe und verhinderte jeglichen Pflanzenwuchs.
Am
nächsten Tag wurde der Pfad erst breiter, dafür nahm das Geröll so sehr zu, daß
Hamfast absteigen und seinen Bôr führen mußte. Aus dem Geröll wurden gröbere
Steine, dann Klötze, und schließlich Felsblöcke so groß, daß sie den wackeren
Hobbit um Kopfhöhe überragten. Die Lautwasser floß sehr viel weiter unten, doch
Hamfast steckte nun zu weit oben im Gebirge, um ihre Ufer zu erreichen. Es
führte kein Weg hinab. Hamfast hätte nicht einmal die steile, zerklüftete
Felswand hinabklettern können, auch wenn er keine Rücksicht auf sein Pony hätte
nehmen müssen.
Hinter
ein paar solchen Felsblöcken, zwischen immergrünen Nadelbüschen, steckten die
beiden Reisegefährten nun. Bôr atmete durch die weit geöffneten Nüstern. Und
richtig! Jetzt konnte Hamfast es gleichfalls riechen! Beruhigend streichelte er
dem treuen Freund den Hals und führte ihn noch ein wenig tiefer zwischen die
Büsche, die hier glücklicherweise sehr reichlich und dicht wuchsen.
Dann
machte der Hobbit sich lautlos an seinen Satteltaschen zu schaffen. Während
seines Fußmarschs durch die Geröllwüste hatte Hamfast nämlich einen
ordentlichen Vorrat an handlichen Steinen gesammelt. Davon steckte er sich
jetzt einige in die Hosentaschen und knüpfte seine Schleuder vom Gürtel. Er wog
einen der Steine in der Hand und legte ihn auf das Lederband. Noch hielt er die
Waffe nur bereit, denn bisher konnte er das Ziel weder sehen, noch wußte er, ob
diese Vorsichtsmaßnahme überhaupt nötig war, oder mit wie vielen Gegnern er es
zu tun bekommen würde.
Der
Gestank kam näher. Hamfast kannte ihn gut. Er umhüllte diese widerlichen
Kreaturen wie die Ausdünstungen einen Sumpf. Und genau wie ein Sumpf wurden sie
von hunderten von Mücken umschwirrt, die sich von diesem fauligen Geruch
angezogen fühlten.
Jetzt
kamen die Urheber dieser Pestilenz ganz nah an ihrem Versteck vorbei. Der junge
Hobbit hätte sich gerne die Nase zugehalten. Für sein empfindliches Riechorgan
war dies fast mehr, als er ertragen konnte. Er glaubte zu spüren, daß er im
Gesicht ganz grün wurde vor Übelkeit, konnte sich aber natürlich nicht von der
Richtigkeit seiner Annahme überzeugen.
Zwei
Kobolde waren es. Ihre Haut sah so elend aus, wie Hamfast sich fühlte, und ihre
Kleidung war kaum als solche zu erkennen. Sie war ebenso schmutzig wie die
haarige Haut darunter und dabei so zerfilzt und zerrissen, daß man oft nicht
sagen konnte, wo diese aufhörte und jene anfing. Die beiden unterhielten sich
in ihrer kehligen Sprache, die Hamfast nicht kannte. Aber unmißverständlich
waren die großspurigen Gesten, mit denen sie ihre Worte untermalten.
Der
eine führte jetzt nämlich mit dem Ausdruck hämischster Befriedung den ausgestreckten
Zeigefinger unter seinem Kinn entlang, während der andere enthusiastisch dazu
nickte und sich beide Hände würgend an den Hals hielt. Dann waren sie vorrüber,
und Hamfast ließ mit einem innigen Seufzer die Schleuder sinken.
„Das
war knapp! Wer konnte auch ahnen, daß sie hier durch die Büsche kriechen,
anstatt sich auf dem offenen Felsenpfad zu halten! Ah, richtig! Ich vergaß, daß
sie die Sonne nicht mögen! Deshalb sind sie hier durch das Halbdunkel
geschlichen! Nur gut, daß wir noch ein wenig weiter zurückgewichen sind, sonst
wären sie glatt über uns gestolpert!“ Hamfast hatte die Angewohnheit mit seinem
Pony zu reden. Das ist nichts Ungewöhnliches für jemanden, der sich lange Zeit
auf Reisen befindet und dabei sonst keinen Gesprächspartner hat.
