Hamfast der Abenteurer

 

 

 

Thranduil schnaufte mit leicht erhobenem Kopf durch die Nase aus, wie jemand, der den Wahrheitsgehalt des Gesagten anzweifelt, schwieg jedoch.

 

Celeborn betrachtete ihn sinnend. Er, Celebrimbor und der Waldelbenkönig verschränkten die Blicke ineinander – anders konnte Hamfast es nicht beschreiben. Es lag eine Intensität in der Art wie sie sich ansahen, daß dem kleinen Mann ein Kribbeln über den Rücken lief. Kein Wort wurde gesprochen, und dennoch schienen sie angeregt, ja beinahe heftig miteinander zu diskutieren.

 

Hamfast sah sich um, aber keiner der übrigen Anwesenden machte den Eindruck, als wäre er in die Unterhaltung der „drei Großen“, wie er sie bei sich nannte, einbezogen. Scheinbar hatten die Elben nicht nur die Möglichkeit, über ihre Gedanken zu kommunizieren, sondern auch ganz speziell zu bestimmen, wer an dieser Besprechung teilnehmen durfte. Und wer nicht.

 

Zum Beispiel ein unbedeutender Hobbit. Hamfast fühlte sich deshalb nicht etwa beleidigt oder ausgeschlossen. Wer war er denn, daß er auch nur darauf hoffen konnte, von diesen edlen Wesen als gleichberechtigt behandelt zu werden! Er war ein bescheidener Mann und dachte nicht einmal daran, sich deswegen zu mockieren. Jedoch war er auch ein äußerst neugieriger Mann, und so bewegte er sich nervös zuckend auf der Stelle wie jemand, der nicht weiß, ob er stehen bleiben, sich hinsetzen, oder besser weglaufen sollte.

 

Auch der Mensch, der inzwischen mit untergeschlagenen Beinen saß, bewegte sich unruhig. Er bemerkte die Nervösität des Kleinen und lächelte matt.

 

Den anderen Elben schien das Warten überhaupt nichts auszumachen. Sie standen ruhig wie Statuen, und keiner von ihnen zuckte auch nur mit der Wimper.

 

Die Zwerge hingegen waren weniger diszipliniert. Sie redeten leise untereinander in ihrer kehligen Sprache, von der Hamfast kein Wort verstand, untermalt von Gebärden, die der Hobbit nicht zu deuten vermochte. Nur Durin mischte sich nicht in ihre Diskussionen ein, stand ruhig da, die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete, lauschte, und es arbeitete sichtbar hinter seiner hohen Stirn.

 

Endlich, als Hamfast vor Ungeduld schon beinahe in seinen Hut gebissen hätte, war das stumme Gespräch der Elben beendet.

 

Thranduil schnaufte wütend aus, diesmal durch den Mund. Dann wandte er sich ohne eine weitere Bemerkung ab und stolzierte mit hoch erhobenem Haupt hinüber zu seinen Leuten.

 

„Denkst du, er wird sich an die Abmachung halten?“ wandte Celebrimbor sich leise an seinen Freund.

 

Celeborn erhob sich von seinem Sitz. „Das wird er“, verkündete er selbstsicher und blickte dem Menschen, der unwillkürlich ebenfalls aufgestanden war und ihn erwartungsvoll ansah, kurz und eindlinglich in die Augen.

 

Bevor er jedoch etwas zu ihm sagte, tauschte der Elbenherrscher einen stummen Blick mit Durin. Der Zwergenkönig nickte kaum merklich. War er also doch an dem Gedankenaustausch beteiligt gewesen?

 

„Ihr seid frei zu gehen“, fällte Celeborn sein schlichtes Urteil. Dann steckte er die kurze Axt mit einer förmlichen Geste zurück in den Gürtel.

 

Erk stutzte. Dann durchzuckte es ihn, und er streckte beide Hände vor, die Handflächen zu einer fragenden Geste erhoben.

 

„Was ist mit dem Untier? Wir können diese Kreatur...“

 

Celeborn unterbrach ihn mit einer finalen Handbewegung.

