Am Morgen
hatten wir den Aufstieg des Passes in Angriff genommen. Jetzt ging die Sonne
unter und ich wartete auf den obligatorischen Orküberfall. Nicht, daß ich
scharf darauf gewesen wäre. Lindors Kampfunterricht in allen Ehren, aber die
Zeit war doch recht knapp bemessen gewesen und ich bezweifelte, daß es mir im
Ernstfall gelingen würde, die Spitze des Schwertes in einen Orkkörper zu
stoßen, ohne mich selbst dabei in Lebensgefahr zu bringen.
Dafür
hatte ich mit anderen Unannehmlichkeiten zu kämpfen, zum Beispiel dem Problem,
daß es in der Wildnis kein Klopapier gab oder der geringe Wasservorrat
ausschließlich dem Trinken vorbehalten war. Um es kurz zu machen, es war eklig.
Wir
benötigten drei Tage, um den Paß zu überqueren, und ich war positiv überrascht,
in meinem geheimen Notizen keine besonderen Vorkommnisse verzeichnen zu müssen.
Die Reise verlief bis auf meine regelmäßigen Lektionen in der Sprache der Elben
schweigend. Radagast hatte entschieden, daß ich nicht mehr zu erfahren
brauchte, als ich bereits wußte, außer der Kleinigkeit, daß es mir erst
vergönnt sein sollte meinen Beinahe-Verlobten zu treffen, wenn der Ringkrieg
vorüber war und ich kein Unheil mehr anrichten konnte.
Wenn ich
ihn wenigstens dazu hätte überreden können mir zu sagen, wann das sein würde!
Aber da half alles Klagen und Betteln nichts. Radagast blieb hart. Irgendwie
drängte sich mir die Ahnung auf, daß dies nichts Gutes bedeuten konnte.
Nach zwei
Wochen hatte ich gelernt, mich auf dem Pferderücken zu entspannen, was mir
wenigstens etwas Erleichterung verschaffte. Aber ich fragte mich jeden Tag
häufiger, wohin uns unsere Reise führen mochte. Den Goldenen Wald ließen wir
irgendwo auf unserer rechten oder linken Seite liegen. So genau konnte ich das
nicht beurteilen, da ich sowohl mit der Karte in meinem Kopf als auch der
präzisen Angabe der Himmelrichtung so meine Probleme hatte, und ich nirgendwo
einen Wegweiser >Hier geht’s nach Lórien< ausmachen konnte.
Wiederum
drei Tage später erreichten wir einen breiten Fluß, der nur der Anduin sein
konnte, was Radagast auf meine Nachfrage bestätigte. Wir überquerten ihn noch
am gleichen Abend an einer steinigen Furt, von der ich gar nicht gewußt hatte,
daß es so weit im Süden eine gab. Von nun an näherten wir uns einem riesigen
Wald, zweifellos dem Düsterwald, der schon bald das gesamte Blickfeld einnahm.
Soweit
ich das beurteilen konnte, hielten wir in südöstlicher Richtung darauf zu und
stießen schließlich in einem spitzen Winkel auf einen hervorstechenden
Ausläufer. Ohne zu zögern lenkte Radagast sein Pferd hinein, und mir blieb
nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Kein Weg oder Pfad war zu erkennen.
Die dunklen tannenartigen Bäume standen dicht genug, um mir ihre Zweige von
beiden Seiten gleichzeitig durch das Gesicht zu ziehen und nur wenige Meter
weiter umfing uns graue Dämmerung. Es war nicht so finster, daß man gar nichts
mehr sah, aber wirklich viel konnte man auch nicht mehr erkennen.
Zu meiner
Verwunderung währte diese Reise durch die stachelige Landschaft aber nicht
lange. Bereits nach etwas, das mir wie eine Stunde vorkam, nahmen hohe Büsche
und niedrigeres Gehölz den Platz der gewaltigen Tannen ein. Diese teilten sich
kurz darauf und wir befanden uns auf einer Lichtung, die ungefähr so groß war
wie die Hälfte eines Fußballfeldes.
