Sobald
ich wieder halbwegs auf den Beinen stehen konnte, beschloß ich, die
unterirdische Festung auf eigene Faust zu erkunden und schlich mich ohne
Radagasts Wissen aus dem Zimmer. Was nicht wirklich schwierig war. Der Istar
hatte ganz offensichtlich besseres zu tun, als Tag und Nacht an meinem
Krankenbett zu wachen. Vorsichtig öffnete ich die schwere Eichentür meines
Gemaches und spähte in beide Richtungen den langen Flur entlang. Niemand war zu
sehen.
„Hm...
rechts oder links?“ fragte ich mich und gab mir den Anschein, auf eine Antwort
zu warten. „Links?“ Ich zögerte keine drei Sekunden. „Rechts geht’s zu den sanitären Anlagen...“, betonte ich
ironisch. „Also nach links!“
Voller Unternehmungsdrang
setzte ich mich in Bewegung, doch schon nach wenigen Minuten machte sich meine
schwache Konstitution bemerkbar. Ich schnaufte tief durch und steckte unbewußt
beide Hände in die Taschen meiner schicken und jetzt gereinigten Lederjacke. Auf
diese Weise gestützt, schlurfte ich weiter den Gang entlang. Sollte ich zu
erschöpft sein weiterzugehen, sagte ich mir, würde ich mich einfach irgendwo
auf den Boden setzen – oder vielleicht auf einen dieser abgeschnittenen
Säulenstümpfe, die alle naslang mal auf der einen, mal auf der anderen Seite
herumstanden und keinem wirklichen Zweck zu dienen schienen.
Die Flure
waren einfach und schmucklos. Es sei denn man wollte die hereinfallenden
Sonnenstrahlen als Zierde betrachten, die sich in hellen Kaskaden an dem
blanken Fels brachen und ein merkwürdiges Eigenleben entwickelten. Ich war mir
sicher, daß sich in den hohen Öffnungen kein buntes Glas befand und dennoch
erstrahlte das Licht in allen Farben des Regenbogens.
Nach zwei
Abbiegungen kamen mir die ersten Bewohner Düsterwalds entgegen: Zwei affektiert
dreinblickende Elbendamen mit tief ausgeschnittenen Gewändern und zu hoch
getragenen Nasen. Ich rümpfte meine und war auf einmal heilfroh, keinen Zugang
zur waldelbischen Garderobe erhalten zu haben. Bei meinen wenig weiblichen
Formen hätten diese Fähnchen wirklich lächerlich an mir gewirkt. Als sie an mir
vorbei kamen, steckten die feinen Damen ihre Köpfe zusammen und tuschelten
pikiert. Ich wandte unangenehm berührt den Blick ab und bog an der nächsten
Kreuzung nach rechts, um aus ihrem Bereich zu kommen.
Eigentlich
hätte ich es besser wissen müssen, als mich erneut in das Labyrinth eines
elbischen Gängesystems zu stürzen. Wie war das noch gleich? Aus Fehlern wird
man klug? Nun, ich mußte für gewöhnlich
jeden zweimal begehen, nur diesmal gestand ich mir wesentlich früher ein, mich
verlaufen zu haben. Dabei wäre dies im Grunde genommen gar nicht so schlimm
gewesen. Ich hätte nur bei einer der relativ häufigen Begegnungen mit den
Bewohnern nach dem Weg zu fragen brauchen. Hätte ich gewußt, wo ich eigentlich
hinwollte und wäre ich wegen der offensichtlichen Abneigung und Herablassung in
den Augen der mir Entgegenkommenden nicht davor zurückgeschreckt.
Wo war
ich hier nur hingeraten? Waren diese Waldelben gegen jeden Außenstehenden so
feindselig? Unbehaglich zog ich am Kragen meiner Bluse und lockerte den
Verschluß am Hals, als wäre dieser die Ursache meiner plötzlichen Beklemmung.
