Zukünftige
Mittelerde-Reisende wird es vielleicht interessieren zu erfahren, daß ich
tatsächlich ein Mittel zur Zahnpflege gefunden hatte. Es handelte sich hierbei
um eine recht eklige Kräuterpaste, die die lieben dem Fortschritt so
verschlossenen Halblinge seit vielen Generationen gerade so und nicht anders
herstellten, ohne jemals auf den Gedanken gekommen zu sein, etwas an dem
gräßlichen Geschmack zu verändern. Immerhin, sie wirkte. Man verteilte sie
einfach mit den Fingern so gut es ging über die Zähne, ließ es ein paar Minuten
einwirken, was bei dem widerlichen Zeug wirklich einiger Überwindung bedurfte,
und spülte es dann mit Wasser aus. Und sowas vor dem Frühstück! Ich rieselte
mich und gurgelte nochmal energisch, um die letzten Reste zu entfernen.
Nach
meiner langen Aussprache mit Lindor fühlte ich mich erfreulich leicht und
ausgeglichen. Lindor hatte sich als guter Zuhörer erwiesen und was noch wichtiger
war, als verständnisvoller Freund. Es war ihm ganz selbstverständlich gewesen,
daß unser Gespräch vertraulich blieb, und in seiner überlegenen Art hatte er
mir seine Hilfe angeboten.
Die
bestand zunächst darin, daß er mir seine Vermutung – es war eigentlich eher die
Gewißheit – mitteilte, daß Radagast nirgendwo anders als in Lórien gewesen sein
konnte. Es war ein Fußmarsch von ungefähr 50 Tagen bis dorthin und er war jetzt
nur wenig länger fort. Wenn er also wirklich in dem Gebiet um den goldenen Wald
war, hatte er keine Zeit gehabt, einen weiteren oder möglicherweise entfernter
gelegenen Ort aufzusuchen Was auch immer er so Dringendes zu erledigen gehabt
hatte, es hatte ihn zu den Galadhrim geführt.
Das
bedeutete auch, daß er nicht vor weiteren 50 Tagen hier sein konnte, es sei
denn, er hätte sich ein Reittier besorgt, was unwahrscheinlich war und
vorausgesetzt, er machte nicht noch einen Abstecher. Es blieb uns also eine
Menge Zeit, eigene Nachforschungen anzustellen. Eine Herausforderung, die
Lindor sehr willkommen schien, während ich selbst davon alles andere als erbaut
war.
Ich band
meine Haare mit dem selbst zusammengenähten Gummi zurück, als es leise an der
Tür kratzte.
„Minno!
Komm schon rein, Lindor. Wie oft soll ich dir noch sagen, daß du nicht
anzuklopfen brauchst!“
Ein
dunkler Haarschopf erschien in der Tür und der Elb blickte sich erst vorsichtig
um, bevor er den restlichen Körper nachschob. Vor einigen Tagen hatte ich ihn
hereinkommen geheißen, als ich nur mit dem Badetuch umwickelt vor dem
Frisiertisch stand. Seine Reaktion hatte mich belehrt, daß dies in Mittelerde
nicht unbedingt die übliche Empfangstoilette darstellte.
„Es
schickt sich nicht“, erwiderte er hölzern.
„Komm
schon! Wie alt sagtest du, bist du? Ungefähr“,
ich zog die Zeitangabe ironisch in die Länge, „achttausend Jahre! Du warst
verheiratet, hast zwei Kinder...“, zählte ich an den Fingern auf.
„Drei.“
„...und
willst mir erzählen, daß eine nicht mal ganz nackte Frau dir die Schamröte ins
Gesicht treibt? Oder liegt es daran, daß die Frauen, die du bisher gesehen hast
alle vollkommen waren?“ Ich lachte neidlos. Seit meiner langen Beichte hatte
ich keine Probleme mehr mit meiner Mittelmäßigkeit.