Erstaunt
sah ich mich um. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich!
„Das ist
Rhosgobel!“ bestätigte Radagast meine Erkenntnis und machte eine allumfassende
Geste.
Ich
blinzelte ein paarmal energisch um sicherzugehen, daß ich nicht irgend etwas
übersah. Man konnte ja nicht wissen. Aber so gewaltig war die Lichtung dann
auch wieder nicht, und außerdem wurde sie von hellem Sonnenlicht bestrahlt.
„Äähm...“,
setzte ich vorsichtig und ungläubig zugleich an. „Korrigier mich bitte, wenn
ich was Falsches sage, aber... Das ist ’ne Lehmhütte, oder?“
Noch
einmal nahm ich das windschiefe Gebäude in Augenschein. Nein, diesmal lag es
eindeutig nicht an meiner Sehschwäche.
Radagast
hob etwas pikiert den Kopf in den Nacken. „Ich bevorzuge den Terminus
Einsiedlerklause.“
„Es ist ’ne Lehmhütte!“
Irgendwie
hatte ich noch ein wenig Hoffnung, meine Augen würden mir den schlimmen Zustand
der Bude, die ich aus dem >Herr der Ringe< als >Radagasts alte
Heimat< kannte, nur vorspielen und der erste Eindruck würde verfliegen, wenn
wir erst näher herankamen.
Ausnahmsweise
sollte ich damit sogar recht behalten. Er verflog. Und machte einem schlimmeren
Platz.
„Oh
nein!“ stöhnte ich völlig entgeistert, als ich abstieg und endlich begriff, daß
dies die Wirklichkeit und kein böser Traum war und sich auch nicht irgendwo
hinter der Hütte und verdeckt durch diese ein weiteres Gebäude befand. „Das ist
jetzt nicht dein Ernst, oder?“
Radagast
kletterte ebenfalls von seinem Pferd, wobei er mir den Rücken zukehrte. Ohne
sich umzuwenden grummelte er schlecht gelaunt vor sich hin, ergriff die Zügel
und führte sein Tier zu dem angebauten Stall. „Ich wußte nicht, daß ich auf
meine Umwelt einen solch närrischen Eindruck mache, daß du mich dies immer
wieder fragen mußt!“ maulte er und verschwand durch eine Tür, die so sehr
quietschte und knarrte, daß ich unwillkürlich die Zähne zusammenbiß und ihren
Einsturz erwartete. Er blieb aus und als ich Radagast aus dem Inneren rumoren
hörte, folgte ich ihm langsam mit Brasfaloth. Das gute Tier hatte ebensowenig
Vertrauen in die Bruchbude wie ich, und ich mußte ihm erst gut zureden, bevor
es vorsichtig und mit angelegten Ohren durch die Tür ging.
Erst einmal
drinnen war der Stall erstaunlich weiträumig und der Boden sonderbarerweise mit
frischem, duftendem Stroh ausgelegt. An einer Seite waren saubere Heuballen
ordentlich gestapelt und Radagast bediente sich soeben an einer schweren
Holztruhe, die ein Gemisch aus verschiedenen Getreidesorten enthielt.
Nachdem
die Pferde versorgt waren, begaben wir uns in die Wohnstube.
Nach der
angenehmen Überraschung in der Viehunterkunft, hatte ich neuen Mut geschöpft.
Vielleicht war es auch hier ganz nett und gemütlich eingerichtet. Doch ich
wurde enttäuscht. Sie bestand nur aus einem Raum. In der Mitte stand ein grob
zugehauener Tisch, dessen Platte nicht einmal glatt gehobelt war und daneben
eine Bank, bei der man Angst haben mußte, sich einen Splitter in den Allerwertesten
zu sitzen. Weiter hinten gab es eine primitive Kochstelle, die aus einer Mulde
im Lehmboden bestand mit einer Hängevorrichtung für einen schweren Eisenkessel,
der darüber hing und statt des Kamins war ein Loch in das ohnehin lecke Dach
geschlagen. Das war alles. Ich legte meine wenigen Habseligkeiten auf den Tisch
und drehte mich mit offenem Mund einmal um die eigene Achse.