Eigentlich hatte ich erwartet, daß mit dem Gespräch zwischen Radagast und dem
Wächter und der nachfolgenden Erlaubnis das Reich zu betreten, alles geklärt
wäre. Doch scheinbar hatte ich mich da – mal wieder – geirrt. Die Atmosphäre
glich eher einem kurzfristigen Waffenstillstand und ich hatte keinerlei
Kenntnis darüber, wie lange dieser anhalten würde.
Mich
fröstelte. Diese Steinmauern ließen zwar das Licht, nicht jedoch die Wärme der
Sonne herein, und meine noch nicht völlig ausgestandene Erkältung ließ mich die
kühlen Temperaturen noch stärker empfinden. Meine Nase protestierte mit einem
satten Niesen, und ich zog meine Bluse wieder dichter um den Hals zusammen.
Dabei
bewegte ich den Kopf seitlich, ohne daß meine Augen der Richtung folgten. Ich
stutzte. Hatte sich da nicht ein Schatten bewegt? Ganz am äußersten Rande
meines Blickfeldes? Um ihn einzufangen drehte ich mich völlig nach ihm um; da
war er verschwunden. Ich zuckte die Achseln. Was sollte es schon gewesen sein?
Eine Wolke, die sich über die Sonne geschoben hatte oder es spielte mein
eingetrübtes Sehvermögen mir ganz einfach einen Streich.
Ich
schlich weiter und bog wahllos an der nächsten Ecke ab. Da war es wieder! Nun
war ich mir ganz sicher eine menschliche – pardon, elbische Gestalt erkannt zu
haben. Energisch fokussierte ich die Säule, hinter der sie verschwunden war.
Ungünstigerweise stand das Ding gut sechs oder sieben Meter weit von mir und
auf diese Entfernung konnte ich ohne Brille nicht mehr wirklich viel erkennen.
„Ist da
jemand?“ Meine Worte hallten dumpf in dem schmalen aber sehr hohen Gang, und
meine Stimme hatte noch nicht wirklich ihre Tonlage wiedergefunden. Zögernd
ging ich einen Schritt auf die Säule zu und wich dann gleich zwei wieder
zurück, weil mich eine dumme Angst ergriff. Fortlaufen wäre jetzt nicht die
schlechteste Entscheidung, überlegte ich und schalt mich gleich darauf einen
Feigling. Albernheit! Was sollte mir hier schon begegnen außer ein paar
weiteren hölzernen Höflingen?!
>Ein
schwer bewachter Krieger, der nicht mitbekommen hat, daß du die Erlaubnis dazu
hast, dich hier aufzuhalten?<, fragte die kleine sarkastische Stimme in
meinem Hinterkopf.
Oh, aber
hallo! Die hatte ich in letzter Zeit schon beinahe vermißt! Ich sollte bei
nächster Gelegenheit wirklich mal einen Psychiater aufsuchen. Mit meinen
Selbstgesprächen und dem eingebildeten Schatten war ich jetzt schon mit mir zu
viert!
Ich
wollte bereits auf dem Absatz kehrt machen, als sich eine schlanke Gestalt
geschmeidig von der Säule löste.
„Ich war
nur neugierig“, entschuldigte sich eine sanfte, männliche Stimme mit dem
angemessenen Quantum an Zerknirrschung. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“
Aha!
Zumindest einer von ihnen konnte also doch etwas Nettes zu dem bösartigen
Eindringling aus der Außenwelt sagen! Ich blinzelte und versuchte, den Sprecher
genauer auszumachen, aber er stand genau so, daß das Sonnenlicht aus dem
Fensterschacht über ihm in seinen Rücken fiel. Sein Körper lag deshalb im
Zwielicht, und dafür umrahmte ihn ein goldener Kranz wie ein zu groß geratener
Heiligenschein.
Ich
stöhnte gequält. War! Das! Kitschig! Wer dachte sich sowas nur aus? Ich
schürzte verächtlich die Lippen und starrte ihn wenig begeistert an.
„Und? Ist
deine Neugierde jetzt befriedigt?“ maulte ich und verschränkte die Arme vor der
Brust.
„Nein.“ Der
Klang seiner Stimme implizierte ein amüsiertes Grinsen. Dennoch klang es
keinesfalls anzüglich, sondern schlicht ehrlich.