Ich
betrachtete kritisch meine Frisur im Spiegel und strich das Kleid an der Hüfte
glatt, als mir sein Einwand auffiel. „Drei?“
„Ja,
drei. Ich hatte noch eine Tochter. Sie starb mit ihrer Mutter.“
„Tut mir
leid.“
„Aber du bist nicht meine Frau und auch nicht
meine Tochter. Noch bist du nicht einmal
die Gattin meines Sohnes.“ Er trat hinter mich und maß mich mit väterlich
abschätzendem Blick, der seine Worte Lügen strafte.
„Du
solltest lernen, deine Haare vernünftig zu binden.“ Er zupfte mißbilligend an
meinem Zopf. „Das sieht furchtbar aus!“
„Oh,
danke!“ Ich zog eine Schnute und boxte ihm mit dem Ellenbogen in den Magen.
„Dann zeig mir doch wie. Deine Haare
sind immer soo tadellos!“ Ich zog das Gummi heraus und hielt ihm demonstrativ
den Hinterkopf entgegen. Er begann meine Haare zu ordnen und gleichzeitig zu
erzählen.
„Also,
ich habe herausgefunden, daß Elrond eigentlich gar nichts über dich weiß.“
„Wie?“
„Das tut
nichts zur Sache. Radagast hat ihm erzählt du seist ein Menschenkind, das unter
seinem Schutz durch den Düsterwald reisen soll. Dies war aber bisher nicht
möglich, da der Paß völlig verschneit war.“
„Wenn dem
so ist, wie ist er dann nach Lórien gekommen? Und wieso hat er mich nicht
gleich beim Eintritt in eure Welt in den Düsterwald gebracht?“
„Zauberer
haben ihre eigene Art, Hindernisse zu überwindern und dem Wetter zu trotzen,
denke ich. Und sie haben ihre eigene Manier, die Dinge anzugehen.“
„Ja,
wahrscheinlich...“ Ich blinzelte. „Wieso durch
den Düsterwald?“
„Er hat
Meister Elrond gesagt du hättest Verwandte in Esgaroth, die du besuchen
willst.“
Ich
glotzte sein Bild im Spiegel dümmlich an. „Das ist alles? Das ist wirklich
alles, was Elrond weiß?“
„Ich
fürchte ja.“ Lindor schloß sein Werk ab und betrachtete es zufrieden. Er hatte
mir die vorderen Haare in zwei dünnen Strähnen nach hinten gebunden. Wie,
konnte ich nicht erkennen und tastete vorsichtig mit der Hand danach.
„Besser“,
behauptete er.
„Wenn du
meinst...“ Ich rümpfte die Nase und verrenkte den Kopf. Das Befühlen hatte
keine neue Erkenntnis gebracht, weil Lindor meine Hand zu frühzeitig mit der
seinen verscheucht hatte.
„Was hast
du gemacht?“ begehrte ich zu wissen.
„Sie
zusammengebunden.“
Oh, toll!
Hätte ich nicht gedacht.
Natürlich
machte er keine Anstalten, sich näher zu erklären.
Dämlicher
Elb!
„Und was
machen wir jetzt?“
„Frühstücken?“
Ich
drehte mich schwungvoll zu ihm herum und sah ihn mit vorwurfsvoll in die Höhe
gezogener Braue an. „Bist du ein Hobbit?“ fragte ich trocken.
Er
grinste entwaffnend und ich rang die Hände zur Decke. Oh ihr Valar! Wie konntet
ihr mir das antun? Gegen den Charme dieser verboten wohlgestalteten Wesen war
ich einfach machtlos. Wo war meine emanzipierte Überlegenheit geblieben und wo
mein rebellischer Widerstand? Ein Lächeln genügte und ich verwandelte mich ein
schnurrendes Kätzchen und fraß diesem Inbegriff eines Mannes aus der Hand!