„Das kann nicht dein Ernst sein!“ rutsche es
mir heraus und ich wurde dafür beinahe von Radagasts zornigem Blick durchbohrt.
Der Istar
entfachte die bereits gestapelten Holzscheite, um das Wasser zum Kochen zu
bringen und die klamme Feuchtigkeit zu vertreiben, denn obgleich der Frühling
inzwischen schon recht weit fortgeschritten war, hatten die hohen Bäume die
wärmenden Strahlen der Sonne von der Hütte abgehalten. Ich trat nahe an das
Feuer heran, streckte die Handflächen danach aus und rieb sie ein paarmal
aneinander, um die Kälte zu vertreiben.
Eine
lange Weile durchbrach nur das leise Knistern der Flammen die Stille des
Raumes.
„Ich
dachte, der Name bedeutet umzäunte Stadt oder sowas.“
Radagast
grunzte zustimmend.
„Was
jetzt?“ hakte ich nach. „Umzäunte Stadt?“
„Oder
sowas.“
Na toll!
Konnte er mir nicht eine klare Antwort geben? Schmollend wandte ich mich der
Sitzgruppe zu und hielt nach etwas Ausschau, das ich zwischen meinen Hintern
und die zerfurchte Bank schieben konnte.
„Kann es
sein, daß du es warst, der Tolkien bei seinen Sprachrecherchen behilflich war?“
bellte ich frustriert.
„Wie
kommst du darauf?“ Radagast sah mich ehrlich erstaunt an und vergaß, daß er
einen brennenden Span in der Hand hielt, mit dem er seine Pfeife hatte anzünden
wollen. Ich betrachtete ihn unauffällig und wartete mit hämischer Freude, bis
der gute Mann sich die Finger verbrannte und ziemlich unheilig zu schimpfen
begann.
„War nur
so’n Gedanke.“ Ich zuckte nachlässig die Schultern und schnappte mir Radagasts
Reisebündel. Prüfend tastete ich es nach harten Gegenständen ab und setzte
mich, als ich keine fand, kurzerhand darauf.
Der
Zauberer war meinem Tun schweigend gefolgt und nicht das geringste Zucken
seiner Miene verriet, ob er daran etwas auszusetzen hatte oder nicht. Erst als
ich meine Füße mit einem Seufzer der Erleichterung hoch auf die Tischplatte
legte und übereinanderschlug, huschte eine Augenbraue in die Höhe.
„Ich
verschnaufe nur kurz und reise dann weiter.“ Er nahm sich einen zweiten Span
und verschwand für einen Moment in einer großen Rauchwolke. „Weißt du, wir
haben noch...“
„Ungefähr
zwei Stunden Tageslicht, ich weiß.“
„Kommst
du allein zurecht?“
„Oh. Klar
doch! Ich campiere häufiger in ’ner Bruchbude. Sowas lernt man bei uns im
Überlebenscamp!“ antworte ich todernst und Radagast überhörte - absichtlich
oder nicht - die Ironie meiner Worte.
Als er
aufbrach verabschiedete ich ihn am Rand der Lichtung. „Kannst du ihn von mir
grüßen?“ fragte ich errötend.
„Wen?
Galvorn?“
Nein!
König Thranduil! platzte ich innerlich, brachte aber nur einen verklemmten,
zustimmenden Laut hervor.
„Das
werde ich“, versicherte er mir und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter.
Ich
atmete tief durch. „Er weiß doch, daß ich hier bin, oder?“ versuchte ich ihn zu
einem Geständnis zu bewegen.
„Aber
natürlich!“ Die Antwort kam ein bißchen zu schnell und ein bißchen zu
selbstverständlich.
Ich
seufzte und schlug die Augen nieder.
