„Na toll,
Elli! Was hast du dir dabei gedacht? Einfach mal losziehen, um Elrond und
Gandalf zu belauschen, wie?! Und hattest du etwa einen Plan? Nein! Wozu auch!
Kann schließlich nicht so schwer sein, sich an einen Elben heranzuschleichen!
Und Gandalf ist doch ein alter Mann. Der hört und sieht eh nicht mehr richtig,
oder? Pah!“
Ich
bemühte mich, mit der Zungenspitze einen Fussel aus dem Mund zu schieben und
spuckte mit spitzen Lippen nach. Als das nichts nutzte, wischte ich mit dem
feuchten Handrücken darüber, wodurch ich die Situation noch verschlimmerte.
Auch der Versuch, meine Pfoten an der triefenden Hose abzustreifen, scheiterte.
Endlich ließ ich den Fussel Fussel sein, zog schnaubend eine klatschnasse
Haarsträhne aus dem Mundwinkel und klebte sie hinters Ohr.
Das
konnte doch alles nicht wahr sein! Wie war ich nur auf diese bescheuerte Idee
gekommen? Und sowieso, und überhaupt, warum hatte Liriel mich nicht davon abgehalten?
Ich meine, schließlich war sie die Ältere, Erfahrenere und Klügere von uns
beiden. Sie hätte doch wissen müssen, daß das nicht funktionieren würde.
Oder
zumindest hätte sie mich vor diesem tückischen Wasserloch warnen können!
Ihr ahnt
es bereits. Ich hatte mich bis auf die Knochen blamiert! Und schuld daran war,
wer hätte das gedacht, wieder einmal meine unstillbare Neugier.
Heute auf
dem Weg zur Schneiderei hatte ich ihn entdeckt. Er mußte bereits früher am Tag
angekommen sein, vielleicht in der Nacht oder gar am Abend zuvor... jedenfalls
war seine Kleidung vom Staub der Straße befreit, und er machte nicht den
Eindruck eines müden Reisenden. Im Gegenteil. Als sein Blick mich flüchtig
streifte, funkelten seine Augen hellwach. Gandalf war größer, als ich ihn mir
vorgestellt hatte. Für weitere Beobachtungen reichte die Kürze der Begegnung
nicht. Er grüßte mit einem knappen Kopfnicken im Vorbeigehen und strebte
forschen Schrittes ein bestimmtes Ziel an.
Das ist
die Gelegenheit! behaupteten meine Beine, noch ehe mein träges Gehirn zu einem
Entschluß gekommen war, und liefen wie an einer unsichtbaren Schnur gezogen
hinter dem grauen Zauberer her.
Zwei
Gänge weiter traf ich auf Liriel. Sie wollte ebenfalls zu ihrer Handarbeit und
wunderte sich darüber, mich so rasch vor dieser weglaufen zu sehen. Zumindest
sah es für sie so aus. Doch ich erklärte ihr ungeduldig, daß ich nicht vor
etwas davon, sondern jemandem hinterher lief, und ließ sie einfach stehen –
Nun, theoretisch zumindest. Praktisch folgte sie mir.
Gandalf
war die breite Treppe hinunter in die Eingangshalle gegangen, die er durch das
Haupttor gerade verließ, als Liriel und ich um die Ecke bogen.
Bevor die
Flügeltür sich schloß, hörte ich, wie er jemanden grüßte. Die antwortende
Stimme kam mir vage bekannt vor.
„Wer ist
das?“ fragte ich Liriel, huschte durch die Halle und suchte vergeblich nach
einer Spalte im Holz des Tores, durch die ich hätte blicken können.
Liriel
trat vor das helle Fenster. „Herr Elrond“, erklärte sie schulterzuckend.
Ich
schlug mir in Gedanken die flache Hand vor die Stirn.
Warum
einfach... wenn’s auch kompliziert geht.
„Was
machen sie?“
„Sie
unterhalten sich.“
„Und?“
Ungeduldig trat ich auf der Stelle.
„Jetzt
gehen sie gemeinsam ein paar Schritte“
„Was?
Wohin?“ Ich wollte zu Liriel vors Fenster eilen, stolperte vor Aufregung über
die eigenen Füße und schlug mir auf dem harten Steinboden die Knie auf. „Au-a!
