Hamfast der Abenteurer

 

 

 

Gleich darauf brachten die beiden Elben den Gefangenen herbei, die Hände auf den Rücken gebunden, einen Knebel im Mund. Nicht besonders sanft stießen sie ihn vor seinen Richter, wo er leicht strauchelnd zu stehen kam und gleich darauf von unnachgiebigen Händen auf die Knie gezwungen wurde.

 

Forschend sah Celeborn ihm in die Augen. Schweigend. Seine Gesichtszüge verrieten nicht seine Gedanken. Weder mit Worten noch Gesten gab er ein Zeichen, dem Menschen die Riemen zu lösen. Lange betrachtete er ihn schweigend, und keiner der Anwesenden verursachte das geringste Geräusch. Alle schienen in gespannter Erwartung den Atem anzuhalten.

 

Als er endlich sprach, richtete er seine Worte nicht an den Angeklagten.

 

„Was hältst du von ihm?“ fragte er, ohne seinen Blick abzuwenden, und Hamfasts Augen suchten eine Weile irritiert in der Runde denjenigen, dem die Aufforderung gegolten hatte.

 

Da löste sich eine Gestalt geschmeidig aus der Menge und trat lautlos neben den anderen. Celebrimbor.

 

Der Noldo betrachtete nun seinerseits forschend den Gefangenen, bevor er sprach: „Seine fea ist...“ Er zögerte. „Sie ist nicht, was ich in der Schatzkammer gefühlt habe.“ Er runzelte die Stirn und ging noch einmal mit sich zu Rate. „Etwas ist seltsam an ihr, aber sie ist nicht der Dunkelheit verfallen.“

 

Celeborn nickte, als würde dies seine Vermutung bestätigen. Er winkte niemand Bestimmtem, und endlich wurden dem Menschen die Fesseln abgenommen.

 

Er hustete, sog tief und erleichtert Luft in seine Lungen und rieb sich die zerschundenen Handgelenke. Dann sah er mit trotzig in den Nacken gelegtem Kopf zu seinen Anklägern auf. Die Stirn in strenge Falten gezogen, die Lippen verbissen aufeinander gepreßt.

 

„Wie lautet Euer Name?“ erkundigte Celeborn sich.

 

„Wessen klagt Ihr mich an, und mit welchem Recht habt Ihr mich gebunden?“ lautete die stolze Gegenfrage.

 

Celebrimbor schnaufte empört ob dieser Mißachtung von Celeborns Autorität. Doch Celeborn winkte nur gelassen ab.

 

„Was hattet Ihr erwartet?“ fragte er nachsichtig. „Versetzt Euch in unsere Lage. Sehr Ihr nicht ein, daß Eure Anwesenheit hier sehr verdächtig ist?“

 

Und, als der Mensch widerstrebend mit einem Brummlaut zustimmte, fügte er hinzu: „Außerdem geschah es zu Eurem eigenen Schutz.“

 

Celeborn warf einen bezeichnenden Blick in die Richtung, in der Thranduil abseits stand, und sich mit einem seiner Männer besprach, ohne sich um das Geschehen zu bekümmern.

 

Der Mensch folgte seinem Blick, dann zuckte ein grimmiges Lächeln über seine Züge. Vielleicht erinnerte er sich daran, daß er die gleiche Begründung gegen den seltsamen kleinen Mann vorgebracht hatte.

 

„Euer Name?“ wiederholte Celeborn seine Frage auffordernd.

 

„Erk“

 

„Woher kommt Ihr?“

 

„Ich streife durch die Länder und Wälder Mittelerdes und habe keinen festen Wohnsitz.“

 

Eine Augenbraue zuckte in die Höhe und etwas eindringlicher, aber noch immer freundlich fuhr Celeborn in seinem Verhör fort:

 

„Dann laßt es mich anders ausdrücken: Woher stammt ihr ursprünglich? Wo stand Eure Wiege oder die Eurer Vorfahren? Ich nehme an, sie waren nicht alle solche Landstreicher wie Ihr?“ widersprach seine Wortwahl dem höflichen Klang seiner Stimme, was ihm einen leicht süffisanten Blick Celebrimbors einbrachte.

 

Der Mensch zögerte. Ungeachtet der implizierten Beleidigung schien die Frage als solche ihm nicht zu behagen. „Meine Eltern stammen von nördlich der Ettenöden“, gestand er schließlich leise und widerstrebend.

 

Celebrimbor zischte. „Angmar! Ihr kommt aus Angmar!“

 

Erk verzog gequält das Gesicht. Dann nickte er vorsichtig.

 

Auch Celebrimbor nickte, als würde irgend etwas jetzt einen Sinn ergeben.

 

„Nun denn, Erk aus Angmar“, rieb Celeborn seinerseits Salz in die Wunde, „Ihr kennt Euch außergewöhnlich gut mit den Örtlichkeiten aus.“

 

Erk zuckte die Schultern und setzte sich in eine bequemere Position. „Ich hatte lange Zeit, die Umgebung zu erkunden“, erwiderte er gelassen.

