Der
stolze, braungefleckte Hahn der kleinen Menschensiedlung schickte sein klares
Kikeriki in die Stille des neu erwachten Morgens.
Stöhnend drehte
ich mich auf die andere Seite und wagte einen vorsichtigen Blick unter meiner
Bettdecke hervor. Es war stockdunkel in der Kammer, die ich mit den anderen
Mägden des Hofes teilte. Dicht neben mir schnarchte die ’Neth eben noch wie ein
ganzer Holzfällertrupp, dann kehrte kurz erwartungsvolle Stille ein und danach
knirschte der Strohsack, als sich die zuvor großflächig verteilte Last beim
Aufsitzen auf einem Punkt konzentrierte.
„Auf!
Auf!“ polterte eine verboten gut gelaunte Stimme. Zwei Handflächen knallten
unmittelbar über meinem rechten Ohr zweimal aufeinander, und dröhnend stimmte
sie ihren allmorgendlichen Singsang an: „Die Nacht ist vorbei! Der Tag bricht
an!“
Als
Reaktion auf soviel überschüssige Energie, stöhnte ich nur noch lauter. Wieso
mußte die Großmagd ausgerechnet die frühe Morgenstunde für ihren einzigen
Heiterkeitsausbruch des Tages mißbrauchen?
Während
es um mich herum geschäftig zu rascheln begann, weigerte ich mich standhaft,
meine bequeme Lage zu verlassen. Mir taten vom Vortag noch alle Knochen weh.
Naja, eigentlich waren es nur die Arme und der Schulterbereich und mein Rücken
und... ohhh! Die Hüfte schmerzte ebenfalls. Meine Füße waren wohl auch nur
deshalb zufrieden, weil sie gerade nicht mein Körpergewicht tragen mußten.
Gestern Abend hatten sie noch vor Weh geschrieen und geschwollen waren sie
bestimmt auch gewesen. Ganz sicher sogar. Aber um das genauer nachzuprüfen,
hatte ich einfach nicht mehr die Kraft besessen. Mein Rücken protestierte bei
dem bloßen Gedanken daran, daß ich mich dabei hätte bücken müssen, und ein
drittes Mal an diesem Morgen entfuhr mir ein gepeinigtes Stöhnen. Vielleicht
würde man mich ja einfach im Dunkeln übersehen und vergessen...
Doch
leider hatte ich schon längst den Ruf eines Langschläfers – eines schwer wach
zu kriegenden Langschläfers, versteht sich. Seit sich dies herumgesprochen
hatte, versuchten die guten Leute überhaupt nicht mehr, mich auf die sanfte
Weise aus meinen Träumen zu wecken.
Heute
sollte ich eine neue und sehr effektive Methode kennenlernen, eine Methode, die
selbst den allergrößten Faulpelz augenblicklich auf die Beine brachte.
Erst
hörte ich ein Kichern, dann ein >Pssst!< dann wie jemand näher an mein
Bett trat und als ich leises Schwappen von Wasser in einem Eimer vernahm, war
es für eine Flucht bereits zu spät. Erschrocken riß ich Mund und Augen auf -
was natürlich ein Fehler war. Der satte Strahl traf mich dann unmittelbar nach
der Erkenntnis.
Oh! Diese
Sadisten! Sie begnügten sich nicht etwa mit einer Handvoll des kalten Nasses!
Nein! So wie es sich anfühlte, war der Eimer ziemlich randvoll gewesen! Vor
lauter Schreck und um dem Erstickungstod zu entgehen, schnellte ich in sitzende
Position und warf aus einem Reflex heraus die Decke von mir, so als müßte dies
mir das Atmen erleichtern.
Bevor ich
meine Lungen mit der ersehnten Frischluft füllen konnte, hustete ich zunächst
einmal heftig, und als ich den flüssigen Fremdkörper aus Mund und Nase gespieen
und ein paar tiefe Atemzüge getan hatte, hob ich sofort zu einer Schimpftirade
an. Damit kam ich aber nicht weit, denn eine tadelnde und bereits viel weniger
gut gelaunte Stimmte unterbrach mich grob:
„Na,
geruht die Dame heute also doch noch, sich zu erheben?“
Ich
grummelte irgend etwas Unfreundliches, tastete meine Decke nach einem trockenen
Zipfel ab, an dem ich mein Gesicht abwischen wollte, fand keinen und strampelte
mich vollends aus dem nassen Lumpen heraus.