„Verlasse
die Lichtung nicht und geh auf keinen Fall weiter in den Wald hinein, als die
Büsche reichen“, instruierte er mich schon im Aufbruch und war gleich darauf im
Dickicht verwunden.
Wieder
zurück in der Hütte hatte ich das Bedürfnis nach einem schönen, heißen Bad. Ich
wollte mir endlich den ganzen Staub und Dreck der letzten Wochen abwaschen.
Sagte ich
die Hütte bestand nur aus einem Raum? Wie unachtsam von mir.
An der
zum Stall angrenzenden Seite gab es außerdem noch eine recht ansehnliche
Rumpelkammer. Nachdem ich mich durch ein jahrzehntealtes Geflecht dichten,
klebrigen Spinnengewebes gekämpft hatte, wurde ich tatsächlich fündig und zog
triumphierend und mir selbst in klaren Worten gratulierend eine Wanne hervor.
Sie war rostig und verbeult und hatte nicht das geringste mit meinem vornehmen
Zuber in Bruchtal gemein, aber immerhin, es war eine Wanne. Und sie schien
sogar dicht zu sein.
Stolz
plazierte ich sie mitten im Raum und suchte nach der gewohnten Pumpe. Die es hier
natürlich nicht gab. Doch das konnte meinen Enthusiasmus nicht bremsen. Dann
mußte eben ein Eimer her. Auch dieser war in dem alten Gerümpel bald gefunden.
Nun stand ich ein wenig ratlos mit dem Behälter in der Hand vor dem Kübel und
sah mich im Raum um. Keine Wasserleitung. Na gut. Vorm Haus mußte es
schließlich irgendwo einen Brunnen oder etwas ähnliches geben.
Aber...
Fehlanzeige. Also ging ich die Lichtung ab, penibel darauf bedacht, nicht den
von Radagast benannten Bereich zu verlassen. Und natürlich fand ich am
entlegendsten Winkel das, wonach ich suchte: Eine kleine Quelle, aus der gerade
soviel Wasser rieselte, daß es beinahe fünf Minuten dauerte, bis ich den Eimer
gefüllt hatte. Fünf weitere Minuten benötigte ich, ihn in den Kübel zu
entleeren und zur Quelle zurückzukehren. Und so viele Eimer um die Wanne zu
füllen, daß ich irgendwann das Zählen aufgab.
Zuerst
hatte ich mir noch den Spaß gemacht, die Anzahl der Eimer auf Elbisch zu singen
– jetzt fluchte ich bereits ganz herzhaft in meiner Muttersprache. War ich
vorher bereits erschöpft von der Reise gewesen, so war ich nun völlig erledigt.
Aber immerhin, die Wanne war gefüllt!
Mit eisig
kaltem Wasser.
Wie
erwärmt man Wasser, wenn man weder über unsere futuristischen Einhandmischer, noch
das raffinierte Leitungssystem Bruchtals verfügt? Genau! Mit Brennholz! Ein
kleines Feuer unter der Wanne, würde das Wasser langsam aber sicher erwärmen.
Aber
offenes Feuer in einer Bretterbude?
Erst
schrie ich innerlich. Dann fiel mir ein, daß mich ohnehin niemand hören konnte
und kreischte laut. Wie bei allen Valar sollte ich jetzt den schweren Kübel vor
die Türe bekommen? Er hatte keine Rollen und der Lehmboden war nicht glatt
genug zum Schleifen – ich glaubte es trotzdem versuchen zu müssen und gab
schließlich noch derber schimpfend auf.
Entmutigt
sank ich neben dem Behältnis auf den Boden und entschied, daß es heute
ausreichend wäre, mich mit dem Wasser abzuwaschen. Nach der wasserarmen Reise
war dies immerhin eine kleine Verbesserung.