 

„Erklärt Euch.“

 

Erk rieb sich nachdenklich den wirren Vollbart und ging mit sich zu Rate. Hamfast hielt gespannt den Atem an und fragte sich, wieviel er wohl bereit war preiszugeben. Auch der Mensch schien sich dessen unsicher und schwieg lange. Vielleicht versuchte er auch nur, den richtigen Anfang zu finden.

 

Celeborn spürte, daß er ihm die Zeit dazu geben mußte und wartete geduldig.

 

Doch zuerst erkundigte Erk sich tonlos: „Ist er tot? Der Dämon, meine ich.“

 

Celeborn schüttelte leise den Kopf. „Nein. Die Kreatur ist nach Süden entkommen.“

 

Erk fluchte leise.

 

„So hat der Waldelbenkönig recht mit seiner Behauptung. Ihr wolltet, daß wir sie töten.“ Es war keine Frage.

 

„Natürlich!“ begehrte Erk auf.

 

„Dann seid Ihr wahrhaftig schuldig an diesem Gemetzel.“ Celeborns Stimme wurde harsch.

 

„Natürlich nicht!“ protestierte Erk da und warf die Hände in einer hilflosen Geste empor. Er atmete tief durch, und jetzt endlich fing er an, erst zögernd, dann flüssiger zu erzählen.

 

„Seit Jahren habe ich die zunehmende Dunkelheit in diesem Wald beobachtet, die offensichtlich wurde durch die deutliche Vermehrung der bösartigen Kreaturen, vor allem der schwarzen Spinnenbrut. Vor etwa einem Jahr, so schien es, daß die Bäume durchatmeten, als wäre ihnen eine Last abgenommen, doch nur eine kurze Verschnaufpause war es, ehe sie erneut in Düsternis versanken.“

 

„Ihr seid in der Lage, das Befinden der Bäume zu erspüren?“ unterbrach Celebrimbor ihn an dieser Stelle verwundert.

 

Der Mensch fletschte seine Zähne zu einem hämischen Grinsen. „Stehen wir aus Angmar nicht in dem bösen Ruf, die Hexenkünste zu pflegen?

 

„Nicht Hexenkunst ist es…“, Celebrimbor wehrte ab. „Fahrt fort.“

 

„Ich stellte Nachforschungen an, die mich schließlich hierher führten, an den Ort, von dem das Übel ausging. Dort fand ich ihn. Den Dämon.“ Seine Stimme war zu einem Flüstern gesunken.

 

Er räusperte sich. „Schnell wurde mir klar, daß ich ihm nicht alleine entgegentreten konnte. So suchte ich Hilfe bei den Waldelben, denn sie, so dachte ich, wären an einer Wiederherstellung des Waldes ebenso interessiert wie ich.“ Er spukte aus. Ob als Untermalung seines Abscheus oder um seiner gepeinigten Stimmbänder willen, blieb unklar.

 

Die beiden Elben tauschten einen schnellen Blick, und Celebrimbors rechter Mundwinkel zuckte kaum merklich. Ein sarkastisches Funkeln trat in seine Augen. Nur einen Augenblick, dann war es vorbei.

 

Erk veränderte noch einmal seine Lage. Die Glieder schienen ihn zu schmerzen.

„Die Waldelben jedoch haben mich kaum angehört, erst in ihren Kerker und dann aus ihrem Reich geworfen“, klagte er.

 

Celeborn nickte. Das klang ganz nach Thranduil.

 

Wie auf ein Stichwort trat der Waldelbenkönig jetzt hinzu und baute sich mit einer imposanten Gebärde neben Celebrimbor auf, die Arme vor der Brust verschränkt, das Haupt stolz erhoben. Seine ganze Haltung die eines Herrschers, der sich nicht nach den Zeitplänen anderer richtet und selbst entscheidet, wann er sie mit seiner Anwesenheit beehrt.

 

„Was tatet Ihr dann?“ fuhr Celeborn in seiner Befragung fort, ohne sich durch das majestätische Gehabe ablenken zu lassen.

 

Erk zuckte die Achseln. „Was blieb mir schon übrig? Eine zeitlang bekämpfte ich die kleineren Untiere, hatte aber sehr bald schon das Gefühl, daß sie sich schneller vermehrten, als ich ihrer Herr werden konnte. So kam ich schließlich zu dem Entschluß, mir von anderer Seite Hilfe zu suchen.

 

Mein Weg führte mich zunächst in die Gebiete östlich des Großen Waldes. Doch die Menschen dort sind überwiegend Bauern. Sie leben in Großfamilien friedlich beieinander, oft mehrere Tagereisen voneinander entfernt. Zwar gibt es unter ihnen auch einige Jäger, aber wenig Erfahrung haben sie mit größerem Wild, und vor gefährlichen Tieren waren diese Gebiete, so verwunderlich dies auch klingt, seit Generationen verschont. Meine Warnungen führten nur dazu, daß manche sich Gedanken darüber machten, weiter nach Osten auszuwandern…“ Er schüttelte bedauernd den Kopf.

