Ich
erwachte mit einem stechenden Schmerz in der linken Hüfte und drehte mich
stöhnend auf die andere Seite. Was für ein irrer Traum! Ich hatte entschieden
eine zu rege Phantasie. Und woran um alles in der Welt hatte ich mich diesmal
schon wieder gestoßen? Für gewöhnlich rannte ich mir die Füße am Bettpfosten an
oder schlug mit der Hand gegen die Wand. Der harte Boden belehrte mich, daß ich
aus dem Bett gefallen sein mußte. Das war mir bisher auch noch nicht
passiert... Ich tastete im Finstern - finster deshalb, weil ich zu müde war,
die Lider zu heben - um mich und bekam ein Büschel Gras zu fassen.
Gras? Wie
von der Tarantel gestochen schoß ich in sitzende Stellung hoch und riß die
Augen auf.
„Ah, du
bist wach.“
Ich fuhr
herum und blickte in ein mir seltsam vertrautes, bärtiges Gesicht.
„Radagast?“
fragte ich unsicher.
„Wer
dachtest du?“
Vorsichtig
blickte ich mich um. Das erste, was mir auffiel war, daß ich mich nicht mehr in
meiner Wohnung befand, sondern in einem Wald. Es herrschte Dämmerung, ob am
Abend oder Morgen entzog mich meiner Einschätzung. Neben mir saß Radagast und
hielt mir einen ledernen Beutel hin.
„Trink
einen Schluck.“
Ich
reagierte nicht, sondern betrachtete mit großen Augen die sechs Gestalten, die
um uns herum lagerten.
„Elben?“
flüsterte ich und schluckte hart.
„Ich muß
irgend einen Fehler gemacht haben“, lamentierte Radagast, ohne meine Frage zu
beantworten. „Eigentlich hätten wir in Bruchtal ankommen sollen.“ Er hustete
verlegen und eigenartigerweise brachte dies mir meine Fassung zurück. Ich
tätschelte dem Alten beruhigend den Unterarm.
„Nobody
is... ich meine... niemand ist perfekt.“
Einer der
Männer trat herbei und redete halblaut mit dem Istar. Ich verstand kein Wort,
hatte aber nun Gelegenheit mir einen waschechten Elben aus der Nähe zu
betrachten. Auf zwei Meter funktionierte das nämlich auch ohne Brille...
Seine
Ausrüstung ähnelte der in den Filmen, aber ansonsten unterschied er sich von
diesen weichlichen Jünglingen wie der Tag von der Nacht. Oh! Mein! Gott! DAS war
ein Elb? Ich spürte, wie mir warm wurde und hoffte nur, daß niemand mein
hochrotes Gesicht bemerken würde. Jeder Versuch diese unglaubliche Präsenz zu
beschreiben scheitert an meinem mangelhaften Ausdrucksvermögen. Auf jeden Fall
war er weit männlicher und kriegerischer und zugleich schöner, als ich ihn mir
in meinen verrücktesten Träumen vorgestellt hatte. Ob die alle so waren?
Vermutlich mehr oder weniger. Schwindel ergriff mich und ich legte beide
Handflächen auf meine glühenden Wangen.
Ein
zweiter Elb trat herzu, sah mich kurz an und sagte etwas, was nach einem Scherz
klang. Einem Scherz auf meine Rechnung, versteht sich! Dabei lachte er leise
und zwinkerte mir zu und anstatt mich zu ärgern, schmolz ich dahin... Ich
schloß die Augen. Das fing ja gut an!
„Zum
Glück waren Elladan und Elrohir mit ein paar Kriegern in der Nähe, als wir
mitten in einer Meute Orks auftauchten“, hörte ich Radagasts Worte wie durch
einen Schleier und atmete tief durch, um mich wieder zurück in die Gegenwart zu
bringen.
„Das sind
also die Zwillinge.“ Ich blickte zwischen den beiden hin und her, die mich
jetzt unverhohlen angrinsten. Da fiel mir auf, daß ich die Hände noch immer auf
meine Wangen preßte. Ich zog sie zurück wie jemand, der sich verbrannt hat, was
mir nur ein noch breiteres Grinsen einbrachte.
Ein
Schauer der Erleichterung durchfuhr mich. Wenn dies die Söhne Elronds waren,
hatte ich wenigstens Hoffnung, daß die „gewöhnlichen“ Elben nicht ganz so
atemberaubend schön waren.