„Nein?“
Irgendwie fiel mir gerade nichts besseres ein, als seine Antwort zu
hinterfragen. Ich sollte dringend an meinen Smalltalk-Fertigkeiten arbeiten.
Das war ja peinlich!
„Nein!“
lachte mein Gegenüber, und ich bekam eine Ahnung davon, daß ich es hier mit
einem Knaben, bestenfalls einem Jüngling zu tun hatte. Lässig stieß er sich von
der Säule ab und trat aus seinem strahlenden Nimbus heraus auf mich zu.
Ich geb
zu, ich hatte mich noch immer nicht an die überirdische Schönheit der
Erstgeborenen gewöhnt und starrte ihn mit offenem Mund an, als er näher kam. In
gewisser Weise war er nicht so atemberaubend wie seine noldorischen Verwandten,
dafür strahlte er eine Frische und Leichtigkeit aus, die mich überwältigte. In
Gedanken versuchte ich den Unterschied in Worte zu fassen und schüttelte nach
einigen wirklich unpassenden Attributen energisch den Kopf. Den verwunderten
Ausdruck in den ebenmäßigen Gesichtszügen meines Gegenübers ignorierte ich
einfach.
Er schien
in der Tat noch nicht sehr alt zu sein. Nach menschlichen Maßstäben hätte ich
ihn auf siebzehn oder achtzehn geschätzt. Ein Umstand, der dazu führte, daß ich
mich gleich ein wenig sicherer fühlte, denn wenigstens rein optisch war ich
entschieden die Ältere.
Ein
sattgrüner Eichenzweig war dekorativ in sein Haar geflochten, welches einen
eigenartigen hellen Braunton mit einem leichten olivfarbenen Schimmer besaß.
Letzteres mochte allerdings an der Beleuchtung liegen. Ja, es lag eindeutig an
dem Licht. Ein Elb mit grünen Haaren! Das fehlte noch!
„Hast du
nichts besseres zu tun, als anderen Leuten hinterher zu spionieren?“ fragte ich
nicht besonders freundlich und übersah dabei, daß ich ganz meiner Gewohnheit im
Gespräch mit Radagast folgend die unbekannte Vokabel durch das deutsche Wort
ersetzt hatte.
„Verzeih?
Ich glaube nicht, daß ich dich recht verstanden habe.“ Der junge Mann klang
deutlich irritiert und es dauerte eine geraume Weile, bis ich meinen Fehler
bemerkte.
„Ich
meine, >als mir hinterher zu schleichen<!“
„Nein.“
Wieder dieser unschuldige Ton, jetzt begleitet von einem ebensolchen Blick.
„Nein,
was?“ raunzte ich ihn an.
„Nein,
ich habe nichts besseres zu tun.“ Eine formvollendete Verbeugung schloß dieses
Geständnis perfekt ab. Als er den Blick zu mir erhob, zwinkerte er schelmisch.
Ich
schnappte nach Luft. Das war so unverschämt und zugleich so entwaffnend, daß
ich resigniert kapitulierte. Ergeben rang ich die Hände.
„Also
gut, was willst du wissen?“
Er tat
so, als würde er angestrengt nachdenken. „Dein Name wäre ein guter Anfang.“
„Elanor,
in eurer Sprache. Aber du kannst mich Elli nennen.“ Ich knickste spöttelnd.
„Legolas
Thranduilion“, erwiderte er mit einer nicht weniger heuchelnden Verbeugung.
„Aber du kannst mich Legolas nennen.“ Wieder zwinkerte er foppend, zeigte mir
sein strahlendstes Lächeln und seine makellosen Zähne.
„Ha! Ich
wußte es!“ triumphierte ich und ballte ruckartig die Rechte zu einer Faust, um
meine Begeisterung zu bekräftigen.
Legolas
zog fragend beide Augenbrauen in die Höhe.
„Ach,
nicht wichtig!“ bagatellisierte ich meine weltbewegende Entdeckung und machte
eine wegwerfende Handbewegung. Dabei betrachtete ich selbstzufrieden grinsend
Legolas’ braune Haare.
