Mein
Abschiedskomitee hatte sich zeitig vor dem Außentor Bruchtals eingefunden. Es
war früh am Morgen, eigentlich eher mitten in der Nacht. Jene Tageszeit zu der
der dunstige Nebel noch auf den Wiesen liegt, die Dunkelheit träge dem ersten
vagen Glimmen nahenden Lichtes weicht und die Vögel die einzigen Lebewesen
sind, die bereits den Schlaf meiden und die noch abwesende Sonne mit ihren
munteren Gesängen begrüßen, lange bevor sie sich im fernen Osten über dem
Horizont erhebt.
Die
Mitglieder der würdevollen Versammlung waren in feierlicher Stimmung und
natürlich ein wenig melancholisch wie sich das für einen ordentlichen Abschied
gehörte. Die Gruppe bestand aus drei Personen: Bilbo, Liriel und Lindor. Um
ehrlich zu sein, ich war gerührt, daß sich überhaupt jemand um meinen Fortgang
bekümmerte und nun hatte auch noch jeder von ihnen ein Geschenk für mich.
Liriels Gabe hatte sie mir bereits am gestrigen Abend überreicht: praktische
Kleidung - Hose, Bluse und Jacke aus robustem Leder - die eindeutig nicht für
mich maßgeschneidert war, was aber nicht weiter störte. Die Bluse war im
Frontbereich ein wenig unausgefüllt und den Hosenbund hatten wir ein Stück
erweitern müssen. Jetzt saß das ganze recht passabel.
Als ich
in dieser schicken, neuen Montur auf die drei zukam, nicht recht sicher, wie
ich mich verhalten sollte und ob eine freundschaftliche Umarmung angebracht
oder eher unschicklich war, streckte Bilbo mir strahlend seine Ersatzpfeife
entgegen, die ich ihm aufgrund meines bevorstehenden Aufbruchs zurück gebracht
hatte. Freudig nahm ich sie an und bekam auch gleich noch einen recht großzügig
gefüllten Tabakbeutel dazu. Bilbo war so offensichtlich glücklich darüber, mir
etwas schenken zu dürfen, daß ich einfach nicht anders handeln konnte. Aus einem
Impuls heraus ließ ich mich auf ein Knie nieder und umarmte den kleinen Kerl
dankbar. Tränen der Rührung drängten in meine Augen und ich bekam nur ein
verschnupftes „Danke!“ heraus, obwohl mein Herz förmlich überquoll und ich so
viel mehr hätte sagen wollen.
Bilbo
tätschelte mir kameradschaftlich die Wange. „Daß du mir auch schön alles
aufschreibst, was du erlebst, hörst du?“
Ich
lachte. „Es wird kaum ausreichen, daraus ein solch spannendes Buch zu
schreiben, wie das deine.“
„Ein
spannendes nicht, aber bestimmt ein humorvolles“, stänkerte Lindor. Der Elb
hielt ein längliches Etwas in der Hand, das mit einer grobfaserigen Decke
umwickelt war.
Ich erhob
mich umständlich, weil ich es irgendwie fertig gebracht hatte, auf den unteren
Saum der über knielangen Jacke zu treten und streckte ihm frech die Zunge
heraus. Eine völlig unangebrachte und kindische Geste, die in diesem Moment
aber meine Unsicherheit kaschieren und verhindern sollte, daß ich in enthemmtes
Schluchzen ausbrach. Ich fühlte mich, als würde ich ein Stück meines Lebens
hier zurücklassen. Dabei war ich normalerweise gar nicht so empfänglich für
gefühlsselige Verabschiedungen.
„Eigentlich
sollte es noch einige Verzierungen erhalten, doch dazu reichte meine Zeit nicht
aus. Seinen Dienst wird es auch so tun und ich werde es fertigstellen, wenn wir
uns wieder sehen.“
Wenn wir uns wiedersehen... Ich
schniefte, fuhr mit dem Finger unter der Nase entlang und zog recht undamenhaft
die Nase hoch.
Dann nahm
ich Lindors Päckchen in Empfang. Die Form hatte bereits einen Verdacht in mir
geweckt, den ich nun durch das Tuch bestätigt fühlte. Gespannt hielt ich den
Atem an, als ich die schlanke Waffe auswickelte. Es war noch zu dunkel um viel
zu erkennen, nur daß es sich um ein handliches Schwert handelte, nicht so
riesig wie Lindors Mordinstrument, das für mich selbst bei meinen Übungsstunden
weit gefährlicher gewesen war, als es für etwaige Gegner jemals geworden wäre.