„Mußte
das sein?“ maulte ich die drei Gestalten an, die sich um mein Bett versammelt
hatten und von denen ich im Dunkeln nur schattenhafte Schemen sah. Am
unterdrückten Kichern erkannte ich in einer die Tochter des Hauses. Natürlich.
Wo es einen lustigen Streich zu spielen galt, war Ivoreth nie fern. Ich selbst
fand sowas ja sonst auch immer lustig. Bloß nicht, wenn ich selbst das Opfer
war!
„Du mußt
aufstehen! Heute ist doch Ernte!“ frohlockte das junge Mädchen, „Nicht wahr,
’Neth? Du hast es uns versprochen! Mirwen und mir. Wir könnten Elanor auch gut
dabei brauchen!“
„Wobei?“
erkundigte ich mich mißtrauisch. „Was für eine Ernte?“
Ivoreth
klatschte die Hände aufeinander. Nicht so laut wie die Großmagd und nur einmal
und auch nicht dicht neben meinem Ohr.
„Zwetschgen!
Die dunklen, saftigen Zwetschgen auf der Westweide sind reif!“
Zwetschgen
also. Ich überlegte kurz. Das war vielleicht endlich einmal etwas, bei dem ich
nicht in irgendein gut versteckt herumstehendes Fettnäpfen treten würde und
angenehmer als stundenlang in einem Butterfaß herum zu stochern war es mit
Sicherheit.
Gequält
massierte ich meine schmerzenden Schultern, suchte schlaftrunken im Halbdunkel
herumtastend ein paar trockene Sachen zusammen, kleidete mich um und trat
hinaus. Ich hob das Gesicht zum Himmel, gähnte und stellte miesepetrig fest,
daß ich mir die trockene Kleidung hätte sparen können, denn Regen nieselte kalt
und beständig von oben auf mich herab.
Nicht
gerade arbeitseifrig schlurfte ich den schmalen Gang zwischen Schmiede und
Gesindehaus entlang, dessen vordere Hälfte mit separatem Eingang die Männer
bewohnten, damit sie im Falle eines Angriffes schneller auf dem Hof waren und
nicht über die Mägde stolperten. Die Tür zu dieser Abteilung stand offen. Kein
Laut drang aus der Stube. Da war ich also wieder einmal die Letzte. Ich zuckte
geringschätzig die Schultern und vergrub meine Hände tief in den Hosentaschen.
Am Ende
der Wohnbaracke brannte wie üblich die einsame Fackel und warf ihren trüben
Schein über den freien Platz. Ich bog aus dem Gang heraus nach rechts, an
Schmiede und Räucherkammer – Räucherkammer, das klang so klein und doch war das
mehrere Räume beinhaltende Gebäude größer als das Gesindehaus und sogar ein
wenig länger als die Schmiede - vorbei und hielt auf den Wirtschaftstakt zu, wo
unter anderem alle Arten von Geräten aufbewahrt wurden. Dies war für gewöhnlich
mein erster Gang am Morgen, auch wenn ich augenblicklich nicht recht wußte, was
ich eigentlich dort suchte. Dann aber fiel mir ein, daß eine Leiter und ein
paar Eimer beim Zwetschgenernten sicher von Vorteil waren.
Ich
beglückwünschte mich insgeheim zu dieser großartigen Erkenntnis, als mir
Ivoreth und Mirwen bereits mit dem hölzernen Ungetüm entgegen kamen. Eine kurze
Diskussion wurde abgehalten, als die beiden Mädchen sich nicht entscheiden
konnten, in welchem Winkel sie das lange Ding am besten durch die Tür bringen
sollten. Es gab einige Püffe und Stöße, ein paar unpräzise Anordnungen – von
beiden erlassen, von keinem befolgt - ein Zerren und Lachen und endlich standen
sie freudestrahlend vor mir.
„Bringt
auch gleich einen ordentlichen Bund Athelas mit, wenn ihr auf die Westweide
geht! In der Nähe der Bienenstöcke wächst es besonders schön. Wäre ein wahre
Schande, es verkommen zu lassen!“ verteilte die ’Neth lautstark die Aufgaben.
In der
Nähe der Bienenstöcke? Nein danke! Ich beschloß, mich einfach nicht
angesprochen zu fühlen und drehte mich demonstrativ ab.