„Oh, ach
ja. Fast hätte ich das vergessen: Du solltest niemandem davon erzählen, daß du
bereits von Mittelerde gehört hast, und wen du hier alles kennst. Am besten
tust du so, als wenn du gar nichts davon wüßtest.“
„Wieso?“
„Tu es
einfach. Und noch etwas.“ Radagast erhob sich und sah mich ernst an. „Denke
daran, daß du eigentlich nicht hier her gehörst.“
„Daran
brauchst du mich nicht zu erinnern.“
„Ich
meine es ernst! Es ist wichtig!“ Er legte mir eine Hand auf die Schulter und
sah mir fest in die Augen. „Versprich es mir!“
„Versprochen.“
Er nahm
sein Bündel auf und warf es über die Schulter.
„Ich muß
jetzt fort.“
„Wie
fort? Du kannst mich doch nicht alleine lassen!“
„Es muß
sein. Ich habe etwas Wichtiges zu erledigen. Wir treffen uns bald wieder. Bis
dahin sei tapfer und denke daran: Du kennst niemanden und du weißt von nichts!“
Bevor ich
noch etwas antworten konnte, war Radagast zwischen den Bäumen verschwunden.
Auch die Elben machten sich zum Aufbruch bereit und einer der beiden Söhne
Elronds half mir aufstehen.
Ich
blickte mich unsicher um. Erst jetzt bemerkte ich, daß es eisig kalt war.
Zitternd rubbelte ich mir die Oberarme und schimpfte leise vor mich hin. Da war
Radagast wohl noch ein Fehler unterlaufen, als er mir dieses Sommerkleidchen
gegeben und nicht bedacht hatte, daß es hier in Mittelerde Winter war!
Jemand,
den ich nicht herantreten hörte, legte mir von hinten einen Umhang über die
Schultern und war gleich darauf wieder verschwunden. Alle bewegten sich
geisterhaft lautlos, als sie das provisorische Lager abbrachen und beachteten
mich nicht. Obwohl die freundliche Geste mit dem wärmenden Kleidungsstück mir
das Gegenteil hätte beweisen sollen, fühlte ich mich von ihnen ignoriert und
völlig fehl am Platze. Es war alles so unwirklich. Als wäre ich gar nicht da
oder befände mich in einem Traum. Daß ich kaum etwas sah und alles im
Halbdunkel um mich herum verschwamm, verstärkte den Eindruck noch.
Am
liebsten hätte ich geheult! Wirklich. Mir war danach zumute. Wie ein willenloses
Schaf lief ich plump und ungelenk hinter den leichtfüßigen Elben her, die
beinahe tänzerisch durch das dichte Unterholz huschten.
Bereits
nach kurzer Zeit war ich völlig außer Atem. Soviel Mühe ich mir auch gab,
andauernd stolperte ich über Zweige, Wurzeln und Steine. Ein dünner Ast schlug
mir ins Gesicht und ich zog scharf die Luft ein. Das brannte wie Feuer!
Jemand
rief etwas zu meiner Rechten, dann stockte die Gruppe und Elladan - oder
Elrohir - erschien an meiner Seite. Ich sah auf. Der Elb sagte etwas, stellte
sich mit dem Rücken zu mir und ging in die Hocke.
Ähm? Wie
bitte? Der wollte mich doch jetzt nicht Huckepack nehmen. Oder doch? Hilflos
starrte ich seine Kehrseite an.
Als ich
nicht reagierte oder zumindest nicht so, wie man es von mir erwartete, kam der
andere Zwilling und redete drängend auf mich ein.
Ich
verstand zwar ein paar Brocken Sindarin, aber das hier ging mir viel zu
schnell. Zu allem Überfluß war ich auch noch so fasziniert von der weichen und
flüssigen Aussprache, daß ich den gut aussehenden Mann nur dumm-dämlich
anhimmelte.
Der wurde
ungeduldig und zeigte immer wieder mit der Hand in die Richtung, aus der wir
gekommen waren. Schließlich verstand ich wenigstens ein einziges Wort:
>Yrch<.
Mühsam
begriff ich daraufhin, was die beiden versuchten, mir klarzumachen: Wir wurden
von Orks verfolgt und ich elendes Menschenkind hielt sie nur auf. Ich nickte
zum Zeichen des Verstehens und er zeigte auf den Rücken seines Bruders. Also
doch. Sie wollten mich wie ein Bündel Gepäck mitschleppen. Ein unnutzes Bündel.
Wie entwürdigend!