Am darauffolgenden
Tag hievte ich den Badekübel vor die Hütte. Es war eine etwas unangenehme
Vorstellung nur nach einer Seite Sichtschutz zu haben und zu allen drei anderen
die weite, offene Lichtung. Aber hier würde mich ohnehin niemand sehen, redete
ich mir ein und begann mit dem Füllvorgang. Erst als die Wanne ungefähr zur
Hälfte voll war und ich zum xten Male den schweren Eimer herantrug, bemerkte
ich, daß ich den Kübel der Einfachheit halber gleich neben die Quelle hätte
stellen sollen. Na gut, sagte ich mir, beim nächsten Mal, und schleppte fleißig
weiter Wasser.
Nun kam
die Aufheizphase. Brasfaloth und Radagasts Brauner grasten ganz in der Nähe und
beobachteten mich interessiert.
„Jungs“,
stellte ich klar, „wenn ihr euch nicht anders beschäftigen könnt, kommt ihr
wieder in den Stall, während ich bade!“
Der
Braune schnaubte ausgiebig und irgendwie klang es amüsiert, bildete ich mir
ein. Doch kümmerte ich mich nicht weiter um die beiden und sah nach dem
Holzvorrat. An der Nordseite des Bretterverschlags gab es davon eine solche
Menge, daß ich mir keine Sorgen darüber machen mußte, woher ich neues bekommen
sollte, ohne Radagasts Grenzen zu überschreiten oder die Büsche zu roden.
Ich
transportierte einen ordentlichen Haufen heran und schichtete ihn rund um die
Wanne. Nach einigem Zögern entschied ich, daß das Gefäß nicht darunter leiden
würde und kramte meine Zunderbüchse hervor. Ebenfalls ein Geschenk Bilbos. Um
die Gabe rund und vollständig zu machen, hatte er gesagt. Ich betrachtete sie
eine Weile wehmütig. Ob der Kleine überhaupt noch an mich dachte, oder ob er
bereits andere Gesellschaft für die Nachmittagsstunden gefunden hatte? Wer
jetzt wohl mein gemütliches Zimmer bewohnte? Und das herrliche Bad genoß?
Energisch verwischte ich das Bild vor meinem inneren Auge. Ein Blick auf den
verbeulten Zuber brachte mich zurück in die Gegenwart.
Es war
gar nicht so einfach, diese Holzscheite zum Brennen zu bringen. Natürlich gab
es hier keine Zeitung, die ich zusammenknüllen und zum Anfachen
dazwischenschieben konnte. Das Gras hingegen war zu saftig und taugte nicht als
Anzünder. Es dauerte ungefähr hundert Versuche und meinen ganzen Wortschatz an
wilden Beschimpfungen bis ich auf die Idee kam, ein wenig vom Heu der Tiere zu
benutzen.
Gesagt
getan. Das Feuer brannte und ich wartete darauf, daß mein Wasser sich erwärmen
sollte. Ich wartete, legte Brennholz nach und wartete immer noch. Bevor ich den
gesamten Vorrat für ein einziges Bad aufbrauchen konnte, rief ich mich selbst
zur Ordnung. Ich hatte eine erschreckende Schneise in den Holzhaufen gerissen
und das Wasser war gerade mal lauwarm! Ich stöhnte. Von der Seite her erklang
das belustigte Wiehern der Pferde.
„Ach,
haltet die Klappe!“ wetterte ich und hielt noch einmal prüfend die Hand in die
Wanne. Brrr... nein, reinsetzen wollte ich mich da nicht. Ich rieselte mich,
seufzte ergeben und entschied mich schließlich doch, das Wasser zu dem Zweck zu
nutzen, für den es ursprünglich gedacht war. Das Bad fiel zwar sehr kurz und
ungemütlich aus, aber immerhin fühlte ich mich danach endlich wieder wie ein
Mensch.
Schon
zeitig am nächsten Morgen lief >das Bad< Folge Nr. 3 an. In meinem
unbeugsamen Optimismus hatte ich die Wanne dieses Mal bis zur Quelle geschleift
und schob unter jede runde Ecke einen faustgroßen Stein, um dazwischen eine
Lücke zum Befeuern zu schaffen. Also gut, ich geb’s ja zu. Zuerst hatte ich
vier Holzscheite an diesen Stellen, aber dann fiel sogar mir auf, daß der ganze
Turm zusammenbrechen mußte, wenn die Stützen mit dem restlichen Brennholz abfackelten.