So ein Mist!“
„Paß doch
auf!“ Liriel beugte sich hilfsbereit zu mir, doch ich winkte hastig ab.
„Wo sind
sie hin? Sag schon!“ Durch das Fenster waren sie bereits nicht mehr zu sehen.
Leise grummelte ich meinen Unmut vor mich hin.
„Dort
rechts hinüber. Den Pfad entlang.“ Liriel sah mich verständnislos an. „Geht es
dir gut?“
„Ja doch.
Ja doch! Komm mit!“ Ich faßte ihre Hand, zog sie hinter mir zur Tür hinaus und
auf den erwähnten Pfad zu.
„Was hast
du denn vor?“
„Sie
belauschen!“
„Wie
bitte?“ Liriel blieb abrupt stehen und hinderte mich mit festem Griff am
Weitergehen. Vorwurfsvoll hob sich eine Augenbraue.
„Jetzt
komm schon!“ Ich zappelte am ausgestreckten Arm wie ein Fisch an der Angel. Als
ich fester zog, ließ Liriel meine Hand fahren. Ich strauchelte und wäre um ein
Haar erneut gefallen.
Auffordernd
sah ich sie an. Sie blickte kritisch und zweifelnd. Dann folgte sie mir
zögernd.
„Wo sind
sie bloß hin?“ Der Pfad führte in einem Rechtsbogen um ein üppiges
Rhododendrenfeld herum. Ich nahm die Kurve im Eiltempo, doch die beiden
Gesuchten waren nicht mehr in Sichtweite.
„Vermutlich
zur kleinen Gartenlaube. Um diese Zeit scheint die Sonne warm zur offenen Seite
herein. – Du solltest das wirklich nicht tun!“
Liriel
war stehen geblieben und zwar in einer Pose, die verdeutlichte, daß sie nicht
willens war, weiter mitzukommen.
Nun gut.
Wenn sie sich so sehr zierte, war sie ohnehin mehr hinderlich als hilfreich.
Ich winkte also ab und verfolgte meine Absicht alleine weiter. Ich wußte, wo
ich die erwähnte Gartenlaube zu suchen hatte. Sie stand etwas versteckt am Rand
eines kleinen Buchenhaines und nur in den Morgenstunden fand die Sonne
Gelegenheit, ihr Inneres zu bescheinen. Ein Grund, weshalb ich bisher nur
einmal kurz dort gewesen war, denn so früh am Tage war ich zumeist noch mit
Schlafen oder Frühstücken beschäftigt. Zu den übrigen Zeiten aber, war die Laube
wenig einladend.
Schon von
weitem hörte ich Gandalfs markiges Lachen. Dem Klang nach amüsierte er sich
nicht über etwas Lustiges, sondern kommentierte vielmehr sarkastisch eine sehr
ernste Sache. Vermutlich war auch er es, der mit der Faust auf die Tischplatte
schlug, so daß das kleine Häuschen in seinen Grundfesten erbebte.
Ich war
vom Weg abgewichen und hielt mich im Schutz der Buchen. Jedes Mal, wenn ich an
die welkenden Blätter stieß, raschelten sie leise. Doch ich dachte nicht daran,
daß mich dies verraten könnte. Ein leichter Wind war aufgekommen und strich
sachte über Wiese und Wald. Das von ihm verursachte Rascheln klang in meinen
Ohren nicht anders.
„Ja ganz
recht! Gandalf der Graue wie eine Fliege im verräterischen Netz einer Spinne!“*
polterte eben dieser gerade. Er stand auf und blickte nach Osten, die Hände auf
dem Rücken ineinandergelegt.
Ich
schlich mich von der entgegengesetzten Seite an die Gartenlaube heran – völlig geräuschlos
wie ich glaubte - und sah ihn nur als dunklen Schatten gegen die Strahlen der
Sonne.
„Was ist
mit Radagast? Denkst du, auch er ist gefallen?“
Zu meiner
Freude klang der offene Zweifel aus Elronds Stimme.
Auch
Gandalf schien diese Möglichkeit auszuschließen. Der Vulkan, der eben noch
deutlich spürbar in ihn gebrodelt hatte, beruhigte sich angesichts dieser
Vorstellung. Er kehrte um und ließ sich auf der Bank nieder.