Mein
dämliches Grinsen fror augenblicklich ein als mir bewußt wurde, in welch
prekärer Lage ich mich befand. Ich meine, ich war eine Mary-Sue, richtig? Und
die tendierten für gewöhnlich dazu gerade den Prinzen vom Düsterwald auf eine
mehr oder weniger spontane oder langatmige Weise einzufangen. Zumindest seit
Erscheinen der Filme. Ich winselte wie ein geschlagener Hund. Warum von allen
Elben Düsterwalds mußte mir ausgerechnet Legolas über den Weg laufen?!
Gehetzt
blickte ich mich um. Vielleicht sollte ich mein Versäumnis nachholen und jetzt
endlich flüchten. In Bruchtal hatte mich dies auch vor Schlimmerem bewahrt.
Aber dort war die Gefahr bei weitem nicht so groß gewesen, schoß es mir durch
den Kopf. Und dort hatte ich wenigstens Freunde, die mir beistanden. Wo
bitteschön sollte ich mich hier denn verstecken? Hier war Legolas der erste,
der mir begegnete und mir nicht feindlich gesinnt war. Hoffte ich zumindest.
Das konnte sich jedoch schnell ändern wenn er erkannte, welch unheilvollen Einfluß
ich auf ihn hatte. Wenn er es
rechtzeitig erkennen würde.
Der
Blick, den ich nun auf ihn richtete, war beinahe mitleidig. Ich überdachte die
geringen Chancen, die meine Schicksalsgefährtinnen ihm gaben, ihren
besitzergreifenden Ansprüchen zu entkommen. Dann fiel mir ein, daß ich bereits
einem anderen versprochen war und entspannte mich ein wenig. Trotzdem wollte
ich versuchen, ihn auf Abstand zu halten. Nur zur Sicherheit.
„Es kommt
nicht oft vor, daß ein Mensch Einlaß ins Waldelbenreich erhält.“ Legolas
betrachtete mich nachdenklich und versuchte, meine zweifellos deutlich
sichtbaren und dennoch unklaren Gedanken zu erraten.
Ich rief
mich zur Ordnung. Auch wenn ich nicht gleich Freundschaft mit ihm schließen
wollte hieß das noch lange nicht, daß er mich für einen Volltrottel halten
sollte. Ich atmete tief durch und richtete meinen eingesunkenen Körper auf.
Dann
stutzte ich leicht verstört. Nicht oft? Das heißt, es kam vor? Enttäuscht zog
ich einen Schmollmund. Das war nicht fair! Da war ich schon eine Mary-Sue und
dann war ich nicht einmal was Besonderes! Zumindest half mir mein angeknackstes
Ego damit aufzuhören, ihn so unverhohlen anzuhimmeln. Ich zog die Augenbrauen
über mich selbst verärgert zusammen und fuhr mit meinem Verhör fort.
„Und dies
gibt dir das Recht, mich zu verfolgen, ja?“ maulte ich.
„Nein.“
Ich
verdrehte die Augen. Der Wortschatz dieses Elben schien mir doch ein wenig sehr
beschränkt.
„Warum
tust du es dann?“
Legolas
lächelte nachsichtig auf mich herab. Er stand nun unmittelbar vor mir und
überragte mich um Haupteslänge, was mich aber nicht davon abhielt, ihn mit in
den Nacken gelegtem Kopf hochmütig anzugiften.
„Ich
wollte nachsehen wer so dreist ist, den Gang zu den königlichen Gemächern zu
betreten – was ohne ausdrückliche Erlaubnis des Königs verboten ist – dabei
ungehalten vor sich hinmurmelt und in derben Worten und mit der Grazie eines
Orkes die Waldelben beschimpft.“
Ich lief
auf der Stelle puterrot an, riß erst die Augen entsetzt auf und zog dann den
Kopf ein. Hatte ich das wirklich laut gesagt? Und dann auch noch in Sindarin?