 

„Wir haben ihr Späher nachgesandt. Sie flieht ohne Aufenthalt in Richtung Süden. Irgend etwas hat ihr einen Heidenschreck eingejagt.“ Er schmunzelte. „Und ich bin nicht so überheblich zu glauben, daß dies allein unser Werk ist.“

 

Erk nickte und runzelte nachdenklich die Stirn. Er öffnete den Mund und schloß ihn gleich wieder. Es folgte ein angedeutetes Kopfschütteln.

 

Celeborn zog eine Augenbraue hoch. „Ja?“

 

„Ihr...“ Erk befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge. „Ihr spracht von meiner fea.“ Er blickte auf. „Was war es, das Ihr in der Schatzkammer gefühlt habt?“

 

Celeborn wechselte einen schnellen Blick mit dem Noldo.

 

„Was verschweigt Ihr uns?“ bohrte er dann nach.

 

Erk wehrte ab. „Nichts. Es ist nur... Ich habe da so einen Verdacht.“

 

„Und der wäre?“ knurrte Celebrimbor zurückhaltend.

 

Wieder machte Erk eine abwehrende Bewegung. „Bitte, beantwortet mir erst meine Frage. Sagen wir, ich möchte verhindern, daß meine Vermutung Euch... verwirrt“, fügte er etwas lahm hinzu, als wollte er ebenfalls verhindern, die Elben zu beleidigen.

 

„Ich habe eine dunkle Präsenz gefühlt, wie einen Gestank, der noch in der Luft hängt, wenn der Urheber sich längst zurückgezogen hat“, gab der Noldo jetzt bereitwillig Auskunft.

 

„Könnte diese von der Spinnenkreatur herrühren?“ erkundigte sich Celeborn nun, aber in einem Tonfall, der die Verneinung bereits implizierte.

 

Erwartungsgemäß schüttelte Celebrimbor den Kopf. „Nein. Ich war ihr im Kampf nahe genug, um das mit Sicherheit behaupten zu können.“

 

Celeborn nickte zustimmend und sah Erk an. „Eure Erzählung legt nahe, daß die Kreatur sich hier aufhielt, während ihre Brut sich noch auf dem Rückweg befand“, erläuterte er seine Beobachtung.

 

„Außerdem wäre dieser, dieser... Stollen“, Durin spukte das Wort mit leidenschaftlicher Verachtung aus, „gar nicht groß genug für diese Monstrosität gewesen.“ Der Zwergenkönig hatte bisher etwas abseits gestanden. Jetzt trat er näher.

 

Ein leichter Wind fuhr durch die Versammlung und wirbelte am Boden liegendes Laub raschelnd durcheinander. Die kleinen Lagerfeuer knisterten, und von Thranduils Schar klang leises Murmeln herüber. Die Waldelben rüsteten zum Aufbruch.

 

Zwei Elben, ein Zwergenherrscher und ein äußerst gespannter Hobbit blickten den nun nicht mehr ganz so mysteriösen Menschen an.

 

Als keiner ein Wort sagte, räusperte Hamfast sich. „Sie war also nicht am Eindringen in die Schatzkammer beteiligt?“ Fragend sah er zwischen den anderen hin und her.

 

Celebrimbor schloß die Augen und atmete tief aber geräuschlos ein. Er konzentrierte sich, als wollte er sich an irgend etwas erinnern.

 

„Es war eine unheimliche Präsenz“, sagte er, ohne die Augen zu öffnen. „Unvergleichbar mit allem, was ich bisher gefühlt habe. Bösartig. Verdorben“, versuchte er es zu beschreiben. „Und dann war da noch dieser seltsame Illusionszauber.“

 

„Ein Illusionszauber, sagt Ihr?“ durchzuckte es Erk. Er richtete den Blick lauernd auf den Noldo. Wie ein Raubtier.

 

„Ein Zauber, der weniger beeindruckend war, als er zunächst schien, wie die Herrin Galadriel herausfand“, wehrte Celebrimbor ab, ohne seine Konzentration zu unterbrechen. „Es bedurfte nur einiger weniger, harmloser Zutaten...“

 

Erk lachte kurz und markant auf. Dann nickte er, und begann gelassen und ohne zu zögern eine Anzahl von Kräutern aufzuzählen, ergänzt um die Erläuterung, wie sie zu behandeln, zu erhitzen, und in welcher Reihenfolge sie zu vermischen seien, als handle es sich um ein Kochrezept.