Inzwischen
hatte es zu dämmern begonnen, aber es war noch immer nicht hell genug, jemanden
deutlich zu erkennen, geschweige denn zu sehen, wen die Großmagd bei ihrer
Anweisung anblickte. Außerdem war ich ohnehin halbblind, oder? Eben.
Schnell
schob ich mich hinter Mirwen durch und zur Tür hinein, die soeben vom anderen
Ende der Leiter freigegeben wurde.
„Ich gehe
ein paar Eimer holen!“ krähte ich dabei, alle eventuellen Wiederholungen des Befehls
übertönend. Sollte doch jemand anderes dieses Heilkraut pflücken. Ich hatte
seit meinem unfreiwilligen Bad vor drei Tagen genug von besagten Bienenstöcken
und deren Bewohnern gesehen. Der dunkle und zähflüssige Honig schmeckte zwar
ganz ausgezeichnet auf dem würzigen Sauerteigbrot, aber das war auch die
einzige Form, in der ich mich zukünftig mit den angriffslustigen Tierchen zu
befassen gedachte!
Im
Inneren des Wirtschaftsgebäudes brannte eine einsame Windlaterne, die gerade
mal soviel Licht verstreute, daß jemand, der genau wußte, wo das Gesuchte sich
befand, sich daran orientieren konnte. Ich hatte da noch nicht so recht den
Durchblick, auch wenn ich nun schon seit beinahe drei Wochen hier war. Es gab
einfach viel zuviel Neues für mich zu entdecken und zu lernen.
Ich
kannte ja noch nicht einmal jeden der Bewohner beim Namen!
Laut
polternd fiel etwas Metallenes zu Boden, als ich beim Herumtasten dagegen
stieß. Ich horchte auf. Der Klang könnte passen, dachte ich, krabbelte dem
Geräusch hinterher und hielt kurz darauf eine Schaufel mit kurzem Stiel in der
Hand. Enttäuscht schnaufte ich aus und bemerkte beim Aufrichten, daß ich die
Richtung verloren hatte. Also erstmal um die eigene Achse drehen. Da war die
Laterne. Durch die Türöffnung fiel kein Licht herein, weil sich gleich dahinter
die Seitenwand der Räucherkammer befand, die den Schein der Morgendämmerung
verdeckte.
Aber gut,
wo die Kerze gestanden, hatte ich mir gerade so noch merken können...
Hier
links mußte die Milchkammer sein. Ich schnüffelte prüfend und zog die Nase
kraus. Nicht etwa, weil es penetrant gestunken hätte, sondern ich weil ich
daran dachte, wie ich gestern stundenlang dort drinnen gestanden und Butter
geschlagen hatte. Abgesehen davon, daß dies eine wirklich äußerst kraftintensive
Arbeit war, hätte mich die Käsebereitung auch weit mehr interessiert, aber mit
einem Hinweis darauf, daß jeder erst klein anfangen müsse, hatte man mir das
Erlernen dieser hohen Kunst noch nicht anvertrauen wollen. Ich zog die Nase
noch höher, murmelte meine Enttäuschung vor mich hin und schimpfte auf mein
Ungeschick, welches viel wahrscheinlicher der Grund für diese Entscheidung
gewesen war.
Was hatte
ich hier gleich gesucht? Ach ja. Ein paar Eimer. Drei Stück, für jeden einen.
Ob das ausreichen würde? Wie viele Zwetschgenbäume waren es noch? Ich kniff die
Augen zusammen und malte in Gedanken das Bild der kleinen Obstplantage nach. Da
waren zwei Kirschbäume – einer mit süßen gelben und einer mit säuerlichen
hellroten Früchten; ein Birnbaum, ein paar Apfelbäume, die auch so langsam
erntereif sein mußten; mehrere Beerensträucher und zwei, ja, ich war mir
sicher, zwei Zwetschgenbäume.
Zwei
Zwetschgenbäume und drei Eimer? Nachdenklich schloß ich die recht großen Kübel,
die sich irgendwie ganz von selbst gefunden hatten, in die Arme, als wären sie
ein zu rund geratenes Baby. So dicht an dicht, wie die Früchte hingen, würde
das niemals ausreichen.
Hm...
Vielleicht doch lieber ein paar Eimer mehr, überlegte ich, brachte aber
zunächst meine Ausbeute vor die Tür, auch weil ich nicht ganz sicher war, wie
viele Eimer mehr es denn sein sollten. Also würde ich lieber die ’Neth fragen,
bevor ich wieder etwas falsch machte.
