Hamfast der Abenteurer
Es war feucht
in dem Loch, stockdunkel, und es stank fürchterlich. Hamfast widerstand dem
Drang, sich die Nase zuzuhalten, würgte die Magensäure hinunter, die sogleich
erneut seine Speiseröhre hinaufkroch, und tastete sich vorsichtig weiter voran.
Von draußen drangen Kampfgeräusche an sein Ohr, sie wurden leiser, je weiter er
sich in diese vermaledeite Höhle hinein wagte, und klangen seltsam dumpf, als
befände nicht er sich hier, sondern als würde der Kampf in einer felsigen
Grotte stattfinden.
Das
Taschentuch, das der kleine Mann sich um Mund und Nase gebunden hatte, konnte
den widerlichen Geruch von Exkrementen und Schlimmerem nicht lindern. Dennoch
gab es ihm das Gefühl, diesem Unrat nicht völlig hilflos ausgeliefert zu sein.
Leise
schimpfte Hamfast vor sich hin und schalt sich einen Dummkopf, weil er
sogleich, als ihm der üble Gestank aufgefallen war, eifrig und in der Annahme
hier die Behausung der Kreatur und damit die gesuchten Schätze vorzufinden,
ohne weiter darüber nachzudenken, in diese Richtung losmarschiert war.
Die
Höhle, oder besser gesagt der Tunnel, der möglicherweise in einer solchen enden
würde, war nicht viel höher als er selbst. Wenn er die Hand nur ein wenig nach oben
ausstreckte, konnte er die Decke leicht erreichen. Doch nachdem er dort in
etwas feucht-schmieriges gegriffen hatte, woraufhin ihn ein dünner Strahl einer
beißenden und natürlich ebenfalls grauenvoll stinkenden Flüssigkeit nur um
Haaresbreite verfehlt hatte, mangelte es ihm an der Begeisterung, dies erneut
auszuprobieren.
„Deiner
Nase wolltest du also vertrauen!“ schalt er soeben seine Einfältigkeit. „Was
hattest du erwartet? Daß du dem angenehmen Geruch einer Gemüsesuppe folgen
könntest oder dem eines leckeren Bratens?!“
Nein,
fügte er in Gedanken hinzu und rümpfte sein gepeinigtes Riechorgan, dem sein
Mund sich voll mitfühlender Sympathie in der Bewegung anschloß. Er wußte nicht,
was er erwartet hatte. Nichts Wohlriechendes. Natürlich nicht. Aber jedenfalls
keinen so derben Gestank, daß einem das Atmen selbst schwerfiel. Wie konnte
eine Kreatur, und wenn sie auch ein Dämon war, hier leben?
Etwas
Weiches zerplatzte mit einem schmatzenden Geräusch unter seinem nackten Fuß.
Hamfast zog ihn angewidert in die Höhe und schüttelte ihn aus, als müßte das,
was auch immer es gewesen war, noch zu Teilen an der Sohle kleben. Es war ein
hoffnungsloses Unterfangen. Kaum setzte er den Fuß an anderer Stelle ab, trat
er auf das gleiche schwammige Gebilde. Murrend unterdrückte er den Reflex,
erneut den Fuß zurückzuziehen und trat statt dessen, vorsichtig das Gewicht
darauf verlagernd, fester auf. Der Untergrund hielt und mit zusammengebissenen
Zähnen stapfte er weiter voran, von schmatzenden, platzenden Geräuschen begleitet,
die Arme balancierend ausgestreckt und mit einem Gesicht so grimmig, daß er,
wäre ausreichend Beleuchtung vorhanden gewesen um es zu erkennen, damit sicher
jeden Gegner in die Flucht geschlagen hätte.
Nach und
nach bekam er seinen Ekel soweit in den Griff, daß er sich wieder besser auf
seine Umgebung konzentrieren konnte. Der fürchterliche Gestank kehrte mit
doppelter Gewalt zurück in den wahrnehmenden Teil seines Bewußtseins, und er
merkte, daß er viel zu lange die Luft angehalten hatte. Er blieb stehen, um mit
einigen flachen Atemzügen seine Lungen mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen.
Ihn schwindelte, doch nach einigen Augenblicken klärten sich seine Sinne und
seit einer ganzen Weile lauschte er zum ersten Mal auf die Geräusche des
Kampfes in seinem Rücken. Sie erklangen inzwischen so weit entfernt, daß selbst
seine ausgezeichneten Hobbitohren sie kaum noch erfassen konnten.
Gerade
wollte er weitergehen, da streifte ihn ein leichter Lufthauch. Hatte er sich
das eingebildet? Es war nur einen Wimpernschlag lang an ihm vorbeigezogen und
so sanft, daß er es mit einem Kopfschütteln als Täuschung abtat.