Nachdem
ich zwei Eimer in die Wanne entleert hatte, zündete ich den Scheiterhaufen an,
damit das Wasser gleich von Anfang an mit durchwärmen sollte. Zu meiner Freude
bemerkte ich nach einiger Zeit heißen Dampf aufsteigen und klopfte mir selbstzufrieden
auf die Schulter. Mein Glückszustand hielt genau so lange an, bis ich in den
Kübel steigen wollte und mein Fuß mit dem glühend heißen Metall in Berührung
kam.
Da ich
keine Eisenstange finden konnte, um die glimmenden Scheite unter der Wanne herauszuschieben,
blieb mir nichts anderes übrig als zu warten, bis sie aufgehört hatten zu
glühen. Es mußte Eichenholz oder etwas ähnliches sein, denn sie hielten die
Glut unglaublich lange. Als sie endlich verloschen waren und die Unterseite des
Gefäßes wieder hautverträglich war, war bei den kühlen morgendlichen
Temperaturen auch das Wasser auf einen lauwarmen Zustand abgekühlt. Daß beim
Hineinsteigen das Ganze nun doch noch ins Schwanken geriet und einstürzte,
konnte mich nicht mehr wirklich erschüttern. Wenigstens ersparte ich mir somit
das mühevolle Wiederentleeren der Schüssel...
Zähneknirschend
ergab ich mich in mein Schicksal und legte die Mission Badewasser endgültig als
gescheitert zu den Akten.
Am vierten
Tag ging mein Reiseproviant aus. Eine großangelegte Futtersuche über die
Lichtung und quer durch die Büsche brachte die ernüchternde Erkenntnis, daß es
keine frühen Beeren oder irgendwelche gemüseähnlichen Pflanzen gab. Einzig
Pilze wuchsen hier in rauhen Mengen. Dummerweise kannte ich mich damit nun so
gar nicht aus. Doch als mein Magen krampfende Kunststückchen wegen mangelnder
Nahrungsaufnahme ausführte, entschloß ich mich, daß meine Chancen zu verhungern,
bevor Radagast zurückkehrte oder eine giftige Pilzsorte zu erwischen ungefähr
fünfzig zu fünfzig standen und machte mich mit dem zum Obstkorb
umfunktionierten Eimer auf die Suche.
Unter
einem dicht mit dunkelgrünen Blättern bewachsenen Busch fand ich zierliche,
kelchartige Exemplare mit hellbraunem Kopf und dunklen Lamellen. Ich
betrachtete sie eine Weile und glaubte, entfernte Ähnlichkeiten mit einem
Pfifferling zu erkennen. Nach kurzem Zögern kniete ich nieder, um sie
abzuernten.
Da
durchbrach ein schriller Pfiff die Stille des Waldes. Ich fuhr auf und herum
und zog zitternd mein Schwert, das ich stets bei mir trug, weil ich
übervorsichtig war. Unschlüssig hielt ich es mit beiden Händen abwehrend vor
mich.
„W-wer
ist da?“ stotterte ich, biß die klappernden Zähne zusammen und befahl meinen Knien
mit Schlottern aufzuhören.
Ein
dreimaliger Piepslaut erklang direkt vor mir. Ich konnte nicht gleich etwas
erkennen, aber die Angst fiel augenblicklich von mir ab. Hatte ich tatsächlich
einen Vogel für meinen Feind gehalten? Hatte ich. Das bunte, kleine Kerlchen
hopste auf einem dürren Ast näher und beäugte mich fragend.
„Aiwendil!“
Ich atmete tief durch und verstaute die Waffe erleichtert in ihrer Hülle. „Du
hast mich erschreckt!“ tadelte ich Radagasts Freund.