Nur
widerstrebend trat ich näher an den knienden Elben heran und legte ihm zögernd
und unentschlossen die Hände auf die Schulter. Er packte mich augenblicklich
und beförderte mich mit einem Schwung in Position. Ich quietsche erschrocken,
klammerte mich um seinen Hals, ließ auf das daraufhin folgende würgende
Geräusch blitzartig wieder los, verlor das Gleichgewicht und wäre beinahe nach
hinten gekippt. Zum Glück sprang jedoch irgend jemand herbei und schob meinen
Oberkörper wieder nach vorne, wo ich mich nun vorsichtiger festhielt und im
Selbstmitleid ertrank. Was für eine peinliche Situation!
Nun, da
ich ungeschicktes Menschlein sie nicht mehr aufhielt, ging es um einiges
schneller voran. Ich spürte den kalten Wind in meinem Gesicht, doch der Mantel
wärmte mich. Auch muß ich sagen, daß der durchtrainierte Rücken eines solch
engelgleichen Wesens wirklich ein äußerst angenehmes Beförderungsmittel
darstellte und so döste ich trotz meiner anfänglichen Hemmungen wohlig vor mich
hin, bis wir nach einer kleinen Ewigkeit eine Rast einlegten.
Eigentlich
begriff ich nicht, weshalb wir überhaupt anhielten, denn keiner der kleinen
Gesellschaft wirkte auch nur im geringsten ermüdet... außer mir. Ja, lacht nur,
ich fühlte mich tatsächlich ziemlich erschlagen und war dankbar, mir die Füße
ein wenig vertreten zu können.
Die Hände
in die Hüfte gestemmt, blickte ich mich um. Vor einiger Zeit hatten wir den
Wald verlassen und befanden uns nun auf offenem Gelände. Es war schon lange
stockdunkel. Es war also die Abenddämmerung gewesen, die mich in Mittelerde
begrüßt hatte. Die Sterne leuchteten in unzähliger Pracht von einem schwarzen
Himmel, der so nah und doch so fern schien, daß die Sehnsucht mich ergriff. Mit
in den Nacken gelegtem Kopf betrachtete ich sie eine Weile und plötzlich war
mir nach Singen zumute.
Für
gewöhnlich sang ich nur, wenn niemand mich hören konnte. Zuhause hinter
verschlossenen Fenstern und Türen oder wenn ich alleine mit dem Auto unterwegs
war, denn meine Stimme war rauchig und alles andere als wohlklingend, von
meiner Begabung hohe Töne zu versemmeln und die tiefen nur halb zu erwischen,
ganz zu schweigen. Also ersparte ich meinen Mitmenschen diesen zweifelhaften
Genuß normalerweise.
Doch jetzt,
ganz ohne eigenes Zutun, begann ich leise zu singen. Und welches Lied hätte
sich besser dazu geeignet, als das von Elbereth, der Sternenkönigin. Keine
Melodie war uns dazu überliefert, doch hatte man es oft vertont. Die Palette
reichte von schnulzig, süßlich über bombastisch bis opernhaft und künstlerisch.
Ich wählte eine einfache Melodie, schlicht und dennoch ausdrucksvoll, die für
mich stets am stärksten die wundervolle Magie Mittelerdes mit sich geführt
hatte.
„A Elbereth Gilthóniel, silívren penna míriel o menel
aglar elenath...“
Das Lied
verklang und mit einem stillen Seufzer senkte ich den Kopf... und blickte
peinlich berührt in sechs erstaunte Augenpaare.
Uups...
hatte Radagast nicht etwas davon gesagt, daß ich nichts von Mittelerde wissen durfte?
Schloß das eigentlich auch die Existenz der Valar mit ein?
Verlegen
sah ich in alle möglichen Richtungen und versuchte nur, den Blicken der Elben
auszuweichen. Was genau hatte Radagast gemeint?
Während
der nächsten Etappe machte ich mir ausgiebig Gedanken darüber und ließ mir
seine Worte mehrmals durch den Kopf gehen – so gut ich mich noch an sie
erinnern konnte. Schließlich kam ich zu dem Entschluß, daß der Istar nicht
beabsichtigt haben konnte, mich als Alien bloßzustellen. Vermutlich sollten sogar
möglichst Wenige von meiner richtigen Herkunft erfahren, wo es doch so eine
besondere Ausnahme der Valar war...
Ein
Mensch jedoch, noch dazu einer, der weder Sindarin noch die Hochsprache der
Elben beherrschte und folglich keiner der adligen Familien angehören konnte,
würde sich nicht mit der Familiengeschichte Elronds oder Frodos Stammbaum
auskennen.
Sicher
aber konnte es nicht schaden, wenn ich die wenigen Brocken Grauelbisch, die ich
zu beherrschen glaubte, dazu verwandte, um mich wenigstens zu einem gewissen
Grad mit meinen stillen Begleitern zu verständigen.