„Wir
können im Moment weiter nichts tun, als abwarten.“ Er bot mir seinen Arm und
ich hängte mich automatisch bei ihm ein. „Es sei denn, du willst, daß ich dich
gleich heute zum Düsterwald bringe.“
„Das
würdest du tun?“ gurrte ich.
Er
antwortete nicht und hielt mir die Tür auf.
„Ich
wüßte gerne, ob wenigstens Galvorn informiert ist.“ Ich seufzte. Was hätte ich
jetzt für ein Handy gegeben! Aber hier hatte der Fortschritt der Technik ja
leider noch keinen Einzug gehalten. So wenig ich bisher meine Stereoanlage, den
Fernseher oder gar meinen Toaster vermißt hatte, so sehr wünschte ich mir jetzt
ein Telefon oder ein Funkgerät oder meinetwegen auch ein Telegraphennetz
herbei!
„Ich
könnte ihn fragen“, warf Lindor ein.
„Ich
wünschte, ich hätte ein Handy!“ plapperte ich gedankenverloren und schüttelte
im Anschluß den Kopf. „Vergiß es!“ Ich spürte ein fragendes Augenpaar auf mir
ruhen und brauchte eine Weile bis mir auffiel, daß ich wiederum in meine
Muttersprache zurückgefallen war. Also wiederholte ich meinen Wunsch auf
Elbisch, wobei ich die Bezeichnung für das schnurlose Telefon natürlich so
beibehalten mußte.
„Was ist
das?“
„Das
ist... naja... Also das ist so ein kleines Kästchen. Wenn ich eins hab und du
hast auch eins, dann kann ich darüber mit dir sprechen, auch wenn du ganz
woanders bist.“ Oder so... Aber wie sonst sollte ich das jemandem erklären, der
in dieser Hinsicht auch nicht über die geringsten Grundkenntnisse verfügte?!
Lindor
hob konzentriert seine linke Augenbraue. Genau so, wie ich das immer tat. Und
er tat es absichtlich, um mich zu ärgern. „Soso“, sagte er ernst und begann
ganz plötzlich zu lachen.
„Das ist
nicht witzig! Ich wünschte, ihr wärt hier so fortschrittlich!“ murrte ich und
verschränkte die Arme vor der Brust.
Der Elb
ulkte weiter: „Ihr habt ein Gerät dafür? Sehr
interessant!“
„Ja, und
vor allem praktisch!“
„Umständlich“,
verbesserte er mich gutmütig.
Hä? Was
sollte jetzt dieser Gesinnungsumschwung und was bitte schön sollte daran
umständlich sein. Der hatte doch gar keine Ahnung, worum es dabei ging! Dachte
ich. Ich dachte falsch, wie er mir sogleich bewies.
An Ort
und Stelle blieb er stehen und schloß einfach die Augen. Ich weiß nicht genau,
was er da tat, aber er wirkte sehr konzentriert dabei. Ganz allmählich dämmerte
es mir.
Osanwe-kenta.
Gedankenübertragung. Ich hatte nie wirklich verstanden wie sie funktionierte
und wer sie in welchen Fällen anwenden konnte. Ein Kriterium war die nahe
Verwandtschaft, wußte ich. Nun, von Vater zum Sohn war wohl dicht genug dran.
Fasziniert beobachtete ich Lindor, der sich völlig in sich zurückgezogen hatte
und wie in Marmor gemeißelt dastand. Ich legte den Kopf schief und grinste
anzüglich. Nie hatte ich besonderen Gefallen an Statuen finden können und hatte
sie selten beachtet, wenn ich ihnen in einem Park begegnete. Diese Statue jedoch hätte ich sofort in
mein Zimmer gestellt! Ich kicherte albern und zwang meine Gedanken in
sittlichere Bahnen.
Je länger
Lindors Zustand anhielt, desto ungeduldiger wurde ich. Als er endlich wieder
die Augen öffnete, zappelte ich bereits herum wie ein kleines Kind kurz vor der
Ankunft des Weihnachtsmanns.