„Nein.
Zwar fürchtete ich es zunächst, doch glaube ich nicht daran, daß er den
ehrlichen Radagast für seine Verräterei gewinnen konnte. Auch hatte ich, als
wir uns trafen, in seiner Stimme oder seinen Augen keinerlei Anzeichen bemerkt,
daß etwas nicht stimmte. Radagast suchte in gutem Glauben nach mir.“*
Nun,
zumindest in guter Absicht.
Armer
Radagast! Da hatte ich ihn wirklich in eine furchtbare Situation gebracht!
Hoffentlich würde nie jemand erfahren, was ihn tatsächlich zu seinem Handeln
bewogen hatte!
Vielleicht
sollte ich dies auch um meiner eigenen Sicherheit willen wünschen, überlegte
ich mir.
Ich
hockte mit meinen geschundenen Knien auf einem spitzen Stein, was äußerst
unangenehm schmerzte. Also suchte ich nach einem komfortableren Platz. Dabei
verlor ich für einen kurzen Moment das Gespräch aus den Augen – will sagen aus
den Ohren – also ich meine, ich paßte gerade nicht so richtig auf, was die
beiden weiter sprachen. Offensichtlich gehöre ich nicht zu jenen Frauen, die
mehrere Dinge gleichzeitig tun können. Ich konzentrierte mich auf’s
Zurechtsetzen und bekam um mich herum sonst nichts mit.
Als ich
meine neue Position eingenommen hatte, bemerkte ich sofort, daß sich etwas
verändert hatte. Gandalf und Elrond saßen noch immer nebeneinander, aber das
Gespräch drehte sich jetzt nicht mehr um Radagast und Saruman oder darüber, wie
Gandalf vom Orthanc entkommen war, sondern widmete sich eingehend den
Schönheiten der Natur.
Ich
rümpfte die Nase. Gandalf hatte doch seinen Bericht unmöglich so schnell
beenden können.
„Gerade
die Pflänzchen im Schatten dieses Gartenhauses sind so selten, daß man ihren
Wert kaum ermessen kann. Ihr wißt, von welchen ich spreche, Meister Elrond. Ich
sollte mir unbedingt eines für meine Sammlung pflücken, meint Ihr nicht auch?“
Ich
runzelte die Stirn. Gandalf hatte eine Kräutersammlung? Gelegenheit, darüber
nachzugrübeln, ob ich schon jemals davon gehört hatte, bekam ich nicht. Der
Graue Zauberer sprang mit einem pantherartigen Sprung genau auf mich zu, den
Kopf seines Stabes abwärts gerichtet.
Mit
spitzem Schrei warf ich mich zur Seite, da mir zum Aufspringen bereits kein
Platz mehr blieb, und – fand, was ich gar nicht gesucht hatte. Nämlich
besagtes, völlig mit Moos und Algen überwuchertes, und deshalb nicht auf den
ersten Blick als solches erkennbares Wasserloch.
Ich fiel
natürlich hinein, atmete vor Schreck einen Mund voll Schlammwasser ein, und
wurde wenig später unsanft an den Haaren gepackt und herausgezogen.
„Sieh an!
Da habe ich aber ein äußerst seltsames Kräutchen der Gattung Lathron
ausgerissen!“
Mist! Wo war
gleich wieder dieses verflixte Loch zum Versinken? Ach so, ja. Da hatte ich
eben noch dringesteckt. Vielleicht gibt es Wünsche, die man nicht zu oft
wiederholen sollte, weil sie sonst zur falschen Zeit und am falschen Ort
erfüllt werden.
Doch wohl
nie zuvor hätte ich dringlichere Gründe gehabt, mich – auf welche Weise auch
immer – unsichtbar zu machen. Gandalf funkelte mich wütend an. Es waren
vielleicht nur ein paar kleine Antworten auf noch unausgesprochene Fragen, die
ihn davon abhielten, mich auf der Stelle in einen Frosch zu verwandeln. Elronds
sonst so gütiges Gesicht war streng. Auch er betrachtete mich schweigend.
Ich biß
die Zähne aufeinander und erwartete ein gewaltiges Donnerwetter. Je länger
dieses ausblieb und das Schweigen anhielt, umso unbehaglicher fühlte ich mich.
