„Kannst
du melken?“ hatten sie mich gefragt. Melken! Ohne auch nur nachzudenken hatte
ich mit einem lauten und deutlichen >Ja< geantwortet. Tatsächlich besaß
ich auf diesem Gebiet ein wenig Erfahrung. Ich hatte nämlich in einem vierwöchigen
Praktikum auf einem Bauernhof, neben einigen anderen Beschäftigungen, zweimal
täglich 65 Milchkühe gemolken! Natürlich nicht von Hand. Und die Einstellung
der technischen Melkanlage hatte sich dabei als die größte Herausforderung
erwiesen.
Wer diese
Erfahrung mit mir teilt weiß, daß die Kühe selbst beim maschinellen
Melkverfahren von Hand angemolken werden müssen. So gänzlich unerfahren war ich
also wirklich nicht.
Meine
Probleme begannen auch ganz woanders. Die Blesse war nämlich ausgebüchst, und
ich sollte sie nun wieder einfangen! Dazu sollte man wissen, daß das Vieh nur
den Winter im Stall innerhalb der Palisade verbrachte und den gesamten Sommer
draußen auf einer Weide gleich hinter dem grasbewachsenen Deich, der die
Mitheithel daran hinderte die Felder zu überfluten. Auf dem Deich selbst
weideten nach norddeutschem Vorbild die Schafe der kleinen Menschensiedlung.
Die Weide
war - wie irgendwie alles hier – von einer dichten Dornenhecke umgeben. Sie war
vermutlich ein Überrest des ehemaligen Waldes, der bei der Rodung stehen
gelassen worden, oder später wieder nachgewachsen war. In ihre Westseite hatte
man einen zwei Meter breiten Durchlaß gehauen, welchen nun ein niedriges Tor
verschloß. Und dieses Tor wies in der oberen Hälfte deutliche Spuren von
Gewalteinwirkungen auf – anders ausgedrückt: zwei Bretter waren nahezu völlig
zertrümmert.
Während
ich noch auf den Ort der Verwüstung starrte, öffnete die ’Neth – so nannten sie
die Großmagd – das Tor, wies mit einer Hand auf die deutlichen Hufabdrücke in
dem schlammigen Boden und trug mir mit barschen Worten auf, nach dem Ausreißer
zu suchen, da ich viel jüngere Beine habe als sie und mich ruhig ein wenig
bewegen könne.
Ohne eine
Erwiderung abzuwarten stampfte das rundliche Frauenzimmer von dannen, um die
zweite Kuh der Farm aufzusuchen; mit deutlich schmatzenden Schritten, als sie
mit dem schweren Schuhwerk bis zu den Knöcheln im Matsch einsank. Ungefähr fünf
Meter innerhalb der Weide, war der Boden weniger aufgewühlt, gestattete erst
einzelnen Grasbüscheln und schließlich immer dichterem Grün hier zu wachsen.
Ich
gähnte müde, nicht wirklich begeistert von meiner neuen Aufgabe und nicht
bereit, mich um diese unchristliche Zeit, schon zu sehr zu verausgaben. Die
Sonne war noch gar nicht über den Bergen erschienen und so richtig hell konnte
man den Morgen auch noch nicht nennen.
Also
drehte ich mich einmal um die eigene Achse und begutachtete die Landschaft.
Allzuviel gab es auf dieser Seite der Festung nicht zu sehen. Von dort wo ich
gerade stand sowieso nicht. Die Weide grenzte unmittelbar an die Palisade,
welche sie nach Westen abtrennte und sowohl den Blick, als auch den Weg weiter
rechts herum versperrte. Das war vielleicht der ausschlaggebende Punkt, weshalb
ich mich endlich doch auf die Suche nach dem gehörnten Vierbeiner machte.
Also
wandte ich mich in die entgegengesetzte Richtung, die, aus der ich gekommen
war, und wohin in Ermangelung einer anderen Möglichkeit auch die Spuren
führten. Zu meiner Rechten rauschte die Mitheithel, und die Schafe blökten
gelangweilt über den Deich. Gleich gegenüber des Gartentürchens – wie die
Bewohner den schmalen und verborgenen Hinterausgang der Festung liebevoll
nannten, und unmittelbar am Ufer des Flusses, stand eine Blockhütte, nicht
größer als ein Geräteschuppen. Die Blesse war nirgends zu sehen.
Ihre
Hufeindrücke bald auch nicht mehr. Zu feucht war der Boden so dicht am Wasser
und zu viele Leute waren hier gegangen – hinüber zu den Viehweiden, hinauf auf
den Damm, hinunter an den Fluß zum Wäschewaschen, Angeln, oder um eines der
kleinen Frachtboote abzuladen, denn hier befand sich der einzige, sehr einfache
Landungssteg der Siedlung.