 

Alle sahen ihn erstaunt an.

 

„Die Herrin Galadriel... hat uns nicht gesagt, um welche Zutaten es sich im Einzelnen handelt, oder?“ fragte Hamfast, obwohl er sich ganz sicher war, daß er sich zumindest an die Kräuter hätte erinnern können, wenn auch nicht an ein paar seltsame andere Dinge, deren Namen er noch nie gehört hatte, und von denen er annahm, daß es sich eben deshalb um keine solchen handeln konnte.

 

„Vertraut mir“, drängte Erk. „Dies sind die Zutaten für einen Illusionszauber. Vielleicht nicht für den, den Ihr in der Schatzkammer vorgefunden habt. Aber für einen...“, er senkte die Stimme zu einem Flüstern, als wäre das, was er nun zu sagen hatte, zu gefährlich, um laut ausgesprochen zu werden, „wie er in Angmar gebräuchlich ist.“

 

„Ihr habt also einen Menschen eures eigenen Volkes im Verdacht?“ Celeborn klang nicht überzeugt und sah Celebrimbor fragend an.

 

Der Noldo schüttelte erwartungsgemäß den Kopf. „Das Volk von Angmar mag nicht im besten Ruf stehen, aber wir reden hier von der fea eines äußerst mächtigen Wesens.“

 

Erk nickte unbeirrt. „Unterschätzt nicht die Macht des Totenbeschwörers von Angmar. Er vermag es, seinen Geist in eine niedere Kreatur zu übertragen und ihr seinen Willen aufzuzwingen. Vorausgesetzt wir hatten es hier mit einer solchen besessenen Gestalt zu tun, die in der Schatzkammer anwesend war... denkt Ihr, Ihr könntet seine fea durch diese Kreatur hindurch wahrnehmen?“

 

Celebrimbor pfiff leise durch die Zähne. „Das wäre möglich... Vorausgesetzt, er ist tatsächlich so mächtig, wie Ihr behauptet“, räumte er ein.

 

„Ihr habt also diesen Totenbeschwörer von Angmar im Verdacht, nach den Schätzen der Zwerge zu streben?“ vergewisserte sich Celeborn.

 

„Nein“, korrigierte Erk ihn mit Bestimmtheit. „Ich weiß, daß er nach Schätzen und Macht strebt. Ich weiß außerdem, daß er bei seinen perversen Ritualen, mit denen er mit den Toten in Verbindung tritt, nach Möglichkeiten sucht, sich... Höhere Mächte zu nutzen zu machen.“

 

Erwartungsvoll blickte er die anderen an. Doch offenbar hatte diese Eröffnung nicht den gewünschten Erfolg.

 

„Die Mächte?“, hakte er nach. Die beiden Elben warfen sich einen bedeutsamen Blick zu. „Ja, ich weiß, ich weiß“, winkte Erk ab, „die Menschen nennen sie gewöhnlich die Götter.“

 

„Dieses Spinnenmonster ist kein Gott!“ meckerte Hamfast beleidigt, und fing sich einen erstaunten Blick des Menschen ein. Hatte dieser kleine, bäuerlich anmutete Geselle tatsächlich ein so flinkes Köpfchen? Und noch dazu das benötigte Wissen?

 

Celeborn lächelte und warf Erk einen wissenden Blick zu. Er war nicht der erste, der den pfiffigen kleinen Mann unterschätzte.

„Ich vermute, Eure Andeutung verweist auf jemand anderen. Einen gefallenen Maia?“

 

Erk nickte düster. „Es sind nur Gerüchte, aber will man ihnen Glauben schenken, so sucht er seit langem nach einem Bündnis mit Gorthaur *.“

 

Nach dieser Eröffnung folgte ein betretenes Schweigen. Niemand schien wirklich überrascht, aber es wirkte auch niemand erfreut über diese Möglichkeit.

