Hamfast der Abenteurer
Lautlos
war Celeborn hinzugetreten und legte Thranduil sachte aber bestimmt eine Hand
auf die Schulter. Die beiden Elben sahen sich einen langen Moment in die Augen.
Viel zu lange, dachte Hamfast, ängstlich zu dem Menschen aufblickend, der
langsam zu ersticken drohte.
Endlich
stieß Thranduil ein unwilliges Brummen aus wie jemand, der die Meinung des
anderen ganz und gar nicht teilt. Dennoch stellte er den Menschen auf den Boden
ab, und zwar so unsanft, daß dieser dabei in die Knie ging und gestürzt wäre,
hätte sein Hals nicht im eisernen Griff des Elben gehangen. Erst jetzt lockerte
der grimmige König seine Hand gerade genug, daß der Fremde mühsam nach Luft
ringen konnte.
Wenn
auch der Mensch bei dieser heftigen Aktion auf den Beinen geblieben war, so
konnte Hamfast dies von sich nicht behaupten. Die Abwärtsbewegung des Armes,
dessen Ärmel er bis jetzt festgehalten hatte, war so kraftvoll, daß der Kleine
sich dabei die eigenen Ellenbogen in den Bauch rammte und mit einem
unterdrückten Aufschrei ziemlich heftig auf sein Hinterteil plumpste. Keiner
nahm von seinem Mißgeschick Notiz. Aller Augen waren auf die drei Personen im
Zentrum des Geschehens gerichtet. Nicht einmal Hamfast selbst schenkte sich
Beachtung, rappelte sich schnell auf, fuhr nachlässig über seinen geschundenen
Körperteil, ohne dabei den Blick auch nur für einen Wimpernschlag abzuwenden
und hielt gespannt den Atem an, in Erwartung dessen, was nun folgen würde.
Celeborn
stand da. Hoch aufgerichtet. Stolz. Seine Kleidung zeigte deutliche Spuren des
Kampfes. Blut und Schleim besudelten die herrliche Rüstung. Der schwere Stoff
seines rechten Ärmels war von oben bis unten aufgeschlitzt, aber die Klauen der
Spinnen hatten das darunter hervorblitzende, feinmaschige Kettenhemd nicht
durchdringen können. Ein paar Haarsträhnen hatten sich aus den langen silbernen
Zöpfen gelöst und klebten von Schweiß und Blut beschmiert an seiner rechten
Wange, über die ein häßlicher, bereits eingetrockneter Riß verlief.
Sein
Blick war kühn und nicht eben freundlich auf den Menschen gerichtet.
„Was
verlangt Ihr im Gegenzug für diese Auskunft?“ fragte er mit kühler Stimme.
„Verlangen?“
Der Mann lächelte unverbindlich und schüttelte langsam den Kopf. „Ich verlange
gar nichts.“
„Nun
denn...“ drängte Celeborn, deutlich gereizt. Der lange Kampf hatte selbst die
Elben erschöpft, und er war nicht in der Stimmung für eine lange Verhandlung.
„Was erwartet Ihr? Drückt Euch
deutlich aus und zögert damit nicht zu lange, denn wenn es stimmt, daß dies
hier Euer Werk ist...“ Er machte eine allumfassende Geste und ließ den Satz
unvollendet.
Thranduils
Hand an des Mannes Hals zuckte verdächtig. Der Blick, den er Celeborn zuwarf,
bettelte darum, zudrücken zu dürfen.
Celeborn
winkte ab.
Hamfasts
Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er an die Verwundeten dachte. Die
Toten. Er schluckte.
„Es
tut mir aufrichtig leid...“ hob der Mensch zu sprechen an, kam aber nicht
weiter, weil sich die Faust des Waldelbenkönigs blitzartig um seinen Hals schloß.
Der Satz endete in einem erstickten Gurgeln.
„Erspart
uns Euer Mitleid!“ zischte Thranduil.
Auf
einen mahnenden Blick Celeborns schnaufte der Waldkönig wütend und zog seine
Hand nun vollständig zurück.
Der
Mensch hustete. Räusperte sich ein paarmal, bevor er sprechen konnte. Dann hob
er an, hielt aber in der Lippenbewegung inne. Ein besorgter Blick streifte
Thranduil und es schien, als habe er erneut sein Bedauern ausdrücken wollen,
sich dann aber dagegen entschieden.
„Ich
führe Euch um den Berg herum zum Hinterausgang“, würgte er mit krächzender
Stimme hervor. „Sie wird einen Umweg machen, um die Schätze zu holen. Wenn wir
uns beeilen, können wir noch vor ihr dort sein.“
„Und
wieso sollte ich daran interessiert sein?“ blaffte Thranduil.