Draußen
wurde es jetzt erstaunlich schnell hell. Das rege Treiben im Hof konnte ich gut
überblicken. Zwei etwa zehnjährige Kinder liefen mit einem Körbchen herum und
sammelten Eier, die von den freilaufenden Hennen an allen möglichen und noch
vielmehr unmöglichen Plätzen versteckt wurden. Eine hatte sogar ein Abkommen
mit dem Rudelführer der Wachhunde abgeschlossen und der stand nun beschützend
vor dem geheim sein sollenden Ablageplatz. Mehr zur Schau bleckte er halbherzig
die Zähne und versuchte die Kinder mit seinem treuen Hundeblick zu überreden,
hatte damit aber keinen Erfolg und machte ihnen beinahe schon winselnd den Weg
frei.
Ich
schmunzelte. Diese Menschenkinder waren in gewisser Weise viel erwachsener als
ihre gleichaltrigen Kameraden im Waldelbenreich. Sie hatten schon früh gelernt
Pflichten und Verantwortung zu übernehmen. Dabei kam das Spielen aber nicht zu
kurz. Nur schade, daß mir selbst keine Zeit blieb, ihnen dabei Gesellschaft zu
leisten. Ein wehmütiges Lächeln glitt über mein Gesicht und ein leichtes Zerren
schmerzte in meiner Brust. Ich vermißte meine kleinen Racker. Und nicht nur
sie. Ich vermißte das Waldelbenreich, vor allem Galvorn, und Celthor, und
Aiwendil...
Energisch
zog ich die Nase hoch und hob den Kopf in den Nacken. Trübsalblasen half mir
jetzt auch nicht weiter. Irgendwie würde ich eben die Zeit überstehen müssen,
bis ich wieder zurück ins Waldelbenreich durfte. Den Gedanken, daß ich damit
Galvorns Herz noch lange nicht erobert haben würde, verdrängte ich bewußt.
Immer schön ein Schritt nach dem anderen, redete ich mir ein, auch wenn meine
Ungeduld am liebsten mit mir davongerannt wäre.
Mit den
Eimern im Arm langte ich also vor dem Wirtschaftgebäude an und schwenkte sie
mit lautem Hallo durch die Luft.
„Reichen
die aus?“ fragte ich dabei wider besseres Wissen.
„Natürlich
nicht“, schalt die ’Neth auch sogleich meine Naivität. „Hier, nehmt den
Handkarren. Den werdet ihr bis Mittag wohl gefüllt bekommen. Dann könnt ihr ihn
gerade mit hereinbringen, wenn ihr zum Essen kommt.“
„Du, ich
glaub nicht, daß wir heute zu Mittag Hunger leiden werden...“, flüsterte Mirwen
in unsere Richtung und leckte sich genüßlich die vollen Lippen.
Ivoreth
stieß die Freundin mit dem Ellenbogen an. Das unschuldige Lächeln hätte sie
sich aber sparen können, denn die Großmagd hatte sich längst anderen
Verpflichtungen zugewandt.
„Wollen
wir?“ Ich testete die starre Achse des Karrens bis ich eine komfortable
Handstellung gefunden zu haben glaubte und brauchte gleich zwei Versuche zum
Anziehen, weil ich beim ersten das Gewicht des Gefährtes reichlich unterschätzt
hatte.
Dann ging
es laut schnatternd über den Hof und zum Tor hinaus, wobei Mirwen den größten
Teil zur Unterhaltung beitrug. Sie war etwa im gleichen Alter wie Ivoreth und
ungefähr dreimal so dick. Dabei litt ihr Geist unter einer ziemlichen Beschränktheit,
was sie aber nicht daran hinderte, ihr Leben mit einer solch überquellenden
Fröhlichkeit zu meistern, die vielleicht aber gerade jenen Leuten vorbehalten
ist, welche den Ernst desselben nicht recht begreifen können.
Als wir
bei der kleinen Obstplantage ankamen, hatte auch endlich die Sonne den Horizont
erreicht, so daß wir nicht erst lange zu rätseln brauchten, zu welchem der
Bäume wir uns begeben mußten. Der Regen hatte aufgehört. Es versprach ein
schöner Spätsommertag zu werden.
Die beiden
Mädchen lehnten sogleich die Leiter an und ich parkte den Karren ganz in der
Nähe, langte die drei Eimer heraus und drückte jeder einen in die Hand.