Von der
anderen Seite des Flusses herab waren keine Gefahren oder eine Entdeckung zu fürchten,
denn dort breiteten sich viele Kilometer weit undurchdringliche Moore – die
Ettenöden – aus, die noch kein Tier, das größer war als eine Maus, lebend
durchquert hatte; wenn man den Geschichten glauben durfte, die sie hier abends
am Kaminfeuer erzählten. Der Fluß selbst machte in seinem Lauf an der gesamten
nördlichen Front des verborgenen Reiches entlang einen sanften Bogen ins Land
hinein und konnte so von außerhalb nicht eingesehen, von den Wachttürmen aber
überblickt werden.
Am Ende
der Palisade angekommen blickte ich unmotiviert umher und unnötigerweise
hinunter in den umzingelnden Graben. Als ob die Milchkuh so blöde gewesen wäre,
dort hineinzufallen! Spuren konnte ich auf der mit schlanken Obstbäumen
bepflanzten Wiese, die sich auf der Westseite ausbreitete, auch keine erkennen,
weil es hier am Boden einfach noch zu dunkel war – die Festung warf einen
langen und breitflächigen Schatten herüber, weniger bedingt durch die noch
immer nicht aufgegangene Sonne, als ihrem nebligen Schimmer, der sich nun
deutlich im Osten über den Bergen erhob.
Na
großartig! Schmollend schlurfte ich einfach gerade drauf los und blickte mich
zwischen den Bäumen um. Zuvor setzte ich jedoch erst einmal den mitgebrachten
Eimer und den Einbein-Schemel ab, da ich keine Lust hatte, sie die ganze Suche
lang mit mir herumzuschleppen. Eigentlich mußte so eine Kuh doch auffällig und
groß genug sein, daß man sie finden konnte, oder?
„Blesse!“
lockte ich halblaut und erhielt natürlich keine Antwort. „Blesse!“ Wo steckte
das dumme Vieh bloß?
Leises
Summen drang an mein Ohr und neugierig folgte ich dem unerwarteten Geräusch.
Etwas kribbelte an meiner Nase und ohne zu überlegen wedelte ich es mit der
flachen Hand fort. Je weiter ich ging, desto lauter wurde das Summen. Kein Zweifel.
Das klang nach einem ganzen Bienenschwarm.
Spätestens
jetzt hätte ich aufmerken müssen. Aber nein! Das nächste Kribbeln am Arm wurde
mit der gleichen Unachtsamkeit weggeschlagen. Ebenso ein weiteres und das
darauf folgende. Und noch immer strebte ich auf das Zentrum des geschäftigen
Treibens zu.
„Paß auf!
Geh nicht zu nahe an die Stöcke heran!“ rief eine warnende Stimme vom Ausguck
herab, aber da war es schon zu spät.
In ihrer
Ruhe gestört und von meinen Schlägen verärgert, scharte sich das Bienenvolk
zusammen und was ich dann sah, war eine schwarze brummende Kugel, die auf mich
zugeschossen kam! Meine Augen weiteten sich vor Schreck und augenblicklich
waren meine trägen Lebensgeister geweckt. Auf den Fersen kehrt machen und
losspurten waren eins.
Vor
lauter Panik krachte ich zunächst einmal gegen den Stamm eines Baumes – nicht
gerade das, was mir einen Vorsprung vor den kleinen wütenden Honigsammlern
verschafft hätte! Die brummten jetzt ganz dicht hinter mir und waren nicht
zufrieden damit, mich aus der nächsten Nähe ihrer Heime vertrieben zu haben,
sondern verfolgten mich quer über die Wiese. Die schnellsten stachen mir
bereits in Hals und Ohren und ließen sich von meinen verängstigten Flüchen und
Verwünschungen überhaupt nicht beeindrucken.
In meiner
Not stürmte ich in langen Sätzen den grünen Deich hinauf, quer durch die
protestierenden Schafe, purzelte über eines hinweg, das mir den Weg nicht frei
geben wollte, konnte mich nicht wieder auffangen und kugelte schreiend und
schimpfend den Hang an der anderen Seite wieder herunter. Da dieser das neue
Flußufer bildete und keinen Abschluß hatte, fiel ich an seinem Ende geradewegs
ins Wasser. Als die eisigkalten Fluten über mir zusammenbrachen, blieb mir für
einige Sekunden der Atem weg. Doch wenigstens war ich jetzt da, wo ich hatte
hin wollen – und schneller, als ich es erhofft hatte.