„Und?“
Sag doch endlich etwas! Steh nicht so stocksteif herum! Hier bin ich! Ich
bewegte die flache Hand vor seinem Gesicht hin und her. „Wieso hat das denn so
lange gedauert?“
„Er mußte
sich erst frei machen.“ Lindor zuckte die Achseln und erklärte mir ein wenig
befangen, daß mein vielbeschäftigter Zukünftiger erst noch die Windeln von
Thranduils Neffen wechseln und seiner Großnichte das Fläschchen geben mußte,
bevor er sich auf das Gespräch mit seinem Vater hatte konzentrieren können.
Dabei lernte ich gleich mehrere äußerst interessante Vokabeln. Weit fesselnder
waren allerdings die Gebärden, mit denen Lindor sie mir verständlich machte.
Ich preßte die Hand auf meinen Mund und wußte nicht, was ich amüsanter finden
sollte, die Vorstellung eines athletischen Elben bei der Kleinkindpflege oder
seinen Vater in Erklärungsnöten. Jedenfalls würde ich mich nie wieder über
einen Mangel an Emanzipation in Mittelerde beklagen!
„Er läßt
dich schön grüßen.“
Hach! Ich
schmolz dahin. „Also weiß er von mir“, murmelte ich erleichtert.
„Leider
nein...“
Nein? Nicht?
Ich glotzte Lindor glanzlos an und war dankbar, daß er mir haltgebend unter die
Arme griff. Das war jetzt doch ein dummer Witz, oder?
„Das kann
nicht sein! Radagast hat gesagt, er hat es akzeptiert, daß ich ein Mensch bin
und...“
„Du mußt
ihn falsch verstanden haben.“
„Hab ich
nicht!“ fauchte ich böse. „Er hat in meiner
Sprache gesprochen! Ich hab Elrond falsch verstanden, weil ich eure Sprache
nicht ausreichend beherrschte, aber Radagasts Worte waren eindeutig. Er sagte,
er hätte den Willen Eurs in dieser Angelegenheit anerkannt und das bedeutet,
daß er ihm von mir erzählt haben muß!“
„Dennoch
weiß er nichts.“ Lindor hob bedauernd die Hände und versuchte mich vergeblich
zu beruhigen.
„Dann ist
er ein... ein...!“ Ich schnaufte wütend aus. >Trottel< hatte ich sagen
wollen. Gleich heute Nachmittag würde ich Bilbo bitten, mir ein paar
Schimpfwörter beizubringen!
„Willst
du dir nicht erst anhören, was ich erfahren habe?“
Ich hob
trotzig das Kinn und gab einen zustimmenden Laut von mir.
„Die
einleitenden Worte erspare ich dir. Sie tun nichts zur Sache und dienten nur
dazu, nicht gleich mit – wie hast du dich neulich ausgedrückt? – mit der Tür
ins Haus zu fallen.“ Er grinste scheel und ich brummte genervt. „Dann habe ich
ihm erzählt, daß wir seit einiger Zeit eine sehr bemerkenswerte junge
Menschenfrau zu Besuch haben. Eine Bekannte Radagasts, die im Frühjahr mit dem
Istar durch den Düsterwald reisen will.“ Er schwieg und schüttelte
andeutungsweise aber bestimmt den Kopf. „Glaube mir, er hätte nachgefragt, wenn
er Kenntnis davon hätte.“
„Was hast
du sonst noch erfahren?“ fragte ich tonlos.
„Ja, das
ist ungewöhnlich...“ Nachdenklich setzte er sich wieder in Bewegung, die Hände
im Rücken gefaltet und den Blick zu Boden gerichtet.
Ich
zockelte neben ihm her. Die Enttäuschung hatte einen bitteren Geschmack auf
meiner Zunge hinterlassen, der sogar die Kräuterpaste der Hobbits übertünchte.