Ich
wandte mich erneut meinem Mittagessen zu und zuckte zusammen, als der selbe
durchdringende Pfiff erklang.
Völlig
aufgelöst flatterte der kleine Vogel um meinen Kopf herum und schrie dabei so
laut, daß ich den Eimer fallen ließ und mir mit beiden Händen die Ohren
zuhielt.
„Was ist
denn? Hör endlich auf damit!“ kreischte ich und öffnete die Augen erst wieder,
als Ruhe eintrat. Als ich keine bunten Federn mehr um mich herumwirbeln sah,
ließ ich auch die schützenden Hände sinken.
Erst
konnte ich ihn nirgendwo sehen, dann blickte ich zu meinen Füßen, wo Aiwendil
neben meinem Eimer saß und die Flügelchen schützend über die appetitlich
aussehenden Pilze spreizte.
„Aiwendil,
was soll das?“ Genervt versuchte ich den aufdringlichen kleinen Kerl zu
verscheuchen und zog empört die Hand zurück, als dieser mit dem spitzen
Schnabel danach hackte.
„Hey! Laß das! Willst du etwa, daß ich
verhungere?“ Drohend stemmte ich die Fäuste in die Hüften und baute mich vor
ihm auf. „Verschwinde da! Sofort!“
Aiwendil
wich keinen Millimeter von der Stelle und tschilpte herzzerreißend. Das gab mir
nun doch zu denken. Er mußte einen Grund für sein irritierendes Verhalten haben
und das konnte unmöglich ein angeborener Instinkt zur Bewahrung seltener
Pflanzen sein.
„Ähm...
sind die etwa giftig?“ Der Vogel piepste zustimmend und ich seufzte geschlagen.
„Tut mir
leid, Kleiner.“ Ich ging in die Hocke, hielt ihm entschuldigend die Handfläche
entgegen und war überrascht, als er zutraulich darauf hüpfte.
„Entschuldigung
angenommen, vermute ich.“ Ich grinste schwach. „Kannst du mir welche zeigen,
die man essen kann? Ja? Fein!“
Von nun
an war Aiwendil ständig um mich herum und ich lernte alle genießbaren
Pilssorten Rhosgobels kennen. Davon gab es eine erstaunliche Vielfalt. Leider
waren meine Kochkünste weniger abwechslungsreich und so schmeckten die im
übergroßen Kessel gebratenen Mahlzeiten alle irgendwie gleich - trotz des
hoffnungslos verwilderten Kräutergartens, den ich mit Aiwendils Unterstützung
fand. Die völlige Abwesenheit von Gewürzen in Radagasts Hütte trug auch nicht
gerade hilfreich zu meinen Kreationen bei.
Nach vier
Wochen konnte ich keine Pilze mehr sehen und war stark versucht, den Pferden
ihr Futter zu stehlen. Außerdem langweilte ich mich fast zu Tode. Mein Vorrat
an Pergamentbögen und Tinte war längst aufgebraucht; vollgekritzelt mit meinen
Sprachübungen und einigen sinnlosen Notizen, die bald darauf den Weg ins
Herdfeuer gefunden hatten. Eine Weile vertrieb ich mir die Zeit, indem ich den
armen Brasfaloth meine stümperhaften Reitkünste spüren ließ. Aber ohne die
korrigierenden Hinweise eines Lehrers und bei dem beschränkten Auslauf verlor
auch diese Beschäftigung bald ihren Reiz.
Am Ende
ertappte ich mich immer wieder am äußersten Ende meines mauerlosen
Gefängnisses, von wo aus mein Blick sehnsuchtsvoll nach Nordosten schweifte -
zum Waldelbenreich. Es bedurfte dann meiner ganzen Selbstdisziplin, Brasfaloth
zurück zur Hütte zu lenken.