Seine
Füße waren durch den langen Stillstand fast bis zu den Knöcheln in dem breiigen
Etwas eingesunken und lösten sich mit einem laut vernehmlichen „Blob“. Hamfast
seufzte, schüttelte sich und vermied es diesmal, die Zähne zusammenzubeißen
oder die Luft anzuhalten.
Langsam
wurde der Boden wieder fester. Erfreut darüber schritt Hamfast trotz der
Dunkelheit schneller aus und wirbelte dabei eine dicke Staubschicht auf, die
ihm durch das Taschentuch in Mund und Nase drang. Hustend und würgend war er
gezwungen, stehen zu bleiben. Der Staub war scharf und ätzend. Mit flinken
Fingern löste er den Verschluß seiner Wasserflasche, die ihm an einem Riemen quer
über die Schulter hing, spülte den Mund aus und spuckte und hustete wobei ihm
die Tränen über die Backen liefen. Sein Hals brannte fürchterlich.
Er hatte
sich noch nicht wieder erholt, da spürte er deutlich etwas an seiner Nase
vorüberwehen, weil er, um sich besser freihusten zu können, das Taschentuch
abgebunden hatte. Außerdem hatte er dieses zum Schnäuzen benutzt.
In einem
Reflex schlug er mit der Hand nach dem, was ihn da gestreift hatte, und fühlte
etwas seltsam Zartes und Zerbrechliches zwischen seinen Fingen, das ihm
sogleich wieder entglitt - begleitet von einem schrillen Kreischen.
„Fledermäuse!“
schoß es Hamfast durch den Kopf, und bevor er noch „I-gitt!“ denken konnte,
schwirrte und flatterte es überall um ihn herum in einem dichten Schwarm, der
den gesamten Gang einzunehmen schien und ihn die Tiefe der Dunkelheit in einem
noch undurchdringlicheren Schwarz empfinden ließ.
Wahrscheinlich
wäre es am Vernünftigsten gewesen, wäre er einfach still an seinem Platz stehen
geblieben, bis die Tiere sich wieder beruhigt hatten. Vermutlich wären sie
einfach um ihn herum geflogen und hätten ihn wie jedes andere Hindernis
gemieden. Zumindest hätte ihr hervorragender Orientierungssinn sie dazu
befähigt - und Hamfast konnte sich nicht daran erinnern davon gehört zu haben,
daß Fledermäuse seinesgleichen jemals gefährlich geworden wären. Es schienen
außerdem keine besonders ausgeprägt großen Exemplare zu sein.
Er wußte
selbst nicht recht warum, aber er konnte es nicht über sich bringen, sich nicht
zu bewegen. Im Gegenteil brachte er sich selbst mit einer unbedachten Bewegung
mitten in die herumschwirrenden Tiere, die sogleich in ein panikartiges
Durcheinander gerieten. Sie flogen gegen ihn, verhedderten sich in seinen
Haaren, krallten sich in seinem Gesicht fest, bissen ihm in die Hände...
Je mehr
der kleine Mann sich zu schützen suchte, desto schlimmer wurde es. Er versuchte
ihnen auszuweichen, doch da sie rund um ihn herum flogen, war dies nicht
möglich. So hielt er die Arme schützend vor sein Gesicht und wurde von den
Fledermäusen in eine Richtung abgedrängt, dann in eine andere geschoben, und
der Horror schien gar kein Ende nehmen zu wollen.
Da trat
Hamfast plötzlich mit einem Fuß ins Leere, verlor den Halt und konnte gerade noch
seinen Hut mit beiden Händen an der Krempe fassen und über die Ohren ziehen,
bevor er mit lautem Holterdipolter einen steilen und noch dazu sehr schmalen
Gang hinunterkollerte.
Auf einem
ziemlich harten und kantigen Trümmerhaufen fand der schmerzhafte Sturz ein
plötzliches Ende. Hamfast fühlte sich, als wäre ihm jeder Knochen am Leib
gebrochen, seine Muskeln brannten von dem unsanften, wiederholten Aufprallen
von einer Seite des felsigen Ganges an die gegenüberliegende, seine Kleidung
war an vielen Stellen zerfetzt und die Haut darunter abgeschürft. Stöhnend
versuchte er sich aufzurichten und griff mit den Händen in etwas Scharfes. Mit
zusammengebissenen Zähnen unterdrückte er halbherzig einen Schmerzenslaut.