„Nur
damit das klar ist: Ihr beide krabbelt die Leiter hinauf, und ich pflücke von
hier unten soweit, wie ich an die Früchte herankomme!“ Da sich meine Höhenangst
sogar noch vor meiner Langschläfrigkeit herumgesprochen hatte, stieß ich mit
meiner Forderung nicht auf Gegenwehr und während die beiden wie die
Eichhörnchen die lange Leiter hinaufkletterten, gab es auch vom Boden aus genug
für mich zu tun.
Wir
pflückten den ganzen Vormittag, wobei nicht wenige der wunderbar süßen Früchte
den Weg zwischen unsere Zähne fanden. Und richtig. Als der Mittag sich nahte,
verspürte keiner von uns wirklich den Drang danach, sich zum gemeinsamen Essen
zu begeben. Doch der Handkarren war randvoll und die drei Eimer dazu, und
Mirwen kam bereits die Leiter heruntergestiegen, als Ivoreth freudig von ihrem
Aussichtspunkt herunterrief:
„Wir
bekommen Besuch! Seht doch nur!“
Durch die
schmale Öffnung der Dornenhecke führten mehrere hochgewachsene Gestalten ihre
Pferde ohne sichtbare Zügel hinter sich her.
„Elben!“
rief ich überrascht, ließ vor Begeisterung meinen Eimer fallen und schlug die
Hände aufeinander. „Elben!“
Über mir
raschelte das Geäst, gefolgt von einem gefährlichen Knacken, als Ivoreth sich
weiter vorbeugte, um besser sehen zu können.
„Das ist
Gildor!“ hauchte sie ehrfürchtig und tastete mit den Füßen nach der verlorenen
Leiter.
„Gildor Inglorion?“
platzte ich heraus – mal wieder alle Vorsicht vergessend, weil dieser Name doch
eigentlich nicht zu denen gehörte, die mir geläufig sein sollten.
Mirwen
quietschte zustimmend und Ivoreth stieß einen leisen Schrei aus, weil sie vor
Aufregung die Sprosse verfehlt und erst drei Stufen unterhalb neuen Halt
gefunden hatte. Der Saum ihres Kleides war dabei an einem der oberen Äste
hängen geblieben und gab den Blick auf zwei wohlgestaltete Beine frei.
Wegen der
sich nähernden Elben, zog sie sogleich panikartig und ohne Rücksicht auf den
deutlich hörbar zerreißenden Stoff den Rock aus den Ästen herunter und bedeckte
damit geschwind ihre Blöße. Dabei lief das arme Mädchen - selbst durch die
Zweige hindurch deutlich erkennbar - puterrot an und ich war gemein genug, in
schallendes Gelächter auszubrechen. Mirwen grinste dümmlich von einem
Ohrläppchen zum anderen, und Ivoreth zeterte beschämt, als wäre ihr Leben
verwirkt.
Die Elben
störte dieser kleine Zwischenfall nicht im geringsten. In erhabener Haltung und
ehrwürdigen Schrittes zogen sie in einem Abstand von vielleicht zehn Metern an
uns vorbei, grüßten freundlich in unsere Richtung, machten aber keine
Anstalten, sich uns zu nähern und strebten ohne Umweg auf das Tor zu.
„Elben!“
Ich hatte meinen Lachanfall bemeistert und wunderte mich lautstark über die
Ankunft der Erstgeborenen. Sie waren so selbstverständlich hereingekommen, als
wäre die Umgebung ihnen bestens vertraut.
„Sie
bringen Nachricht von den Häfen“, erklärte Ivoreth, die ihre Fassung wieder
erlangt hatte und von der Leiter herabgestiegen war.
„Tun sie
das öfter?“
„Hin und
wieder.“ Ivoreth zuckte die Schultern, als wäre es tatsächlich nichts
besonderes.
Erst
langsam erinnerte ich mich daran, daß die Dúnedain durchaus Umgang mit den Elben
pflegten. Schließlich war ihr Anführer sogar in Bruchtal aufgewachsen. Die
Menschen des Westens arbeiteten sozusagen eng mit den Erstgeborenen zusammen,
und da dies hier eine ihrer Hauptbefestigungsanlagen war, so war es eigentlich
nur verständlich, daß in irgendeiner Form ein Botenverkehr aufrecht gehalten
wurde. Ich wunderte mich also über meine eigene Verwunderung und versuchte, den
Inhalt meines Eimers irgendwie noch auf dem Karren unterzubringen.