 

„Laßt mich versuchen, Eure Gedanken zusammenzufassen“, sprach Celeborn nach einer Weile. „Die Kobolde und Spinnen, die an dem Angriff in Eregion beteiligt waren, wurden nicht von Gorthaur gelenkt, der, wie die Nandor uns versichert haben, nicht aus dem Süden zurückgekehrt ist. Statt dessen hat Euer Totenbeschwörer irgendwie mit ihm Kontakt aufgenommen, sich mit ihm verbündet, ist in seine Geschöpfe gefahren und hat sie die Schätze der Zwerge stehlen lassen. Kommt das so ungefähr hin?“

 

„Er ist nicht mein Totenbeschwörer“, murmelte Erk halb beschämt, halb beleidigt. Dann nickte er zustimmend.

 

Celeborn wiegte zweifelnd den Kopf. „Was hältst du davon?“ fragte er den Noldo.

 

Dieser starrte düster vor sich hin. „Nehmen wir an, daß es sich so verhält. Wie paßt die Tochter Ungoliants in diesen Plan?“

 

„Ich weiß nicht recht“, überlegte Celeborn, „Aber vielleicht würde das erklären, warum sie die Schätze nicht einfach verschlungen hat?“

 

Jetzt räusperte sich Hamfast. „Sagtet Ihr nicht, sie würde damit verhandeln wollen?“ Er sah den Menschen mit großen, wißbegierigen Augen an.

 

„Es war eine Vermutung, weiter nichts“, wehrte Erk etwas verlegen ab. „Es ist auffällig, daß sie die Kostbarkeiten verschont hat. Sie muß also etwas anderes damit beabsichtigt haben. Denke ich. Doch tatsächlich habe ich nicht die leiseste Ahnung, was im Kopf eines solchen Ungeheuers vorgeht.“

 

„Spinnen wir den Gedanken also weiter“, sinnierte Celeborn, den gequälten Gesichtsausdruck Celebrimbors aufgrund seiner Wortwahl ignorierend. „Dieses Untier sollte die Schätze Gorthaur überbringen, der sie gemäß ihrer Legende gegen das Volk der Zwerge zu benutzen gedachte. Wozu, das nehmen wir einmal so an, der Totenbeschwörer selbst nicht in der Lage war, da er sonst der Hilfe Gorthaurs nicht bedurft hätte. Die Spinnenkreatur hat bei dem Versuch versagt und ist in Furcht vor dem Zorn Gorthaurs geflohen.“ Er schwieg kurz. „Und dann flieht sie ausgerechnet nach Süden? In die Arme dessen, dessen Erwartungen sie enttäuscht hat?“

 

„Das scheint mir auch nicht logisch“, stimmte Celebrimbor ihm zu.

 

„Vielleicht ist sie auch nur kopflos in die einzig freie Richtung geflohen!“ brummte Durin. „Ich stimme dem Mann zu“, er deutete auf Erk, „Wir wissen nicht, was in dem Kopf dieses Biestes vor sich geht. Und ob es überhaupt zu komplexeren Gedankengängen fähig ist.“

 

„Oder...“ mischte Hamfast sich vorsichtig ein, sich an die Versteckspiele aus seiner Kindheit erinnernd, „sie versucht sich in seiner Nähe zu verstecken, weil sie der Annahme ist, daß er sie dort am allerwenigsten vermuten und suchen wird.“

 

Celeborn schmunzelte leise. Celebrimbor grinste offen. Erk wirkte verwirrt. Durin schlug sich mit einem polternden Lachen auf die Oberschenkel. „Das, Herr Hamfast, ist eine interessante Theorie“, dröhnte er.

 

„Zumindest ist das alles eine sehr vage Theorie“, zweifelte Celeborn, „und zwar von Anfang an.“

 

„Ach, völlig egal“, polterte Durin abwehrend, „Wir haben unsere Schätze zurück. Wir haben den Plan, wie auch immer er gelautet haben mag, vereitelt. Wenn auch unter schmerzhaften Verlusten“, fügte er hinzu. Er atmete geräuschvoll ein und aus. „Laßt uns nach Hause gehen!“ forderte er die anderen dann auf.

 

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* Sindarin für Sauron

 

 

~*~

 

 

 

zurück     wird fortgesetzt

 

 

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