„ICH
bin daran interessiert!“ polterte Durin und baute sich in seiner vollen Breite
zwischen dem Menschen und dem Waldelbenkönig auf, so daß letzterer sich nicht
noch einmal an ihm vergreifen konnte.
„Seid
Ihr sicher, daß sie die Schätze mit sich führt?“ verlangte es den Zwerg zu
wissen.
Der
Gefragte zögerte. Nervös faßte er sich an den geschundenen Hals und massierte
ihn sachte. „Ja doch. Natürlich.“ Er klang nicht überzeugend. Das nachfolgende
Räuspern vermittelte keine Zuversicht.
Durins
Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Natürlich war ihm der Zweifel nicht
entgangen, aber welche Gedanken ihm auch immer durch den Kopf gingen, er hakte
nicht nach. Brummte nur etwas Undeutliches in seinen Bart.
„Sie
wird die Kostbarkeiten längst verschlungen haben“, meldete sich jetzt
Celebrimbor zu Wort, und im Klang seiner Stimme schwang kein Mitgefühl. Ein
Umstand, der ihm einen wütenden Blick des ohnehin schon schlecht gelaunten
Zwergenherrschers einbrachte.
„Ich
habe es schon einmal gesagt und wiederhole es: Wenn dem so ist, werde ich die
Schätze aus ihrem toten Leib herausschneiden!“ polterte er wütend.
„Wir
verschwenden kostbare Zeit!“ stöhnte der Mensch.
„Eure?
Oder unsere?“ gähnte Thranduil gelangweilt.
„Äh-hem...“
meldete Hamfast sich unsicher zu Wort. „Also, vor etwa einer Stunde hatte sie
die Schätze noch nicht verschlungen.“
„Ihr
habt sie gesehen?“ Urplötzlich fühlte der kleine Mann aller Augen auf sich
gerichtet. Er nickte schüchtern.
„Sie
sind wunderschön!“ konnte er seine Begeisterung nicht verbergen.
„Wo
sind sie?“ Durin packte den Hobbit an beiden Schultern und schüttelte ihn.
Vielleicht unsanfter, als er es beabsichtigt hatte.
„D-dort!“
Hamfast deutete in die ungefähre Richtung in der er den Eingang vermutete.
„Dort ist der Eingang zu ihrer Höhle.“
„Ha!“
Der Zwerg machte Anstalten, darauf loszumarschieren, hielt dann aber inne. „Sie
ist nicht in diese Richtung geflohen!“ stellte er sachlich fest.
„Es
gibt drei Eingänge auf dieser Seite, aber nur einen Ausgang im Süden...“ wagte
der Mensch einzuwenden.
Hamfast
runzelte die Stirn und betrachtete ihn nachdenklich. Die Verzögerung behagte
seinem neuen Bekannten sichtlich nicht. Was hatte er erwartet? Daß sie auf sein
Geheiß alle dem Untier nacheilen würden? Auf einem Weg, den er ihnen zu zeigen
sich anbot?
Tatsächlich
war keiner der Anwesenden geneigt, ihm blindlinks zu folgen. Aber nur Thranduil
faßte in Worte, wie wenig er von der Idee, um den Berg herumzulaufen und das
Biest am Hinterausgang abzufangen hielt. In sehr zornige und beleidigende
Worte, die hier mit Rücksicht auf jüngere Leser nicht wiedergegeben werden.
„Sie
wird entkommen, und dann war alles umsonst“, stöhnte der Mensch, aber niemand
beachtete ihn jetzt. Nur Hamfast fiel seine Verzweiflung auf, und er fühlte
Mitleid mit ihm, obwohl er sich nicht erklären konnte, worin dieses gründete,
denn er begriff nicht, welche Absicht ihn bewog.
„Wir
könnten zwei Schwadronen um das Gebirge herumschicken, eine auf dieser, eine
auf der anderen Seite“, schlug Celebrimbor vor.
„Und
einige von uns sollten sich die Höhle einmal genauer ansehen“, überlegte Durin.
Celeborn
schwieg. Seine hellen Augen ruhten kalt auf dem Menschen. Dann, langsam und
gebietend, hob er eine Hand, und auf diesen Wink eilten zwei Elben herbei, und
ehe jemand etwas dagegen einwenden konnte, wurden dem Menschen die Hände auf
den Rücken gebunden. Er wollte widersprechen, da hinderte ihn auch schon ein
Knebel daran. Eine scheuchende Bewegung des Elbenfürsten, und er wurde fortgeschafft.