Diese Waffe hier war genau auf mich abgestimmt bemerkte ich, kaum daß sich
meine Hände um sie legten. Es war, als hätte sie nur darauf gewartet, von mir
berührt und als sehnte sie sich danach, von mir in Besitz genommen zu werden.
Ohne mein bewußtes Zutun glitt die Schneide fließend aus der ledernen Halterung
und beschämt schob ich sie gleich darauf wieder zurück. Das Metall war leicht
wie eine Feder!
„Das ist
viel zu wertvoll für mich“, murmelte ich mit andächtigem Schock, doch der Elb
schloß seine kräftigen Hände bestärkend um die meinen, die das Schwert in der
Mitte der Hülle umklammerten.
„Nicht
annähernd so wertvoll wie du mir bist“, flüsterte Lindor warm. Ich schluckte
schwer und schloß für einen kurzen Moment die Augen. So leise, daß nur ich ihn
hören konnte, fügte er hinzu: „Oder meinem Sohn.“
Das war
zuviel für mich. Schluchzend warf ich mich in seine Arme. Seinem Sohn? Galvorn
wußte nicht einmal, daß ich existierte!
Lindor
zog mich sanft an sich und vergrub meinen Kopf unter seinem Kinn. „Paß auf dich
auf, hörst du?“
Ich
quietschte einen schrägen Laut, von dem ich selbst nicht wußte, ob er
zustimmend oder abweisend klingen sollte und fühlte, wie Lindors Hemd langsam
unter meinen Tränen durchnäßte. Plötzlich böse auf mich selbst stieß ich mich
von ihm ab und wischte energisch aber nicht besonders effektiv die Tränen von
meinem Gesicht. Was war denn heute los mit mir? Diese Gefühlsduselei paßte
überhaupt nicht zu mir. Seit ich in Mittelerde war, schwankte mein
Gemütszustand wie eine Nußschale in einem mittelschweren Gewittersturm. Das
mußte irgend etwas mit der Umstellung meines Hormonhaushalts zu tun haben oder
was auch immer für die Aufgabe meines sterblichen Ichs zuständig war, entschied
ich.
Während
Lindor mir behilflich war, das Schwert oder besser gesagt dessen Hülle an
meinem Gürtel zu befestigen, hörte ich, wie sich hinter mir das dumpfe, für
meine menschlichen Ohren kaum hörbare Stampfen unbeschlagener Hufe näherte. Ich
schielte über die Schulter zurück, konnte aber nichts erkennen.
„Wer
kommt da?“ fragte ich den Elben, der gerade die Schnalle schloß und den
überstehenden Lederzipfel zweimal um den Anfang wickelte.
„Das bin
ich“, antwortete statt dessen eine vertraute Stimme in meiner Muttersprache.
Als ich
mich umdrehte sah ich Radagast auf uns zukommen, der zwei Pferde hinter sich
herführte. Einen Braunen und einen Schimmel, der so weiß leuchtete, als würde
er von innen heraus scheinen.
„Und das
ist Brasfaloth“, sagte er und hielt mir die Zügel des letzteren hin. Naja, eher
eine dünne Schnur. Konzentriert achtete ich darauf, sie nicht zu verfehlen, da
ich sie sonst im Halbdunkeln wahrscheinlich nicht wiedergefunden hätte, und
verpaßte über dem Bemühen Radagasts Worte.
„Äh,
wer?“ Ich hatte mich sicher verhört.
„BRASfaloth“,
betonte der Istar, der meine Gedanken gelesen haben mußte.
„Oh,
toll.“ Ich tätschelte dem schönen Tier vorsichtig den geschmeidigen Hals. „Ich
hatte schon Angst du wolltest mich dazu verleiten, Glorfindels Pferd zu
stehlen.“ Ich kicherte albern und natürlich verstand der Alte den Witz nicht.
Fanfiction schien er jedenfalls keine zu lesen.
„Du weißt
aber schon, daß es Jahre her ist, seit ich das letzte Mal in einem Sattel
gesessen habe, oder?“
Der
Gedanke an einen mehrtägigen oder –wöchentlichen Ritt wollte mir nicht so ganz
behagen. Mein persönlicher Rekord lag irgendwo um die drei Stunden und ich
konnte mich leider nur zu gut daran erinnern, daß mir danach sämtliche Muskeln
wehgetan hatten, oder zumindest einige mehr als ich überhaupt zu besitzen
geglaubt hatte.