Das
zierliche Pferdchen schien seinen Herrn genau zu verstehen. Aus seinen klugen
Augen blickte es ihn an und wieherte leise und zustimmend.
„Die
waren doch eindeutig auf eine Schurkerei aus!“ sinnierte Hamfast weiter. „Wir müssen
jetzt sehr auf der Hut sein. Diese Kerle treten immer nur in Horden auf. Nur zu
zweien sind sie zu feige für einen Mordanschlag.“ Und als Bôr wie fragend
schnaubte, fügte er erklärend hinzu: „Ja, ein Mordanschlag! Hast du ihre Gesten
nicht gesehen? Irgendwen wollen sie töten, umbringen, abmurksen! Jawohl!“ Er
hielt inne und zog den großen Hut vom Kopf, um sich ausgiebig hinter den Ohren
kratzen zu können. „Jetzt klinge ich schon fast wie Berelia“, lächelte er
verschämt.
Bôr
stupste ihn aufmunternd mit der Nase an als wollte er sagen: >Ist schon in
Ordnung! Mir haben die beiden auch nicht gefallen.<
Dann
stülpte Hamfast seinen Hut mit entschlossener Miene zurück auf seinen Kopf.
„Möchte zu gern wissen, wem dieser Anschlag gilt. Na, wir werden Augen und
Ohren offenhalten, meinst du nicht auch? Ich wünschte nur, wir kämen endlich
von diesem Felsen herunter.“ So und ähnlich plauderte er, während die beiden
sich wieder auf den Weg machten.
Dabei
hielt Hamfast es für geraten, nicht wieder aufzusitzen, sondern sein Pony zu
führen. Er dachte sich nämlich, daß er dann nicht so hoch und darum nicht so
weit sichtbar sei. Solange er nebenherging, waren auch die niedrigeren
Felsblöcke vollkommen ausreichend, sie beide zu verbergen. Außerdem bewegten
sie sich jetzt, wo immer das möglich war, am Rand des Pfades, nutzten die
Büsche als Deckung und hielten erst sorgfältig Ausschau, bevor sie eine
unübersichtliche Strecke überquerten. Lange offene Wege vermieden sie ganz, und
so kamen sie fortan nur sehr langsam voran.
Kobolde,
oder auch Orks, mögen zwar das Sonnenlicht nicht. Doch darauf durfte Hamfast
sich nicht verlassen. Wenn es zu ihrem Vorteil ist, dann können sie es,
zumindest für eine begrenzte Zeit, durchaus ertragen. Im übrigen gab es hier
genügend Gesträuch, um auch dem wehleidigsten Ork gelegentlich angenehmen
Schatten zu spenden. Und am Nachmittag zogen dicke Wolken auf. Nur noch kurze
Zeit, dann würde die Dämmerung anbrechen, und Hamfast mußte damit rechnen, daß
es hier von Kobolden wimmeln würde, denn wie gesagt, wo zwei sind, da sind
immer auch mehr zu finden, vor allem, wenn sie eine Schurkerei planen.
Dem
armen Hobbit war so recht unwohl zumute. Er legte seine Schleuder nun gar nicht
wieder aus der Hand und klammerte sich mit der anderen an einen runden, glatten
Kieselstein.
So
ging es immer weiter voran, während Hamfast sorgfältig den Abhang zu seiner
Rechten auf eine Abstiegsmöglichkeit ins Tal prüfte. Unterhalb der immergrünen
Büsche waren bald vereinzelte Tannen zu erkennen, und kurz bevor es zu dunkel
wurde, um überhaupt noch etwas zu sehen, bemerkte Hamfast, daß sich dort unten
ein stattlicher Wald ausdehnte *.
Eigentlich
hätte er längst anhalten sollen, um ein geeignetes Versteck für die Nacht zu
suchen, doch er war, bei aller gebotenen Vorsicht, so sehr in Gedanken
versunken, daß ihm sein Versäumnis erst auffiel, als er die Hand vor Augen
nicht mehr sehen konnte. Da blieb er stehen und blickte sich ratlos um. Bôr
schnaubte leise. Erneut. Das Pony hatte bereits mehrfach versucht, seinen Herrn
zu ermahnen, doch dieser hatte nicht auf seine warnenden Hinweise geachtet.