Konnte Gandalf mich nicht einfach anbrüllen? So wie Radagast es immer tat, wenn
ich eine Dummheit angestellt hatte?
„Ich...
ich...“ begann ich endlich zu stottern. Weiter wußte ich nichts zu sagen. Ich
öffnete und schloß den Mund wiederholt; stumm wie ein Fisch. Meine Hände
zupften haltsuchend am jeweils entgegengesetzten Ärmelbund.
„Wie geht
es deinen Verwandten in Esgaroth?“ erkundigte sich Elrond, nicht gerade
unfreundlich.
„Wie?
Äh... ach so. Gut. Danke.“ Stimmt, ich hatte Verwandte in Esgaroth.
„Du hast
Verwandte in Esgaroth?“ wurde Gandalf aufmerksam.
Oh nein!
Hoffentlich kam er nicht auf die Idee, mich nach den Namen zu fragen! Ich
nickte vorsichtig.
Bevor ich
in Erklärungsnot geraten konnte, hielt Elrond es für angebracht, mich seinem
neuen Gast vorzustellen.
„Dies ist
Elanor, ein Menschenkind, das vor zwei Jahren von deinem Mitbruder Radagast in
die Stadt am Langen See begleitet wurde. Damals verweilte sie hier einige Zeit,
um neue Kräfte für die Weiterreise zu sammeln. Auf dem Rückweg in ihre Heimat
suchte Radagast für sie Zuflucht bei Tirgam, wo sie bleiben sollte, bis sie
ungefährdet weiterreisen konnte. Als es aufgrund der neuesten Ereignisse für
sie auch dort zu gefährlich wurde, vertraute Tirgam sie vor drei Monaten
Halbarad an, der sie hierher brachte.“
Was die
Frage aufwarf-
„Wo ist
deine Heimat?“
„Ähm...
meine Heimat... ja.“ Ganz großartig! Was bitteschön sollte ich jetzt sagen?
Jemandem, der Mittelerde wahrscheinlich besser kannte, als ich den Inhalt meiner
Hosentaschen!
Aber
Moment mal! Gab es nicht Menschensiedlungen irgendwo nördlich von Bree? Das war
zwar nicht die weit entfernte Heimat, die Radagast Tirgam gegenüber erwähnt
hatte, aber die Gegend war vielleicht gerade unsicher genug, um Radagasts Entscheidung
glaubwürdig klingen zu lassen – hoffte ich.
„Weiter
im Westen...“, stotterte ich und machte eine wage Handbewegung in die Richtung.
„In Bree?“ half Gandalf.
„Nördlich...
See“, stammelte ich weiter. Ich hätte es bei Bree lassen sollen, dachte ich im
gleichen Moment. Jetzt war es zu spät. Mir schlotterten die Knie vor Angst und
ich hatte die beiden Wörter nur mit Mühe aussprechen können.
„Am Lenuial-See?“
Ich
nickte und wußte nicht einmal, ob das der richtige Name war.
Gandalf
hakte nicht weiter nach. Ob das ein gutes Zeichen war? Ich versuchte in seiner
Miene zu lesen, aber dort sah ich nichts weiter, als daß er noch immer äußerst erbost
über mein ungehöriges Verhalten war.
„Und
Radagast hat dich begleitet, wie?“
Wieder
nickte ich. Ich begann zu schwanken, wagte aber nicht, einen Schritt zur
Brüstung zu machen, wo ich mich hätte anlehnen können.
Ausgerechnet
in diesem Moment schoß mir ein weiterer beunruhigender Gedanke durch den Kopf:
Hatte
Elrond davon erfahren, daß Saurons Schergen möglicherweise auf der Suche nach
mir waren? Radagast hatte das Tirgam gegenüber erwähnt.
Und wurde
nicht auch Radagasts Integrität gerade in Frage gestellt?
„Woher
kennst du ihn?“ Gandalf hatte etwas von einem Fuchs, der darauf wartet, daß der
Rabe den Schnabel zum Singen aufreißt und den Käse fallen läßt.
„Er...“
Ich schloß die Augen. In meiner Erinnerung sah ich ihn – als wäre es erst
gestern gewesen – Rauchkringel in die Luft blasend an meinem Eßtisch sitzen.