„Weißt
du, Brasfaloth“, sprach ich zu dem Pferd, während ich ihm mit einer dichten
Bürste das Fell striegelte, „ich habe keine Ahnung, was Radagast sich dabei
gedacht hat. Ich meine... er kann mich hier nicht einfach einsperren, oder?“
Der Hengst wieherte unergründlich. „Genau!“ Ich graulte ihm die Ohren und er
ließ ein wonnigliches Brummen hören.
„Am
liebsten würde ich ihm einfach folgen!“ Wieso tat ich das eigentlich nicht? Es
wäre ganz einfach, oder? Hey! Immerhin war ich eine Mary Sue und die fanden
sich auch völlig ohne jede Ortskenntnis in diesem finsteren Wald mit seinen
noch finstereren Kreaturen zurecht und konnten selbst Saurons ärgste
Messerstecher das Fürchten lehren. Nicht wahr?
Nun,
leider sah ich voraus, daß es sich mit diesem Mythos genauso verhielt wie die
Sache mit den Filmen. Es funktionierte eben nur dort. In der Wirklichkeit mußte
man dann frustriert feststellen, daß man Feuerwaffen nachladen mußte und keine
Autoscheiben mit der Faust einschlagen konnte. Was wieder einmal die Frage in
mir wachrief, weshalb der Film-Aragorn mit seiner vollgesaugten Kleidung und
der schweren Bewaffnung nach der Warg-Sondereinlage des zweiten Teils
eigentlich nicht im Fluß versunken war.
Doch den
wahren Grund dafür, weshalb ich so artig Radagasts Weisungen befolgte, wollte
ich mir lange nicht eingestehen. Ich hatte Angst! Ich wußte, da draußen wäre
ich rettungslos verloren.
Ich
seufzte voller Selbstmitleid und legte die Bürste beiseite.
„Na,
Brauner? Möchtest du nicht auch ein wenig verwöhnt werden?“ Ich erwartete nicht
wirklich eine Antwort. Schon gar keine zustimmende. Radagasts Pferd hatte mich
die ganze Zeit über nicht näher als eine Armlänge an sich herangelassen.
Moment
mal... Schockiert riß ich die Augen auf und starrte das Tier an wie einen
Geist. Was machte eigentlich Radagasts Reittier hier?
„Oh toll!
Ganz großartig, Elli! Das fällt dir wirklich früh auf!“ stritt ich mit mir
selber. Hatte das jetzt wirklich so lange gedauert, bis mir die Anwesenheit des
Pferdes aufgefallen war? Also nicht, daß ich nicht bemerkt hätte, daß der
Braune noch hier war. Mir war auch nicht entgangen, daß Radagast zu Fuß
aufgebrochen war. Aber die Verbindung zwischen diesen beiden Tatsachen und die
Bedeutung derselben, wurde mir erst jetzt in vollem Umfang bewußt.
Radagast
war zu Fuß unterwegs! Weshalb auch immer. Vielleicht war das bei den
dichtstehenden Bäumen und dem dürren Unterholz praktischer und er konnte besser
ungesehen bleiben, denn ohne Pferd konnte er sich schnell hinter einem Busch
verstecken, wenn dunkle Geschöpfe sich näherten. Aber ohne Pferd würde er auch
wesentlich länger für den Weg benötigen und nicht wie ich gehofft hatte in
Kürze zurück sein. Warum war er nicht einfach an der Westseite des Waldes
entlang geritten? Wieder etwas, was ich in dieser Zeit gelernt hatte: Versuche
niemals die Logik eines Istar zu durchschauen!
Mißmutig
trat ich gegen einen runden Kieselstein und beförderte ihn einige Meter über
den Platz. Also hieß es wieder einmal warten. Warten bis Radagast zurückkam,
warten bis der Ringkrieg vorüber war, warten bis... Nein, es waren wirklich
keine aufmunternden Gedanken, die durch meinen ohnehin depressiven Verstand
wanderten. Sie halfen auch nicht, die Langeweile zu vertreiben oder meine
Pilzgerichte pikanter zu würzen. Genaugenommen trugen sie nicht einmal etwas
zur Klärung meiner sonderbaren Situation bei.
~*~