Die
Bienenplage war ich nun zwar los, dafür wurde ich von der Strömung
fortgerissen, noch bevor ich überhaupt wieder auftauchen konnte. Zum Glück
raubte die Kälte mir aber nicht die Sinne. Ich war immer eine gute Schwimmerin
gewesen. Um gegen diesen Fluß anzukämpfen, fehlte mir jedoch die Kraft. Also
begnügte ich mich erst einmal damit, nicht zu ertrinken oder beim Luftholen
allzu viel Wasser zu schlucken.
Am Ufer war
alles beängstigend still. Hatte denn niemand meinen Sturz mitbekommen? Nicht
einmal die Wache oben auf dem Turm? Unwahrscheinlich. Dennoch schien es fast
so, als müsse ich mich selbst aus meiner fatalen Lage befreien.
Jetzt
bekam ich etwas zu greifen, woran ich mich festhalten konnte. Daß es ein
ziemlich stacheliger Ast war, der mir an mehreren Stellen äußerst schmerzhaft
in die Hände schnitt, störte mich in meiner Panik überhaupt nicht. Entschlossen
ballte ich die Fäuste zusammen und konnte nun auch endlich wieder mehrere
Atemzüge hintereinander tun, ohne dabei den halben Fluß auszutrinken.
Prustend
blickte ich das Ufer hinauf. Der grasbewachsene Deichhügel war verschwunden.
Neben mir war dichter, undurchdringlicher Dornenwald.
Mir war zum
Heulen! Wie war ich nur in diese verflixte Situation geraten? Und wie sollte
ich wieder herauskommen? Hier hing ich nun, meine Hände fingen an, unter dem
Druck zu zittern und vor Schmerzen zu pochen und ich konnte weder am Ufer hoch
noch gegen die Strömung zurück und mich weiter abtreiben lassen - nun, das
durfte ich noch viel weniger! Wie hätte ich denn wieder herkommen sollen, wenn
ich irgendwo außerhalb der Siedlung an Land gekrabbelt wäre? Ich zog ernsthaft
in Betracht, mich nächstes Mal doch lieber von den Bienen zerstechen zu lassen!
Nächstes
Mal...! Verärgert spuckte ich einen Schluck Wasser aus, das mir trotz meines
haltgebenden Astes immer wieder über dem Kopf zusammenschlug und dabei ganz
selbstverständlich den Weg in meinen Mund fand.
Wenn es
für mich überhaupt ein nächstes Mal geben wird! stritt ich mit mir selber und
versuchte mit den Füßen vergeblich, Kontakt zum Boden aufzunehmen.
Aufgeregtes
Tschilpen übertönte selbst das Brausen des Flusses um meine Ohren.
„Ach,
Aiwendil!“ seufzte ich. Wenigstens einer, der sich nicht zu freuen schien, mich
los zu sein! Tatsächlich ließ sich noch immer keiner der Dúnedain blicken. Ich
mußte ihnen in den wenigen Tagen meines Hierseins doch bereits gewaltig auf die
Nerven gefallen sein. Zwar konnte ich mich nicht direkt daran erinnern, etwas
Schlimmes angestellt zu haben...
Naja,
außer vielleicht, daß ich den Trog im Backhaus gründlich ausgespült hatte.
Hatte ich denn wissen können, daß die Reste für den Sauerteig aufgehoben werden
mußten? Und konnte ich dafür, daß man mich nicht darauf hingewiesen hatte, als
es hieß, ich solle in der Backstube sauber machen?
Und war
es etwa meine Schuld, daß man in Mittelerde noch keine Heupressen erfunden
hatte und statt der praktischen quaderförmigen Ballen das getrocknete Gras mit
einer dieser überdimensionalen Gabeln aufpieksen mußte? Konnte man mich denn
verantwortlich dafür machen, daß am Ende stets nur noch drei Halme auf den
Zacken steckten, wenn ich es endlich bis zum Leiterwagen geschafft hatte?!
Natürlich
hatte ich auch nicht die geringste Ahnung vom Gerben oder der Milchverarbeitung
oder...
Bei der
Fütterung des Viehs hatte ich dann prompt die Getreidesorten verwechselt,
woraufhin der ganze Stolz des Gutsherrn, ein rassiger, schokobrauner Hengst,
vor lauter Übermut und Haferüberdosis ein imposantes Loch in die Stallwand
getreten hatte.