Bei gesenktem
Kopf lief mir Wasser aus den Haaren übers Gesicht. Unwillkürlich wischte ich
erst mit der Hand, dann mit dem nassen Ärmel darüber, und suchte schließlich
mit der Nase weiter am Arm aufsteigend entlang, in der törichten Hoffnung ein
trockenes Fleckchen Stoff zu finden.
„Er...
hat mich aus einem Fluß gefischt“, nuschelte ich, mit einem letzten
verbliebenen Rest Selbsthumor.
Als ich
aufblickte, sah ich ein angedeutetes Lächeln in Gandalfs strengen Zügen und
schöpfte neue Hoffnung.
So ganz
gelogen war das nicht einmal. Immerhin hatte er mich tatsächlich schon einmal
aus dem Waldfluß gezogen. Naja, gut, herausziehen lassen. Damals, bei dem
Überfall der Warge.
Warge...
Gerade rechtzeitig noch konnte ich das Wort zurückhalten und erstickte die
erste Silbe in einem vorgetäuschten Hustenanfall. Warge gab es doch nur östlich
des Nebelgebirges! Oder nicht? Ich mußte aber bereits westlich davon mit
Radagast zusammengetroffen sein.
„Wir
waren von Räubern überfallen worden.“ Das war ortsunabhängig...
„Wir?“
Ich
schloß erneut die Augen. Ich hätte doch im Singular reden müssen, wenn ich
Radagast dort erst kennen gelernt haben sollte!
„Meine
Begleiter und ich.“ Wo sollte das nur hinführen?
Gandalfs
Augen formten sich zu schmalen Schlitzen. Die Gewitterwolken hatten sich noch
lange nicht verzogen.
„Die, die
mich zuerst nach Esgaroth begleiten sollten, meine ich.“ Halt ein, Elli! Du
redest dich immer tiefer ins Schlamassel!
„Sooo.
Interessant!“
„Radagast
hat mich gerettet“, schniefte ich, vor Angst nicht mehr wirklich in der Lage,
meine Gedanken zu ordnen und sie in einen geregelten Zusammenhang zu bringen.
Ich redete einfach drauf los, erzählte von einem fiktiven Überfall bei dem
meine Begleiter ermordet wurden und Radagast in letzter Minute zur Rettung
herbeieilte.
Da ich
nicht darüber nachdachte, ob das alles einen Sinn ergab oder nicht, sprach ich
weit fließender als zuvor. Vielleicht war es gerade dieser Umstand, der meine
Erzählung glaubwürdig erscheinen ließ, obwohl nicht einmal die Reihenfolge
stimmig war.
Danach sah
Gandalf mir lange Zeit forschend in die Augen. Ich wunderte mich selbst
darüber, daß ich seinem Blick angesichts des Lügenmärchens, das ich ihm gerade
aufgetischt hatte, überhaupt standhalten konnte.
Endlich
zog er eine Pfeife mit einem sehr langen Stiel aus der Tasche seines Umhanges,
steckte sie sich zwischen die Zähne und stopfte sie in aller Gemütsruhe.
„Und aus
welchem Grund kriechst du hier auf dem Waldboden herum?“ fragte er, ohne
aufzusehen.
Dies war
wenigstens eine Frage, auf die ich vorbereitet war. Tief atmete ich durch,
richtete mich gerade auf, schob die Schultern zurück und blickte ihn offen an.
„Ich
wollte Euch belauschen“, sagte ich einfach. „Und, und ich wollte Euch endlich
einmal aus der Nähe sehen. Ich habe schon so viel von Euch gehört – von
Radagast, meine ich – nur Gutes, und... im Waldelbenreich habe ich Euch immer
nur aus der Ferne beobachten können. Naja, und... ich sehe doch so schlecht!“
Schmollend
schob ich die Unterlippe vor. Ich fühlte mich wie ein kleines, trotziges Kind,
das am Türschlitz gelauscht hatte, um das Christkind zu sehen.
Jetzt
schaltete Elrond sich ein, um zu bestätigen: „Sie sieht wirklich nicht
besonders gut.“
Was für
eine höfliche Untertreibung! Ich lächelte schüchtern.