„Da
stehen wir nun, mitten im Dunkel, und wissen nicht, wohin wir uns wenden
sollen!“ schalt Hamfast sich selbst. „Hätte ich doch meine Gedanken besser
beieinander gehalten, dann säßen wir jetzt nicht in dieser Klemme! Doch es
hilft nichts. Es ist nun geschehen und nicht mehr zu ändern.“
Eine
Weile lauschte er in die Dunkelheit und sog die Luft prüfend ein. Es roch nach
Felsen und feuchtem Laub. Nach Regen und nach frisch geschlagenem Holz. Doch
ein Feuer konnte er nicht riechen. Auch keine Orks. Das beruhigte ihn zunächst
erst einmal. Es stand also keine unmittelbare Gefahr bevor.
„Vom
Weg sollten wir herunter“, murmelte Hamfast. „In der Nacht, wird er am ehesten
von den Kobolden genutzt. Dort hinein in die Büsche werden wir kriechen.“
Obwohl weder er die genannten Büsche, noch sein Pony seine Geste sehen konnte,
deutete er mit dem Arm die Richtung an. Bôr schnaubte zweifelnd. Das gefiel ihm
gar nicht, doch Hamfast tastete sich bereits voran und zog ihn am Zügel hinter
sich her.
Es
dauerte eine ziemliche Zeit, bis die beiden es sich an einem Fleckchen
gemütlich gemacht hatten. Hamfast schob soviel Laub er finden konnte zu einem
weichen Lager zusammen, und nachdem er seinem Pony ein paar Möhren aus dem
großen Reiserucksack gereicht hatte, zog er das letzte Stück des leckeren
Kuchens hervor, den seine Freunde ihm gebacken hatten. Auf ein Lagerfeuer und
sein Pfeifchen verzichtete er aus naheliegenden Gründen.
Es
war bereits nach Mitternacht, als der Regen einsetzte. Hamfast zog die Krempe
seines großen Hutes zur Brust und wickelte sich fest in seine wärmende Decke.
Sein Kopf ruhte auf dem einfachen, schmucklosen Sattel, und mit dem Körper
hatte er sich eng an sein Pony geschmiegt. Bis jetzt hatte er trotz seiner
Müdigkeit kein Auge zugetan. Die Begegnung am Nachmittag ging ihm nicht aus dem
Sinn. Was planten diese mordlustigen Gesellen? Wen wollten sie überfallen? Und
woher kamen die, auf die sie es abgesehen hatten? Aus der Richtung aus welcher
Hamfast gekommen war oder aus der entgegengesetzten? Und war es vielleicht
möglich, die Betroffenen zu warnen?
Unruhig
warf er sich auf die Seite. Wo befand er selbst sich eigentlich? Am Westhang
des Nebelgebirges, soweit war klar. Aber wie weit hatte ihn dieser nach Süden
geführt? Drei Tage war er bereits dem einsamen Pfad gefolgt, hatte sich dabei
nicht sonderlich beeilt und fast stündlich eine, wenn auch kurze, Pause
eingelegt. Hamfast rechnete, bis er zu müde dazu war und er sämtliche Zahlen
durcheinander warf. Als er am Morgen erwachte war er sicher, daß er nicht mehr
als 50 Meilen von seinem ursprünglichen Weg abgewichen sein konnte.
Die
dicken Regenwolken hatten sich aufgelöst und ergossen sich wie ein dunkler Schleier
übers Firmament. Dahinter regten sich die ersten schwachen Sonnenstrahlen. Hier
unten auf der Erde war es noch nahezu finster. Noch ganz undeutlich hoben sich
die ersten Umrisse der Büsche und Felsen gegen den helleren Himmel ab.
Hamfast
lag langezeit still auf seinem Platz. Unschlüssig, was er beginnen sollte.
Solange es noch nicht völlig hell war, war es ohnehin nicht geraten,
weiterzuziehen. Doch wohin sollte er sich dann wenden? Weiter diesen Felsenweg
entlang, der ihn immer weiter von seinem Ziel fortbrachte und gar nirgendwo hin
zu führen schien?
Als
es wirklich heller wurde, fütterte Hamfast sein Pony und bereitete sich selbst
ebenfalls ein kaltes Frühstück. Da sah die Welt gleich wieder viel freundlicher
aus, und alle trüben Gedanken waren verschwunden. Mit der unerschütterlichen
Zuversicht des echten Hobbits machte er sich erneut auf den Weg. Natürlich
weiter den felsigen Pfad entlang, denn schließlich blieb ihm auch gar nicht
anderes übrig.