Mit einem
letzten Funken von sarkastischem Humor stellte er fest, daß es hier unten
wenigstens nicht ganz so erbärmlich stank. Doch dann erlaubte er sich, erst
einmal seine mißliche Lage zu bedauern, in die er sich selbst gebracht hatte,
setzte sich vorsichtig auf sein ebenfalls wundes Hinterteil, dies, ohne seine
Hände zum Abstützen zu benutzen, und war im nächsten Augenblick froh, daß es
ihm gelang, ohne sich noch weiter zu verletzen.
Als
erneut das Selbstmitleid in ihm hochkommen wollte, konnte er plötzlich nicht
anders, als herzhaft über seine eigene Dummheit zu lachen. Dann wiederum
erinnerte er sich daran, wo er sich befand, und er besser daran täte, sich
still zu verhalten. Und kaum hatte dieser Gedanke in seinem Kopf Gestalt
angenommen, als er erkannte, daß dies nach all dem Lärm, den er bereits
veranstaltet hatte, ohnehin sinnlos war.
Hamfast
atmete tief durch. Es half alles nichts, er mußte jetzt zuerst einmal
versuchen, seine Fassung wieder zu gewinnen. Er suchte aus seinem Rucksack, den
er glücklicherweise bei der Rutschpartie nicht verloren hatte, seine
Zunderbüche hervor und fand auch ein paar Holzspäne, die er entzünden konnte.
Sie würden nicht lange brennen, aber ihm hoffentlich so lange Licht spenden,
daß er sich wenigstens etwas würde orientieren können.
Mit
leisem Knacken glühten die Funken auf, fraßen sich in die Späne, und zaghaft
leckte eine kleine Flamme daran hoch.
Hamfast
glaubte nicht, was er in dem winzigen Lichtschein sah.
Er saß
auf einem Haufen aus losem Geröll, am Rand eines breiten Gürtels aus
messerscharfen Steinen, die wie ein Schutzwall aufgetürmt waren, und dahinter,
auf einer thronartigen Erhebung, blitzte und funktelte es wie von tausend
Sternen. Golden und silbern und von bunten Edelsteinen.
„Sie sind
wunderschön, nicht wahr?“ erklang plötzlich eine sonore Stimme hinter ihm.
Hamfast
fuhr herum, aber bevor er etwas erkennen konnte, brannte der Span an seinen
Fingerkuppen aus. Mit einem zischenden Schmerzenslaut ließ er die verglühenden
Reste fallen und wischte sich die Hand an der Hose ab.
„Dachtet
Ihr wirklich, bei dem ganzen Lärm, den Ihr veranstaltet habt, bleibt Ihr
unbemerkt?“ Sein Gegenüber klang amüsiert.
Hamfast
schwieg. Er wußte nicht recht, wie er reagieren sollte. Ein Teil von ihm
verlangte nach Flucht. Aber wohin? Er konnte nicht einmal die Hand vor Augen
sehen. Der andere Teil versuchte, ihn zu beruhigen. Der Mann hatte ihn
schließlich beinahe freundlich angesprochen.
„Wußtet
Ihr“, fuhr dieser soeben fort, „daß Spinnen nicht nur Netze weben, sondern
einige von ihnen auch ganz hervorragende Tunnelbauer sind?“
Hamfast
schüttelte unwillkürlich den Kopf, nicht beachtend, daß der andere ihn
ebensowenig sehen konnte, wie er ihn.
Dieser
fuhr unbeirrt fort: „Man muß ihnen nur einen Ansporn dafür bieten, dann bauen sie
ihre Tunnel selbst durch das härteste Gestein.“ Er kicherte, als wäre ihm ein
ganz außergewöhnliches Meisterstück geglückt.
„Der
Tunnel zur Schatzkammer!“ entfuhr es Hamfast, und sein Gegenüber lachte kurz
und bestätigend auf.
„Wie habt
Ihr sie dazu gebracht?“ verlangte es den Hobbit zu wissen. Seine Neugierde
hatte die Furcht überwunden, und seine Frage erklang so kindlich unschuldig,
daß es seinen Gesprächspartner noch weiter erheiterte.
Doch dann
wurde dieser plötzlich ernst.
„Genug
geplaudert! Zeit zu gehen!“
Ein
schwaches Licht leuchtete auf, eine Windlaterne oder etwas ähnliches. Doch noch
bevor Hamfast etwas Genaueres erkennen konnte, hatte der Fremde ihn an einem
Arm gepackt, herumgedreht und mit einem groben Strick die Handgelenke unsanft auf
dem Rücken zusammengebunden. Zwar protestierte der Hobbit im nächsten Moment
lautstark gegen diese Behandlung, doch da war es bereits zu spät.