Ohne
eine Erklärung, die ohnehin niemand von ihm erwartete - außer vielleicht
Hamfast, aber der wußte nur zu gut, daß seine Meinung hier nicht zählte -
wandte er sich an seine Verbündeten.
„Wir
sollten noch eine vierte Abteilung bilden, die sich dort hinaufbegibt.“
Celebrimbor hob auf sein Zeichen das Sternenglas und beleuchtete einen schmalen
Pfad, der sich den Hügel hinaufwand. „Wir werden Fackeln anzünden. Von dort
oben sollte man einen guten Überblick haben. Auf diese Weise entkommt sie uns nicht.“
Celebrimbor
nickte bejahend. Durin brummte in seinen tiefsten Tönen, was wohl ebenfalls
seine Zustimmung ausdrücken sollte.
Einzig
Thranduil schien jegliches Interesse verloren zu haben. Seit der Mensch in
Fesseln gelegt war, hatte er nicht ein Wort gesprochen, aber sein
Gesichtsausdruck hatte sich deutlich entspannt. Mit einem zufriedenen Lächeln
wandte er sich ab und begab sich zu seinen Leuten. Keiner hinderte ihn daran.
Celeborn
gab ein paar knappe Befehle. Während er seine Ausrüstung einer schnellen
Inspektion unterzog, wandte er sich noch einmal an den Waldkönig, während
dieser bereits im Gehen begriffen war:
„Kannst
du uns in wenigen Worten erklären, was du über diesen Menschen weißt?“
„Er
will, daß ihr das Biest tötet“, sagte Thranduil mit wegwerfender Handbewegung
und ohne sich umzudrehen. „Wahrscheinlich hat er den ganzen Schlamassel
angestiftet, um euch einen Grund dafür zu liefern.“ Er kniete bei einem
verletzten Krieger nieder und begann, seine Wunden zu untersuchen. Was auch
immer nun in Bezug auf das Untier unternommen wurde, Thranduils Verhalten
machte deutlich, daß er sich nicht weiter daran beteiligen würde.
Durin
hatte seine Vorkehrungen schnell getroffen. Er rückte die Streitaxt an seinem
Gürtel zurecht, rief seine Leute herbei und wandte sich an den kleinen Hamfast,
während die Zwerge schnaufend herbeistampften und sich um ihren König scharten.
„Ihr
ward also in ihrer Höhle?“ Ein bestätigendes Nicken. „Beschreibt mir den Weg!“
Hamfast
schluckte. Er versuchte sich zu erinnern, ohne dabei zu sehr an die damit
verbundenen Unannehmlichkeiten zu denken. Wenigstens verlangte Durin nicht von
ihm, sie zu führen.
„Ihr
werdet Fackeln brauchen. Es ist stockdunkel in der Höhle“, begann er
überflüssigerweise. Natürlich war es das. Durin lächelte nachsichtig.
Nun
beschrieb der Hobbit, so gut er es konnte, wie er zu der Kammer gelangt war, in
der er die Schätze erblickt hatte. Genaugenommen war er auf einem Weg hinein,
und auf einem anderen wieder herausgekommen. Doch während er auf dem ersten
nicht hatte sehen können, hatte die Treppe des zweiten so viele Windungen und
Abzweigungen, daß er weder den einen noch den anderen Weg ausreichend erklären
konnte.
Durin
hörte seinen weitschweifenden, von ständigen Zweifeln und sich selbst
widersprechenden Bemerkungen unterbrochenen Ausführungen, geduldig zu. Noch
während der Kleine sprach unterteilte er seine Leute in zwei Gruppen. Er
beabsichtigte, auf beiden Wegen einzudringen.
Sowohl
Elben als auch Zwerge benötigten Fackeln für ihr Vorhaben - außer der
Abteilung, deren Anführer das Sternenglas mit sich führen würde, versteht sich.
Dies sollte jene sein, die sich mit Celebrimbor auf den Hügel begab, denn
dieser war nicht besonders weitläufig und baumlos und der Elbenfürst
beabsichtigte, von dort oben nicht nur die Höhe, sondern deren Hänge
vollständig auszuleuchten. So würde das Biest sich dort nicht nur nicht
verbergen, sondern seinen Leuten am Fuß des Hügels auch nicht in den Rücken fallen
können.
Celeborn
führte den zweiten Teil seiner Leute an, und einem jungen Hauptmann mit Namen
Lindor wurde der Befehl über die dritte Elbenabteilung aus Eregion geben.
Thranduils Leute blieben bei ihrem König und den Verwundeten.