„Vielleicht
läßt du mich an deinen Gedanken teilhaben?“ Oh Mann, klang ich desinteressiert!
Aber was sollte mich jetzt schon noch vom Hocker reißen!
„Vor ein
paar Tagen kam ein Bote aus Lothlórien im Palast an. Ein Eilbote Galadriels.“
Ich
winkte müde zum Zeichen, daß er weitersprechen sollte.
„Er lud
ihn ein, die Herrin des Goldenen Waldes zu besuchen.“ Lindor blies entrüstet
die Luft aus. „Mit anderen Worten sie befahl ihm zu kommen!“
„Galvorn?
Kann sie das denn? Ihm befehlen, meine ich?“ Irgendwie reizte mich das Thema
jetzt doch.
Lindor
murmelte etwas, das sehr nach einer Verwünschung klang und atmete tief durch.
„Nicht eigentlich.
Aber es ist stets unratsam, den ausdrücklichen Wunsch eines Herrschers zu
mißachten – oder einer Herrscherin. Und Galadriel kann sehr ungehalten werden,
wenn man ihren Willen nicht respektiert.“
„Was kann
sie von ihm wollen?“ Erwartete Galadriel Nachwuchs? Oder wollte sie ihre
Kindermädchen zu ihm in die Lehre schicken? Ich lachte humorlos.
Lindor
schien die Sache aber doch ernster zu nehmen. „Letzten Sommer war er dort. Er begleitete
eine angesehene Familie zu einem Besuch nach Lórien. Es ist nicht üblich, daß
Hohe Herrschaften einem Diener mehr Aufmerksamkeit schenken als nötig.“
„Taten
sie das denn?“
„Galadriel
tat es. Sie war so interessiert an ihm, daß es zu einem äußerst unliebsamen
Auftritt gekommen ist.“
Das klang
nach einem herrlichen Skandal! Gespannt sah ich zu ihm auf. „Was ist passiert?“
Zu meiner
großen Enttäuschung winkte Lindor ab, als wolle er sich nicht den Mund
verbrennen.
„Viel
bemerkenswerter ist, daß sie ihn unbedingt dazu bringen wollte, in ihren
Spiegel zu sehen.“ Lindor blieb stehen und sah mir fest in die Augen. „Du
weißt, was das bedeutet?“
Öhm, der
Spiegel... Nein, den durfte ich nicht auch noch kennen. Viel zu auffällig. Ich
schüttelte also möglichst unwissend den Kopf obwohl ich mich gar nicht gut
dabei fühlte, ihn offen anzulügen.
Also
erklärte Lindor mir die Funktion dieser magischen Wasserschüssel. „Galadriel
empfindet ebenfalls, was derjenige erblickt, der in den Spiegel sieht“, schloß
er. „Manchmal versucht sie durch die Person, die hineinsieht, etwas zu
erfahren.“
„Hat er
hineingesehen?“
„Nein.“
Wir
hatten jetzt den Speisesaal erreicht und blieben vor der Tür stehen, während
die anderen Elben an uns vorbeiströmten.
„Elanor?
Sie wird kaum an Galvorns erzieherischen Qualitäten interessiert sein.“
„Denkst
du, daß sie es jetzt noch einmal versuchen will? Nachdrücklicher vielleicht?“
Ich konnte nicht verhindern, daß mir die Stimme zitterte. Mir war da gerade ein
ganz furchtbarer Einfall gekommen. Was, wenn Galadriel etwas wußte oder ahnte?
Ich schwankte und lehnte mich mit dem Rücken an die glatte Steinwand.
„Elanor!“
beschwor Lindor mich mit eindringlicher Stimme. „Was verschweigst du mir? Ich
kann dir nur helfen, wenn du mir alles sagst.“
Das würde
ich gerne Lindor. Wirklich!