Das
Waschen der schmutzigen Wäsche war mir danach nur noch auf mein eingehendes
Drängen hin anvertraut worden. Wenigstens dabei hatte ich gute Arbeit
geleistet. Fand ich. Immerhin war es mir gelungen, die gröbsten Flecken zu
entfernen! Was mit dieser selbstgekochten Seife aus Fett und Knochenasche gar
nicht so einfach war – und dem Aussehen der Kleidung nach auch nicht allzu
häufig versucht wurde... Die ’Neth hatte zwar sehr skeptisch geguckt, aber
meine Arbeit dann mit einem zustimmenden Grunzen akzeptiert.
Ach ja,
und beim Pilzesammeln hatte ich sogar richtig gut abgeschnitten! Um diese
Jahreszeit gab es zwar nicht allzu viele, aber die wenigen eßbaren Sorten hatte
ich – nach Aiwendils gründlichem Lehrgang im vorletzten Frühjahr – meisterhaft
unterschieden! Sogar die Großmagd hatte mir dies zugestehen müssen, und die war
mit ihrem Lob wahrhaftig nicht schnell zur Hand!
Das
Herumhantieren mit der Sense beim Getreideschneiden hätte ich allerdings besser
bleiben lassen sollen. Seither trug einer der Knechte sein Bein in einer sauber
verschnürten Bandage...
Vielleicht
war dies der Grund, weshalb die Leute mich jetzt lieber absaufen ließen...
„Ach,
Aiwendil!“ schluchzte ich noch lauter. „Ach! Wenn doch nur Galvorn hier wäre!“
Es war
ein geradezu verzweifelter Laut, mit dem der Vogel meine Klage beantwortete.
Hilflos flatterte er um meinen Kopf herum und dann spürte ich ein energisches
Ziehen an den Haaren. Lustlos lachte ich auf, als mir klar wurde, was mein
kleiner Freund da versuchte. Es hätte mein Herz erwärmen können, wäre es nicht
so unsinnig gewesen. Tränen der Rührung mischten sich in den Sturzbach des
Wassers, das in einer neuen Welle über mich hereinbrach.
Danach war
Aiwendil verschwunden. Er war einfach fort. Aber ich hatte ihn nicht wegfliegen
gesehen! Gerade zuvor war er noch mit seinem mutigen Rettungsversuch
beschäftigt, als die Woge...
Oh lieber
Eru, nein! Bitte nicht! Ungeachtet der scharfen Dornen packte ich den Ast
fester mit einer Hand und ließ die andere fahren; ermöglichte es mir so, meinen
Körper zu wenden und nach hinten zu blicken.
„Aiwendil!“
brüllte ich unglücklich, „AIWENDIL!“ Doch weder mit den Augen, noch den Ohren
konnte ich ein Zeichen des bunt gefiederten Gesellen einfangen.
Ich war
kurz davor, vor lauter Kummer von meiner rettenden Dornenranke abzulassen, als
ich Stimmen hinter mir vernahm. Stimmen, und die gleichmäßigen Ruderschläge
eines erfahrenen Bootsmannes.
„Halte
durch, wir sind gleich bei dir!“ Eine tiefe, beruhigende Stimme, die mein Gemüt
doch nicht zu heben vermochte.
Teilnahmslos
ließ ich mich von zwei starken Armen in das schmale Boot heben und starrte
apathisch den Flußlauf entlang. Die ehrlich besorgten Fragen nach meinem
Befinden drangen zwar an meine Ohren, wurden aber von meinem Gehirn nicht
verarbeitet. Schließlich gaben die beiden Männer ihre Bemühungen auf. Sie
hatten auch anderes zu tun, als sich jetzt mit meinem seelischen Zustand zu
befassen. Die Strömung war stark und es bedurfte ihrer ganzen Energie, ihr
entgegen zu rudern.
Am
Landungssteg angekommen, war ich zumindest wieder soweit bei Sinnen, daß ich
selbständig aus dem Boot klettern konnte. So ziemlich alle Bewohner der Feste
waren dort zusammen gekommen. Alle, die gerade nicht am anderen Ende der
Siedlung beschäftigt und abkömmlich waren. Sogar die ’Neth hatte ihre Milchkuh
stehen lassen und stand mit noch umgebundenem Einbein und beide Hände in die
bunte Schürze verkrampft am Ufer.
Soviel zu
meinen ungerechten Vorurteilen über die Rachsucht der Dúnedain!
Es war
Ivoreth, das humorvolle Mädchen vom Abend meiner Ankunft und Tochter der
Gutsherren, die sich als erstes auf mich stürzte, um sich zu vergewissern, daß
ihre Brüder mich auch in einem Stück zurück gebracht hatten. Alles, was ich auf
ihre Nachfragen stammelte, war ein einziges Wort: Aiwendil. Mein Blick ging
leer zum Fluß zurück und mit dem ausgestreckten Arm deutete ich die Richtung
an. Aiwendil...