Also gut. Das war’s dann. Ich war mir sicher, daß mein letztes Stündlein nun
geschlagen hatte. Legolas machte auf mich jetzt nicht mehr den Eindruck eines
verspielten Jugendlichen. Aus seinen Augen, seiner ganzen Haltung strahlte die
Würde des Königs, der er einmal werden würde...
Wenn er
nicht noch einen oder mehrere ältere Brüder hatte und Thranduil irgendwann
einmal von seinem Amt zurücktreten würde. Ich runzelte konzentriert die Stirn.
Wie handhabten die Elben das eigentlich? Warteten sie, bis der amtierende König
bei einem Orküberfall umkam oder des Lebens überdrüssig in den Westen segelte?
Sie konnten ihn schlecht wegen hohen Alters in Rente schicken, nicht wahr? Und
weshalb hatte Tolkien Legolas eigentlich nicht ein einziges Mal mit
>Prinz< tituliert?
Nachlässig
schüttelte ich die Benommenheit von mir. Jetzt hatte ich wahrhaftig ein anderes
Problem.
„Ähm...
ich hab mich verlaufen“, piepste ich kleinlaut. Ein ungeschickter Versuch mich aus
der Affäre zu ziehen und er decke nur einen Teil meiner Vergehen ab.
Legolas’
Gesicht blieb hart.
„Und...
und... mein Ärger bezog sich nur auf ein paar... ähm... einzelne... Waldelben...?“ prüfte ich vorsichtig.
Der
anklagende Blick des Elben glitt langsam über meine Gestalt und verhieß nichts
Gutes.
Er hat
graue Augen! stellte ich fasziniert fest und spürte einen Anflug von Hysterie.
Mühsam atmete ich durch. Da hing mein Leben an einem seidenen Faden und ich
hatte nichts Besseres zu tun, als mir Sorgen um die Erbfolge eines
Elbengeschlechtes und die Augenfarbe des möglichen Kronprinzen zu machen! Das
war doch absurd!
Meine
Nase begann fürchterlich zu kribbeln und bevor ich etwas dagegen unternehmen
oder auch nur wenigstens die Hand vorhalten konnte, nieste ich dem strengen
Ankläger – nicht ins Gesicht, das war zum Glück zu hoch über mir – aber genau
vor die Brust. Ich erstarrte und zog mich zitternd einen Schritt zurück, wo ich
mit dem Rücken zur Wand stehen blieb.
„Oh,
bitte, sperrt mich nicht in den Kerker!“ flehte ich weinerlich, kurz davor auf
die Knie zu sinken und unwillkürlich die förmliche Anrede gebrauchend.
Es
vergingen Minuten, die mir wie Stunden vorkamen. Ich wagte nicht, den Blick zu
heben und starrte den Boden zu meinen Füßen an. Sagte ich eigentlich bereits,
daß Lindor mir ein paar seiner sehr komfortablen Schuhe abgetreten hatte? Meine
Quanten waren selbst für menschliche Verhältnisse zu groß und da mir die
zierlichen Schuhe der Elbinnen erst recht nicht passen wollten, hatte Liriel
mir zeigen wollen wie ich mir selbst ein Paar anfertigen könnte. Das Angebot
ihres Vaters war auf eine Weise beschämend gewesen, hatte mich jedoch vor dem
Ergebnis meiner eigenen handwerklichen Künste bewahrt.
Als
Legolas die Stille durchbrach, klang seine Stimme unerwartet liebenswürdig.
„Über wen
hast du dich geärgert?“
Erstaunt
sah ich auf. Seine Augen spiegelten Interesse wider.
„Ich...
ich weiß nicht wer sie waren“, setzte ich lahm an. Dann gab ich mir einen Ruck.
„Sie begegneten mir auf dem Weg hierher und sie betrachteten mich wie eine
Aussätzige.“
Ein
verständnisloser Blick.
„Ich
meine wie... wie einen ORK.“ Ich warf die Arme hilflos hoch, weil mir kein
besseres Wort einfiel.
Zu meiner
Überraschung lachte Legolas leise und betrübt auf. „Wundert dich das?“
Perplex
starrte ich ihn an.