„Ich
verschweige nichts.“ Ich zuckte die Schultern und wußte gleichzeitig wie
gespielt ich rüberkam. „Schließlich kann ich doch nichts für die Neugierde
einer alten Frau, oder?“
„Nein,
aber vielleicht vermagst du es, diese anzufachen.“ Er sah mich mißtrauisch von
der Seite her an.
„Wenn sie
erfahren hat, daß ich aus einer anderen Welt komme, reicht das für sie doch
bestimmt aus, vorwitzig zu sein, oder?“
„Ja, nur
hätte sie in diesem Fall nach dir gesandt.“
Ich
schürzte die Lippen und dachte angestrengt nach.
„Vielleicht
wußte sie nicht, wo ich zu finden war?“
Lindor
wiegte zweifelnd den Kopf.
„Wird
Galvorn gehen?“ fragte ich ängstlich. Was und wieviel konnte sie über ihn
erfahren?
„Laß uns hoffen,
daß Thranduil einen seiner ungnädigen Tage hat. Er mag >das blonde
Weibsbild< nicht sonderlich.“ Er grinste boshaft, ergriff mich am Arm und
schob mich ein wenig rüde in den Saal. Er glaubte mir nicht und ließ mich das
nur allzu deutlich spüren. Sein vorwurfsvoller Blick folgte mir bis zu meinem
Platz an der Tafel. Obschon ich ihn nicht sehen konnte, spürte ich ihn wie ein
heißes Eisen auf meiner Haut.
Bilbos
freundlichen Morgengruß beantwortete ich schläfrig wie jeden Morgen und goß mir
erst einmal einen heißen Tee ein. Grübelnd starrte ich in meine Tasse und
verfolgte gedankenverloren eine winzige Luftblase. Die Bestrebung, meine
Kopfarbeit auf das eben geführte Gespräch mit Lindor zu konzentrieren,
scheiterte an meiner Müdigkeit.
„Du
kommst doch heute Nachmittag in die Bibliothek? Ich habe Erestor davon
überzeugt, daß zu einem richtigen Studium nicht nur die Nahrung für den Geist
gehört, und er hat uns erlaubt, eine kleine Stärkung mitzubringen.“
Ich
prustete in meinen Tee und mußte mir erst den Mund abwischen, bevor ich
antworten konnte. Eigentlich war es in der Bibliothek strengstens verboten,
Speisen oder Getränke mitzubringen. Erestor fürchtete wohl um den Zustand
seiner hochwissenschaftlichen Werke. Sollte es mich wundern, daß es ein Hobbit war,
der ihn dazu überredet hatte, seine strengen Prinzipien zu verleugnen?
„Ich weiß
noch nicht. Laineth will, daß ich heute endlich diesen Bettbehang fertig
bekomme.“ Ich stöhnte. Es war wahnsinnig zeitaufwendig, die langen Nähte alle
von Hand umzunähen. Besonders dann, wenn die Elben für gewöhnlich kleinere
Stiche machten, als die Nähmaschine meiner Mutter. Laineth war sehr genau
darauf bedacht, daß ich ordentlich arbeitete und bestand darauf, daß ich meine
Arbeit so oft immer wieder auftrennte, bis sie ihren Idealvorstellungen
genügte.
Ich
konnte jetzt schon keine Nadeln mehr sehen. Dabei hatte Laineth mir
freudestrahlend mitgeteilt, daß ich danach eine neue Naht lernen und auch
kleine Verzierungen sticken dürfte. In einigen Jahren schon könnte ich dann
auch schwierigere Arbeiten angehen. Wohlgemerkt: in einigen Jahren! Die
Unsterblichkeit langweilte mich jetzt schon und dabei hatte ich noch nicht
einmal etwas davon gemerkt...
„Und
Lindor wollte mir wieder Unterricht geben.“ Zaghaft sandte ich meinen Blick ans
andere Ende des Saales, wo ich Lindors Platz wußte. Mir war, als betrachtete er
mich noch immer mit Mißtrauen.
~*~