Auch
bei den Zwergen herrschte inzwischen Ordnung. Eine Hälfte wurde
selbstverständlich von Durin selbst geführt, die andere von Narvi.
Hamfast
und seine Freunde standen ein wenig nutzlos herum und beobachteten die wenigen
Vorbereitungen, die hauptsächlich darin bestanden, vorhandene Fackeln
zusammenzutragen und sie um ein paar zusätzliche starke, dürre Äste, von denen
im Unterholz ausreichend zu finden waren, zu ergänzen.
„Kann
ich irgend etwas tun?“ bot Hamfast an, und es war nicht ganz klar, an wen die
Frage gerichtet war. Taurfaron sah seinen Elbenfreund, der gerade Anstalten
machte, sich einer Abteilung anzuschließen, an und schüttelte mit leichter
Andeutung den Kopf. Ein bedeutungsvoller Blick auf ihren kleinen Kameraden unterstützte
seine stumme Aussage. Der jüngere Elb lächelte sanft und sah von seinem
Vorhaben ab. Taurfaron hatte natürlich recht. Wenn sie nicht wollten, daß der
Kleine sich unbedachterweise in Gefahr begab, mußten sie eine sinnvolle
Beschäftigung für ihn finden.
„Sag
mal, Taurfaron, wie lange ist es eigentlich her, seit wir das letzte Mal etwas
Vernünftiges zu essen hatten?“ fragte er mit betont jämmerlicher Manier.
„Was
Vernünftiges?“ überlegte der andere. „Wie lange ist es gleich her, daß uns
unser Koch abhanden kam?“
Die
beiden kannten ihren kleinen Freund gut genug, um zu wissen, wie man ihn
ködert. Hamfast sprang auch sogleich darauf an.
Mit
großen, leuchtenden Augen blickte er zwischen Galadhion und Taurfaron hin und
wieder zurück.
„Wie
wäre es mit einer ordentlichen Mahlzeit? Ich weiß nicht, wie lange ich schon
nicht mehr richtig gegessen habe, und mein Hunger bringt mich fast um!“
Er
hielt inne und runzelte nachdenklich die Stirn.
„Naja,
um ehrlich zu sein, habe ich vor gar nicht langer Zeit ein Stück Brot und zwei
Äpfel gegessen.“
Er
fuhr sich mit der Hand über das gerundete Bäuchlein, als wollte er sichergehen,
daß beides gut an seinem Zielort angekommen war.
„Aber
das ist keine ordentliche Mahlzeit,
wenn ihr versteht, was ich meine. Nicht für einen
Hobbit!“
Die
beiden Elben grinsten sich über seinem Kopf hinweg vielsagend an.
Einige
kleine Lagerfeuer erhellten jetzt den Platz, nachdem das Licht des
Sternenglases, vorerst auf die gerade notwendige Helligkeit gedrosselt, mit den
Verfolgern fortgezogen war. Für die Verwundeten war oder wurde noch gesorgt,
und die Toten waren notdürftig mit ihren Mänteln bedeckt - sie würden sie
später in ihrer Heimat bestatten. Es gab im Moment nichts, das die drei Freunde
tun konnten, als abzuwarten.
Und
dafür Sorge zu tragen, daß die erschöpften Krieger eine „ordentliche“ Mahlzeit
erhielten, wie Hamfast sich ausgedrückt hatte, denn natürlich hatte der Kleine
dabei nicht nur an sich selbst gedacht.
Er
wählte das größte, oder wie er es ausdrückte das sympathischste Feuer als
Kochstelle und scheuchte seine Freunde durch das Lager, damit sie ihm
herbeischaffen sollten, was auch immer an Verpflegung sie auftreiben konnten.
Er selbst hielt Ausschau nach dem großen Kochtopf, den einer der Elben für ihn
getragen hatte. Er fand ihn schließlich in einem Gestrüpp, schmutzig aber
ansonsten unversehrt und machte sich sogleich mit der ihm eigenen
Geschäftigkeit an die Zubereitung des Essens.
Das
Licht des Sternenglases schimmerte sanft zu ihnen herüber. Die Verfolger hatten
den Fuß des Berges erreicht und Fackeln wurden angezündet. Während das
silberhelle Licht sich nun langsam den Pfad hinaufbewegte, teilte der
Feuerschein sich, wanderte in beide Richtungen um den Berg herum und entschwand
bald ihren Blicken. Die Abteilungen der Zwerge mußten bereits in den
Höhleneingängen verschwunden sein. Jedenfalls konnte man vom Lager aus keinen
Lichtschein mehr dort erkennen, wo sie sich befinden mußten.
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