Jetzt
bei Tageslicht sah man deutlich den sich am Fuße des Gebirges ausbreitenden
Tannenwald. Die Spitzen der schlanken Bäume ragten bis in die Höhe des
Felsenpfades hinauf, der hier nur allmählich nach unten abfiel, so daß ein
breiter Raum zwischen ihm und dem Wald blieb. Dieser Seitenstreifen war nun
nicht mehr mit Büschen bestanden, sondern völlig kahl. Auch die großen
Felsblöcke waren verschwunden, und so waren die beiden Reisenden gezwungen,
diesem freien Weg ohne jegliche Deckung zu folgen. Hin und wieder ließ Hamfast
sein Pony zurück, um den Abhang einer genaueren Prüfung zu unterziehen. Er
wurde hier immer flacher und schließlich, gegen Nachmittag erreichten sie eine
Stelle, an der sie den Abstieg wagen konnten.
Sie
waren bereits bei den Büschen angelangt, die den untersten Rand des Hanges säumten,
und hinter denen der Wald sich anschloß, da hörte Hamfast plötzlich vor sich
Stimmen. Dem Lärm nach zu urteilen, den sie machten, konnte es sich nur um Orks
oder ähnlich verlumptes Gesindel handeln. Und es waren viele, mindestens zehn
Mann, die sich gegenseitig anschrieen, als wollten sie über einander herfallen,
oder wären es gar schon.
Schnell
zog Hamfast sein Pony ganz zwischen die Büsche herein und gebot ihm, sich
hinzulegen, weil es nur auf diese Weise ganz verborgen war. Es war nahezu
windstill. Deshalb hatte Bôr die Fremden nicht gewittert und sie nicht eher
wahrgenommen. Sehen konnten sie niemanden. Die Streitenden steckten irgendwo
weiter drinnen im Wald.
Hamfast
hielt Bôr die flache Hand sanft an die Nüstern, und das kluge Tier wußte, daß
es sich jetzt ganz ruhig verhalten mußte. Dann legte der kleine Mann seinen
Rucksack ab und alles, was ihn sonst behindern würde. Nur ein paar Steine und
seine Schleuder behielt er bei sich, um für alle Fälle gerüstet zu sein. Dann
pirschte er sich vorsichtig voran.
Die
Stimmen wiesen ihm den Weg, und die Büsche gewährten ihm Schutz. So schlich er
immer weiter, bis er an eine kleine Lichtung gelangte, die ihren Ursprung dem
Fällen einiger riesiger Tannen verdankte. Die geschlagenen Bäume lagen noch wie
sie gestürzt waren. Am Waldsaum stand eine Gruppe jener kleinen widerlichen
Orks, die das Nebelgebirge bewohnten. Offenbar hatten sie sich soeben erst
eingefunden, um nach Untergang der Sonne, beim letzten Tageslicht, das Holz
weiter zu bearbeiten. Sie hatten Äxte dabei und eine Art Bahre aus Fellen mit
langen Stäben an den beiden langen Seiten, die wohl dazu dienen sollte, das
Brennholz abzutransportieren.
Aber
sie beschäftigten sich nicht mit ihrer Aufgabe, und schwangen die Äxte nicht
gegen das Holz, für das sie doch gedacht waren. Sie brüllten sich aus
Leibeskräften an und drohten einander mit den erhobenen Werkzeugen.
Hamfast
verstand keines ihrer Worte. Schloß man aus ihren Gesten, so schien es, als
könnten sie sich über irgend etwas nicht einig werden. Doch sollte sich diese
hitzige Debatte etwa auf die an der Erde liegenden Bäume beziehen? Konnten sie
vielleicht über die Aufteilung der Arbeit nicht überein kommen? Einerseits lag
diese Vermutung nahe, andererseits wollte Hamfast nicht einmal einem Ork
unterstellen, eine solch schäbige Freude an Zank und Streit zu finden.
Die
Diskussion wurde noch lauter, und Hamfast rechnete jetzt jeden Augenblick mit
tätlichen Übergriffen. Da teilte sich ein Gebüsch zu seiner Linken - Hamfast
duckte sich schnell tiefer ins Unterholz -
und eine neue Gruppe Orks trat hervor. Voran ein etwas größerer und
stämmigerer, der eine Art Anführer zu sein schien, denn bei seinem Auftauchen
ließen die Streithähne murrend voneinander ab und warfen ihm teils ängstliche,
teils haßerfüllte Blicke zu.