„Tirgrist,
Tirchast!“ schaltete sich jetzt die Großmagd ein, die nicht einmal vor den
erwachsenen Söhnen der Herrschaft soviel Respekt besaß, um sie nicht
gelegentlich herum zu kommandieren. Meine beiden Retter traten artig einen
Schritt vor und erwarteten schweigend ihre Befehle.
„Steht da
nicht so herum! Seht ihr nicht, daß das arme Kind vor Kälte schlottert?“
Erst
jetzt gewahrte ich, daß mein Unterkiefer sich selbständig gemacht hatte und die
Zähne lautstark aufeinanderschlugen. Der Rest meines Körpers zuckte ebenso
unkontrolliert. Es war beinahe eine Erlösung, als das Zittern und die Kälte bis
zu meinem Bewußtsein durchdrangen. Schützend umarmte ich mich selbst und wurde
gleich darauf in einem langen, wärmenden Mantel geborgen, den Tirchast mir auf
Geheiß der ’Neth bereitwillig überließ.
„Ihr da!
Schürt das Feuer für ein heißes Bad!“ instruierte die Großmagd die beiden ihr
am nächsten stehenden Knechte – mehr Krieger in dieser wehrhaften Burg – und
trug Ivoreth auf, dafür zu sorgen, daß das Wasser ordentlich temperiert wurde
und ich lange genug darin hocken blieb, um mir keine Erkältung einzufangen.
Schließlich könne man es sich nicht leisten, eine Arbeitskraft zu verlieren,
auch wenn sie eigentlich zu nichts nütze war.
In der
stolzen Gewißheit sich nicht überzeugen zu müssen, daß ihre Befehle ausgeführt
wurden, wandte sie sich ab und ging mit ungelenken Schritten wegen des
störenden Einbeins wieder ihrer Melkarbeit nach.
Ich
seufzte, nicht sicher, ob ich wegen der indirekten Vorwürfe beleidigt oder froh
sein sollte, so glimpflich davon gekommen zu sein.
Gedanke
und Absicht waren gut. Doch die Erinnerungen an meine eigenen verunglückten
Versuche in Rhosgobel, ein passables Bad zu bereiten, ließen mich daran
zweifeln, ob das Wasser noch rechtzeitig heiß würde, um einer erneuten
Erkältung vorzubeugen.
Wenigstens
erfuhr ich nun, wozu diese kleine Hütte am Flußufer diente und auch, weshalb
ich es bisher noch nicht herausgefunden hatte. Denn das Baden war in der Tat
eine sehr zeitaufwendige und Feuerholz-verzehrende Angelegenheit. Für
gewöhnlich zogen die Leute es deshalb vor, sich einfach am Fluß zu waschen –
oder überhaupt nicht. Was jetzt nicht heißen soll, daß sie ständig schmutzig
herumliefen, aber ein solcher Reinigungsfimmel wie ich ihn von zuhause kannte,
hatte hier aufgrund dieser erschwerenden Umstände noch nicht Einzug gehalten.
Ich bekam
beinahe ein schlechtes Gewissen, wegen der ganzen Arbeit, die ich ihnen machte.
Aber nur beinahe. Der andere, geschundene, unterkühlte und erschöpfte Teil
meines Ichs ließ sich diese Fürsorge sehr gerne gefallen. Als ich endlich in
diesem viel-zu-kurz-um-sich-wirklich-entspannen-zu-können Kübel saß, die Knie
an die Brust gezogen und das Wasser ein klitzekleines bißchen zu heiß, so daß
es ein unangenehmes Kribbeln am ganzen Körper verursachte, neben mir eine wachsame
Ivoreth, die mich daran hinderte, den Bottich zu verlassen, als mir die Hitze
bis über die Ohren stieg, während sie mir munter den neuesten Klatsch vom
Liebesleben ihrer Brüder erzählte, klärte sich langsam mein Geist und es wurde
mir möglich, mit einer Art außenstehender Objektivität das Geschehene zu
betrachten.
Dieser
Zustand hielt aber nicht lange an und neue Tränen sammelten sich in meinen
Augen. Wehmütig spritzte ich mit zwei schnippenden Fingern ein paar Tropfen
Wasser über den Kübelrand. Ivoreths Geplapper hörte ich längst nicht mehr.
Daß man
mich an diesem Tag aufgrund meiner Traurigkeit zu gar nichts mehr gebrauchen
konnte, mußte später auch die Köchin einsehen, der ich stolpernd eine Schüssel
Mehl vor die Füße kippte...
~*~