Der Mann
stieß Hamfast vor sich her, nicht den Weg zurück, den der Hobbit
heruntergepurzelt war, sondern einen flachen Gang entlang und dann eine Art
Treppe aus ungleichmäßig bearbeiteten oder zusammengetragenen Stufen hinauf. Es
ging bald rechts, bald links herum und nachdem der kleine Mann jegliche
Orientierung verloren hatte, sah er einen leichten Lichtschimmer vor sich. Eine
Öffnung, die hinaus in den Wald führte, dorthin, wo der Kampf noch immer tobte,
und das Licht, das er erblickt hatte, kam von dem Sternenglas. Hinter ihm blies
der Mann die Laterne aus.
„Ein Laut
von Euch, und Ihr seid ein toter Mann!“ drohte sein Wächter. Hamfast spürte die
scharfe Klinge eines Messers an seiner Kehle. „Dort entlang!“ Er schubste ihn
nach rechts, vom Kampfplatz weg.
„Ich
dachte, die Spinnen sind Eure Verbündeten“, gurgelte Hamfast. Das Messer zuckte
augenblicklich ein Stück höher und wurde mit Nachdruck in die Kinnbeuge
gedrückt, so daß er den Kopf ein wenig in den Nacken schieben mußte, um nicht
geritzt zu werden.
„Ruhe,
sagte ich!“
Hamfast
schwieg. Was blieb ihm auch anderes übrig? Der Fremde wirkte entschlossen, und
Hamfast hatte nicht die Absicht es darauf ankommen zu lassen, ob er seine
Drohung von vorhin wahrmachen würde.
Ihr Weg
führte sie ein ganzes Stück in den Wald hinein. Der Schimmer des Sternenglases
war schon lange nicht mehr zu sehen, als sie endlich Halt machten.
„Hinsetzen!“
befahl der Fremde und stieß den armen Hobbit unsanft zu Boden, was seine
Aufforderung eigentlich überflüssig machte, wie dieser fand.
Weil das
Messer ihn nun nicht mehr daran hinderte, glaubte Hamfast, wieder reden zu
dürfen.
„Was tun
wir jetzt?“ testete er vorsichtig diese Vermutung.
„Warten“,
war die einsilbige, aber nicht unfreundliche Antwort. Offenbar hatte der Mann
sich wieder beruhigt und zu seiner anfänglichen Höflichkeit zurückgefunden.
Hamfast hörte, wie er in einer Tasche herumkramte und sich dann neben ihn
setzte.
„Worauf?“
Ein
leises Kichern von der Art, die oft von einem Kopfschütteln begleitet wird, war
die Reaktion auf seinen Wissensdurst. Ein solch ulkiges Männchen war dem
Fremden wohl noch nicht untergekommen.
„Habt Ihr
Hunger?“, kam die unerwartete Gegenfrage.
Es war
völlig gleichgültig, ob Hamfasts eifriges Kopfnicken gesehen wurde oder nicht,
denn sein Magen knurrte die unmißverständliche Antwort laut und deutlich.
Ein Paar
Hände tasteten nach seinem Strick, und eine kalte Messerklinge zerschnitt ihn.
Hamfast zog reflexartig die Arme nach vorne und massierte sich die geschundenen
Gelenke.
„Hier!“
Etwas
wurde ihm in den Schoß geworfen. Brot, stellte er fest, und es war weich und
roch frisch als er vorsichtig daran schnupperte und dann genüßlich hineinbiß.
„Mit
etwas Butter und Käse würde es noch besser schmecken“, stellte er kauend fest,
bekam aber keine Antwort.
Statt
dessen hörte er, wie etwas Laub und dürre Äste zusammengeschoben wurden, dann
erklang das dumpfe Schlagen eines Feuerstahls auf Stein, und eine kleine Flamme
tanzte in der Dunkelheit, erfaßte einen Span und kurz darauf brannte ein sehr
dürftiges Feuer, das seinen Lichtschein nicht in den Wald hineinwarf und wenig
Rauch entwickelte.
„Wie wäre
es statt dessen mit etwas Fleisch?“
Hamfast
reagierte nicht auf die Frage. Kaum daß er etwas zu sehen vermochte, hatten
seine Augen nach dem Fremden gesucht. Wer war er? Was wollte er von ihm?
Neugierig musterte er den Mann.
Dieser
wandte sich halb von ihm ab, als wollte er genau diese Absicht des Hobbits
vereiteln. Hamfast erblickte nur einen wirren Vollbart unter der tief über die
Stirn gezogenen Kapuze eines abgewetzten Ledermantels.
„Fleisch wäre
ganz vorzüglich“, freute sich Hamfast, doch seine Freude verrauchte sogleich,
als das, was der Mann dann auf einen Stock schob, um es über das Feuer zu
halten, verdächtig nach einer gehäuteten Fledermaus aussah.
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