Er
seufzte und wandte sich von mir ab. „Wenn in seltenen Fällen ein Mensch das
Waldelbenreich betritt, so gewöhnlich nur den unteren Teil der Festung“, sprach
er mehr zu sich selbst und so, als wäre auch er mit meiner Anwesenheit
keinesfalls einverstanden.
Den
unteren Teil?
„Den
Kerker“, erklärte er nach einer Weile.
Du meine
Güte! Konnte der etwa auch Gedanken
lesen?
Er
lächelte. „Nur wenn sie so laut gerufen werden.“
Ich biß mir
auf die Zunge und hoffte, daß ein paar andere Dinge, die ich heute gedacht
hatte, weniger aufdringlich gewesen waren.
„Wo
wolltest du hin?“ lenkte er das Gespräch von dem mir so unangenehmen Thema ab.
Ja, wohin
nur? Wenn ich mich nicht selbst Lügen strafen wollte, mußte jetzt schnell eine
Ausrede her.
„Ich...“
Ich tat als würde ich nach den passenden Worten suchen. Da ich annehmen durfte,
daß mein Akzent noch immer grauenhaft war, sollte dies nicht weiter auffallen
und es verschaffte mir ein wenig Zeit. „Ich wollte zu meinem Pferd.“
Legolas
sah mir forschend in die Augen, und ich spürte, wie mir heiß wurde.
„Folge
mir“, forderte er mich auf und machte eine einladende Handbewegung.
Ich
zögerte. „Ähm... ist das nicht ein wenig unangebracht?“ wandte ich ein. „Ich
meine, Ihr habt doch sicher einen Diener, der mich führen kann.“
„Vertraust
du meiner Ortskenntnis nicht?“ Wieder lächelte er. Ein äußerst gewinnendes
Lächeln.
„Ihr seid
der Sohn des Königs...“ Uups... durfte ich das wissen?
„Und ich
kenne mich in diesen Hallen bestens aus“, versicherte er mir neckend.
„Aber
Ihr...“
„Oh, bitte!“ Er schüttelte mißbilligend den
Kopf. „Laß diese förmliche Anrede. Es wirkt seltsam nach all deinen
unverschämten Vorwürfen.“
Meine
Gesichtsfarbe wurde noch einen Ton dunkler.
Er winkte
mir ungeduldig. „Ich wollte ohnehin zum Kampfplatz“, erklärte er unterwegs und
hielt zwei Gänge weiter vor einer Tür an. „Warte hier!“
Als er
wieder aus dem Zimmer hervorkam, hielt er Bogen und Köcher in der Hand. „Jetzt
können wir gehen.“
„Ähm, ich
wollte zu den Ställen, nicht zum Kampfplatz“, wagte ich einzuwenden und hielt
den Blick wiederum gesenkt. Ich fühlte mich klein und unbedeutend neben diesem
edlen Wesen. Daß Legolas mir zunächst nur mit einem geduldigen Lächeln
antwortete, ließ mein Selbstvertrauen auch nicht gerade steigen.
„Die
Pferde befinden sich tagsüber nicht in den Ställen.“
Aha. Na
dann. Ich beschloß ab jetzt meinen Mund zu halten und folgte ihm schweigend
durch eine ganze Reihe gewundener Gänge, bis wir endlich durch ein großes Tor
hinaus ins Freie traten.
Verwundert
blickte ich mich um. Wir standen am Rand einer großen, grünen Lichtung. Rechter
Hand tummelte sich eine buntgemischte Pferdeherde und von links drang Schwertergeklirr
herüber. Sehen konnte ich niemanden. Der Kampfplatz wurde von einer dichten
Hecke von dem sichtbaren Platz abgetrennt. Legolas deutete in diese Richtung.
„Frag
jemanden nach dem Weg, wenn du wieder auf dein Zimmer willst“, legte er mir nahe.
„Dies sind Krieger.“ Er schmunzelte spöttelnd. „Sie verwechseln Menschen nicht
mit Orks.“
Mit
offenem Mund starrte ich ihm hinterher.