Also nahm
ich allen Mut zusammen und fragte stockend: „Na... na man sad padam?“ Mein Herz
sank, weil ich befürchtete, dieser Satz könne mehr Fehler als Worte enthalten.
Mein
Träger – ich glaube, es war jetzt der andere Zwilling – hob lauschend den Kopf
und wandte ihn mir ein Stück zu. Ich hätte schwören können, daß er mich schief
angrinste, aber es war zu dunkel um etwas zu erkennen. Zumindest hatte er
verstanden, was ich zu wissen begehrte.
„Na
Imladris“, erklärte er hilfsbereit.
Imladris.
Nach Bruchtal. Ich runzelte die Stirn. Existierte Bruchtal im Vierten Zeitalter
denn noch? Nun, es schien so. Auch Radagast hatte Bruchtal erwähnt, was mir
natürlich erst jetzt auffiel. Ich bin eben nicht die Schnellste, wenn’s ums
Denken geht.
Nach
diesen wenigen scheuen Worten versank ich wieder im Schweigen. Es war nicht so,
als ob ich nicht mindestens Einhundert Fragen gehabt hätte, aber so sehr ich
mich auch bemühte, ich kam bei meiner intercephalen Vokabelsuche nur bis zur
Hälfte der meisten, wenn mir überhaupt ein geeignetes Wort einfiel.
Was
wußten diese Elben von Radagast? Was hatte er ihnen über mich erzählt? Wohin
war er gegangen? Wußte Galvorn schon, daß ich hier war? Galvorn... vielleicht
war er sogar einer meiner Begleiter und ich wußte es nicht. Zwar glaube ich
erkannt zu haben, daß keiner außer den Zwillingen rabenschwarzes Haar hatte,
aber bei dem schlechten Licht und meiner Sehschwäche konnte ich das nicht mit
Sicherheit sagen.
Wie es wohl
in Bruchtal aussehen mochte? Jetzt, wo Elrond in den Westen gegangen war, waren
sicher seine Söhne die Herren. Ob ich Glorfindel sehen würde? Ich rutschte
ungeduldig hin und her, was mir einen fragenden Blick Elladan-rohirs
einbrachte. Ich war immer schon ein großer Fan Glorfindels gewesen. Er war so
eine interessante Persönlichkeit. Fürst der Goldenen Blume von Gondolin,
Balrogtöter und von den Toten zurückgekehrt. Er mußte inzwischen bestimmt - ich
überschlug es kurz in Gedanken und gab den Versuch auf, da ich mich wieder
einmal nicht genau erinnern konnte - auf jeden Fall war er einer der ältesten
Elben Mittelerdes. Wenn man die Zeit vor seinem Tod mitberechnete.
Und
Erestor. Ob Erestor noch in Mittelerde weilte? Ob er wirklich so düster und
verstaubt war, wie die meisten Fanfiktions ihn beschrieben?
Der
Zwilling räusperte sich tadelnd und ich zwang mich zur Ruhe. Versuchte mich
lieber daran zu erinnern, wer alles mit Elrond, Bilbo und Frodo in den Westen
gefahren war und wem ich demnach nicht
begegnen würde. Natürlich fiel mir als nächstes Galadriel ein, was mich gleich
auf den faszinierenden Gedanken brachte, daß Celeborn noch da sein müßte. Ich
quietschte begeistert. Ich würde Celeborn sehen! Bestimmt war er nach der
Vernichtung des goldenen Waldes nach Bruchtal gegangen!
Einer der
Elben lachte auf und machte eine Bemerkung, auf die hin mein Träger versuchte,
mich mit seinem Blick zu durchbohren, was nicht so recht funktionierte, da er
den Kopf nicht soweit wenden konnte und ich nur sein Profil zu sehen bekam. Ich
lachte glücklich und nötigte ihm damit ein Lächeln ab. Vor wenigen Stunden war
ich noch völlig niedergeschlagen gewesen und jetzt fühlte ich mich, als müßte
ich vor Seligkeit zerbersten!
Ich atmete
tief durch und bemühte mich, mich von nun an ruhig zu verhalten. Vor mich
hinschmunzelnd schüttelte ich über mich selbst den Kopf. Ich war schon ein
verrücktes Huhn...
Langsam
kroch die Müdigkeit erneut in meine Glieder. Mein Kopf glitt nach vorne und
fand im Nacken des Elben Halt. Ich hörte noch verschwommen wie jemand etwas
sagte, das entfernt nach einem Kommando klang, dann war ich eingeschlafen.
~*~