Der
Große überblickte die Lage kurz, sah, daß die Arbeit noch nicht begonnen war
und bemerkte die erhobenen Äxte, die erst langsam nach und nach gesenkt wurden,
und ließ nun ein gewaltiges Donnerwetter auf die Leute herabprasseln.
Als
einer von ihnen es wagte, dem Anführer zu widersprechen, riß dieser ihm die Axt
aus der Hand und schlug ihm die blanke Klinge mit einer solchen Wucht auf den
Schädel, daß er zur Hälfte gespalten wurde. Der Ork sank ohne einen Laut zu
Boden. Fauchend und mit herausforderndem Blick sah der Anführer sich um. Alle
wichen sie vor ihm zurück, nur diejenigen, die mit ihm gekommen waren, bauten
sich hinter ihm auf und signalisierten so ihre Zustimmung und die Bereitschaft,
sich für ihn zu schlagen. Im Gegensatz zu der Holzfällergruppe, trugen diese
Neuankömmlinge schwere, schartige Schwerter an der Seite. Sie hielten es jedoch
nicht für nötig, diese Waffen zu ergreifen, sondern begnügten sich, vorerst,
mit drohenden Gebärden und knurrenden Lauten.
Hamfast
zitterte am ganzen Körper und drückte sich unwillkürlich noch tiefer in sein
Versteck. Er wünschte sich zurück zu seinem Pony und am liebsten ganz weit fort
von diesem blutgierigen Haufen. Doch nicht alle Wünsche werden erfüllt und
manchmal tritt gerade das Gegenteil von dem ein, was wir uns ersehnen.
Aus
der entgegengesetzten Richtung traf ein dritter Trupp Orks ein. Sie waren
ebenfalls mit Schwertern bewaffnet und genauso schlecht gelaunt wie die bereits
Anwesenden. Auch diese Abteilung führte ein etwas kräftigerer Kobold an, und
wie sein Nebenbuhler hielt er sich für etwas Besseres, und es für nötig, dies
sogleich allen Anwesenden zu beweisen. Mit einem schleifenden Geräusch zog er
sein Schwert und stürzte sich mit lautem Brüllen auf den anderen, ohne auch nur
einen Augenblick darauf zu verwenden, mit Worten zu überzeugen.
Der
Angriff war kurz und blutig. Der Überrumpelte hatte kaum Zeit gefunden, nach
seinem Schwert zu greifen, da knickte er bereits sterbend in die Knie. Jetzt
war keiner mehr zu halten. Mit ohrenbetäubendem Geschrei zogen alle ihre
Schwerter, und einer fiel über den anderen her, ganz gleich ob er zur eigenen
oder gegnerischen Mannschaft gehörte.
Aber
nicht alle Kobolde waren so mutig oder mordgierig. Die Orks des
Holzfällertrupps nahmen Reißaus, und gleich zwei von ihnen rannten quiekend
genau auf Hamfasts Versteck zu. Noch zwei Sprünge und sie würden geradewegs
über ihn stolpern. Da faßte der kleine Mann sich ein Herz und machte einen Satz
aus dem Busch heraus zur Seite. Für einen kurzen Augenblick stand er frei und
völlig ungedeckt. Die beiden Kobolde aber stürmten in ihrer Panik an ihm
vorbei, ohne ihn zu bemerken.
Da
wurde Hamfast plötzlich, bevor er wieder hinter einem Gesträuch Zuflucht suchen
konnte, von hinten gepackt. Jemand preßte ihm die Arme gewaltsam an den Leib,
und eine starke Hand legte sich hart auf seinen Mund, so daß sein Schreckensruf
im Hals erstickte. Der ihn überwältigt hatte, zog ihn dabei unbarmherzig an
sich, so sehr Hamfast sich auch dagegen sträubte. Dann hob ihn der Andere
einfach auf wie ein Bündel und trug ihn mit sich davon, fort aus dem Bereich
der Lichtung und den sich schlagenden Orks.
~*~
*Da
ich keine Karte des Zweiten Zeitalters von diesen Gebieten gefunden habe,
stütze ich mich hier auf eine Aussage Elronds in Bruchtal (HdR I „Elronds
Rat“), und lege diese Stelle etwas großzügig dahingehend aus, daß ich auch in
anderen Gegenden westlich des Nebelgebirges zu jener Zeit mehr Waldgebiete
vermute:
„Die
Zeit ist vorüber, da ein Eichhörnchen von Baum zu Baum springen konnte von dem
Land, das heute das Auenland ist, nach Dunland westlich von Isengart.“