 

„Nun wandte ich mich nach Westen. Ein Jahr war über meinen vergeblichen Bemühungen vergangen, und als ich mich dem Gebirge näherte, sah ich mit Verwunderung eine große Schar von Elben und Zwergen im Tal des Schattenbachs versammelt.“

 

Ein überraschtes Raunen ging durch die Reihen der Anwesenden.

 

„Ihr ward dort?“ hakte Celeborn nach.

 

Erk nickte. „Ich wollte mir erst Gewißheit verschaffen, mit wem ich es zu tun hatte, also schlich ich mich heimlich an. Auf diese Weise erfuhr ich, daß den Zwergen wertvolle Schätze entwendet worden waren, und Eure Schar sich auf der Verfolgung jener Kreaturen befand, die ich zu bekämpfen suchte.“

 

Ein pfeifender Zischlaut entfuhr Celebrimbors Lippen. Er klang beeindruckt. Es war nicht leicht, eine gut bewachte Abteilung von Elben – und Zwergen - zu belauschen.

 

„Warum habt Ihr Euch nicht zu erkennen gegeben?“ wunderte sich Celeborn.

 

„Ich hielt es nicht für nötig.“ Erneut zuckte der Mensch mit den Achseln. „Statt dessen wollte ich meine eigenen Erkundigungen einziehen und sehen, ob diejenigen, die in die Schatzkammer eingedrungen waren, auf Geheiß des Spinnendämons gehandelt hatten.“

 

„Aber...“, piepste Hamfast, so gefesselt von der spannenden Erzählung, daß er gänzlich seine Scheu vergaß, „Ihr sagtet, Ihr hättet die Spinnen dazu gebracht, den Tunnel zu graben!“

 

„Sagte ich das?“ erwiderte der Mensch ruhig und sah den kleinen Mann auffordernd an.

 

Dieser zog nachdenklich seinen Hut vom Kopf und knetete ihn geistesabwesend. Dann betrachtete er ihn, als würde dies seiner Erinnerung auf die Sprünge helfen. Und tatsächlich fiel es ihm kurz darauf ein. „Ihr sagtet, wenn jemand ihnen den Ansporn dazu gibt, bauen sie Tunnel selbst durch das härteste Gestein.“

 

Der Mensch nickte. Und wartete, ohne den Blick von Hamfast abzuwenden.

 

Hamfast erkannte dies als Aufforderung, weiter nachzudenken und kratzte sich mit der Linken unterstützend hinterm Ohr. „Ihr sagtet nicht, daß Ihr sie dazu angespornt hättet“, fiel ihm schließlich auf.

 

Mit einem neutralen Brummlaut wandte der Mensch sich nun wieder Celeborn zu. Seine Haltung und Mimik sagten aus, daß er dem nichts hinzuzufügen hatte.

 

Oder doch? Eine kurze Erklärung, was ihn zu dieser Aussage bewogen hatte, vielleicht? Er stutzte kurz, dann nickte er sich selbst aufmunternd zu. „Als ich die gestohlenen Schätze hier vorfand, war dies die Bestätigung für den Verdacht, daß es die Spinnen waren, die hinter jenem Tunnelbau steckten.“

 

Sinnend starrte er eine Weile ins Leere und nahm dann den Faden wieder auf.

 

„Ich kam also hierher, um eine ausführlichere Erkundung des Ortes vorzunehmen, zu der ich mich damals nicht der Gefahr ausgesetzt hatte. Zunächst wurde diese Absicht durch die Anwesenheit der Kreatur stark beeinträchtigt. So traute ich mich lange nicht, in die Höhlen vorzudringen und war es zufrieden, den Hügel nach besagten Ein- und Ausgängen abzusuchen. Erst als der Kampf begann und der Dämon abgelenkt war, wagte ich es, sie zu betreten.“ Der Mensch machte eine Pause und nahm dankbar einen Schluck aus dem dargebotenen Wasserschlauch.

 

„Dort fand ich schließlich die Schätze. Doch sie waren durch einen Wall aus scharfen Steinen so geschützt, daß ich nicht zu ihnen gelangen konnte.“

 

Hier mischte Durin sich brummend ein: „Das ist richtig. Dieses Untier hatte sie so gut gesichert, daß sie sie selbst nicht fortnehmen konnte, bevor wir dort ankamen und sie höflich darum baten, davon abzulassen.“ Er strich mit einer liebevollen Geste über die blanke Schneide seiner großen Streitaxt.

 

„Das ist so ziemlich die ganze Geschichte“, schloß der Mensch mit einer abschließenden Geste.

 

 

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