„Das
macht nichts.“ Radagast klang amüsiert. „Er trägt gar keinen.“
„Oh...“ Na toll. Mit anderen Worten mich würden
spätestens heute Abend außerdem noch ein paar Knochen schmerzen. Ich stöhnte.
„Muß das sein?“
„Warum so
pessimistisch, kleine Blume? Du wolltest doch unbedingt das Reiten erlernen.
Und zwar richtig. Nicht so stümperhaft wie bisher“, zitierte er mich ironisch.
„Ja,
schon. Aber dabei hatte ich eigentlich keinen Crashkurs im Sinn“, maulte ich
und beachtete Radagasts unausgesprochene Frage nicht.
„Wir haben
es eilig“, brummte er daraufhin unzufrieden, „Also hör auf zu nörgeln und steig
auf.“
Das war
allerdings wesentlich leichter gesagt als getan. Mit den besten Absichten trat
ich neben das Pferd und vergrub meine Linke in die füllige Mähne. Jetzt ein ordentlicher
Schwung mit dem rechten Bein über die Kruppe und... ja, denkste. Gleich im
Ansatz bemerkte ich, daß das nichts werden konnte. Mein Abstoß war nicht
kräftig und nicht koordiniert genug. Doch um die Bewegung wieder abzufangen,
war es schon zu spät. Also trat ich dem armen Tier ganz beherzt in den Hintern.
Danach ging alles so schnell, daß ich nicht recht wußte, was im einzelnen genau
passiert war. Jedenfalls fand ich mich auf dem Boden sitzend wieder, die Haare
zerzaust und spürte den feuchten Atem des ungehalten schnaubenden Pferdes im
Gesicht.
„Ähm...“
Oh Mann, war das peinlich! Hinter mir klang es gefährlich nach zwei in Atemnot
geratenen Elben. Der Hobbit war weniger rücksichtsvoll. Er begann schallend zu
lachen, woraufhin auch die Erstgeborenen sich nicht mehr zurückhalten konnten.
Nur
Radagast gab keinen Laut des Amüsements von sich. „Das fängt ja gut an...“
„Hey! Du
wolltest schließlich, daß ich auf dieses Pferd steige!“ verteidigte ich mich
beleidigt.
„Ganz
recht. Du solltest aufsteigen. Du solltest nicht versuchen, es vor dir her zum
Düsterwald zu treten“, erwiderte er trocken und bot mir seine Hand.
„Schon
gut, schon gut.“ Ich klopfte vorsichtshalber den für mich unsichtbaren Staub
von der Kleidung. Wenigstens war ich weich gelandet, wenn ich auch nicht sagen
konnte worauf. Irgendwie wollte ich das auch gar nicht wissen. Es hatte sich
seltsam angefühlt. Hätte es nur ein wenig strenger gerochen, hätte ich darauf
geschworen, daß ich den Bestimmungsort der elbischen Abflußanlagen entdeckt hatte.
Angewidert rümpfte ich die Nase. Vielleicht war dies der Grund, weshalb hier
solch stark duftende Büsche blühten.
Über
diesen tiefsinnigen Grübeleien hatte mein erheitertes Publikum sich wieder
entspannt, wofür im Gegenzug Radagast in unruhigem Takt mit dem Fuß auf den
Boden stampfte. Schön. Jetzt mußte ich also erstmal meine Schnur wiederfinden.
Ziellos suchte ich in der Luft herum, irgendwo unter dem Pferdekopf, wo ich das
Ding vermutete. Es dauerte eine ganze Weile bis ich auf die Idee kam, es mal
dicht am Maul zu versuchen und noch etwas länger, bis ich mir sicher war, daß
Brasfaloth mir nicht aus Rache einen Finger abbeißen würde. Aber der Hengst –
oder Wallach, wer konnte das im Dunkeln schon entscheiden - schien eher
neugierig als böse. Verwundert betrachtete er mein Tun und legte dabei Kopf und
Ohren schief. Es war offensichtlich, daß er keine besonders schmeichelhafte
Meinung von mir hatte.
Wenig
später saß ich glücklich und stolz auf seinem Rücken. Daß ich dies nicht meiner
Geschicklichkeit sondern Lindors Hilfe zu verdanken hatte, interessierte mich
in diesem Augenblick herzlich wenig. Nach einigen freundschaftlichen Worten auf
beiden Seiten, folgte ich Radagast zum großen Tor hinaus. Tränen liefen mir
über die Wangen und zum ersten Mal an diesem Morgen war ich froh über die
Dunkelheit, die die sichtbaren Zeichen meines Kummers verbarg.
~*~