Gandalf
verschluckte sich am Pfeifenrauch, hustete, und brach in ein herzhaftes
Gelächter aus. „Mein lieber Mitbruder war zu gutmütig, dich im Stich zu lassen
oder nach Hause zu schicken, sondern hat es auf sich genommen, dich eigenhändig
durch halb Mittelerde zu deinen Verwandten zu bringen! Das ist gut! Das sieht
ihm ähnlich!“
Auch
Elrond war sichtlich erheitert. Würde dies nicht für einen ehrwürdigen Elben zu
abwertend klingen, so würde ich sagen: Er grinste bis zu beiden Ohren. Aber
selbst dies tat er irgendwie hoheitsvoll.
Mein Lauschversuch
schien plötzlich gar nicht mehr so wichtig zu sein. Oder irrte ich mich? Kam da
noch was nach? Ich hielt den Atem an und wagte nicht, mich zu entspannen.
„Der gute
Radagast!“ Gandalf zog ein paarmal genußvoll an seiner Pfeife und schmunzelte zufrieden.
„Nein, er wäre eines Verrates nicht fähig.“ Diese Worte sprach er nicht zu mir,
sondern zu Elrond. Der Elb neigte bestätigend den Kopf.
Ich stand
triefend und tropfend vor den beiden hohen Herrschaften, so voller Furcht vor
den Konsequenzen, die mein törichtes Handeln nach sich ziehen würde, daß ich
gar nicht bemerkte, wie durch mein eigenes Ungeschick Radagasts
Vertrauenswürdigkeit wieder hergestellt wurde.
„Sie
steht unter dem Schutz Lindors“, sagte Elrond irgendwann, was Gandalf natürlich
nicht meine Neugier entschuldigen, aber wohl meine Ungefährlichkeit
bescheinigen sollte. Immerhin war Lindor einer seiner besten Krieger, jemand,
den er seit Jahrhunderten – oder ~tausenden? – kannte und dem er sein Vertrauen
schenkte. Ein Calaquende, der das Licht der beiden Bäume gesehen hatte, und das
falsche Spiel eines kleinen dummen Menschenmädchens längst durchschaut hätte.
Hoffnungsvoll
blickte ich von einem zum anderen. Gandalf nickte gedankenverloren und brummte ein
paar tiefe Töne in seinen langen grauen Bart. Er sah Radagast so ähnlich, als
wären sie Brüder, wunderte ich mich. Natürlich trug er Grau statt Braun und
diesen spitzen Hut, den wir alle aus den Filmen kennen – und den silbernen
Schal, wie er im Buch steht. Er richtete seine blauen Augen auf mich und sah
mich offen und ohne jede Feindschaft an.
„Nun,
bist du jetzt zufrieden, wo du mich aus nächster Nähe gesehen hast?“ stichelte
er.
„Ähm...
ja. Nun... so nahe hätte nicht sein müssen“, versuchte ich zu scherzen, doch
das Lächeln erstarb mir vor Scham auf den Lippen. „Tut mir leid. Ich mache
sowas nie wieder. Versprochen!“
„Vor
allem solltest du dir abgewöhnen in Flüsse und Wasserlöcher zu fallen!“ Gandalf
lachte belustigt und auch Elrond verbarg seine Heiterkeit nicht.
„Das
werde ich.“
Gerade
als ich dachte, daß es nicht noch peinlicher werden könnte, zog sich ein
gewaltiges Niesen in meiner Nase zusammen und entlud sich, eh ich es mich
versehen hatte, laut und ziemlich feucht genau vor Gandalfs Füße.
„Tut mir
leid!“ beeilte ich mich zu versichern, hielt mir die eine Hand vor Mund und
Nase und kramte mit der anderen nach einem Taschentuch. Der nasse Lappen,
eignete sich selbst nachdem ich ihn ausgewrungen hatte nur notdürftig zum
Abwischen dessen, was ich da in meinem Gesicht vermutete. Dabei bemerkte ich
erst, daß ich außer dem Wasser auch noch eine ordentliche Menge Schlamm an mir
hatte, die ich gerade munter verteilte. Angeekelt blickte ich an mir herab. Die
Kleidung war in einem jämmerlichen Zustand und meine schmutzigen Schuhe standen
in einer Lache von braunem Schlickwasser. Ich wollte im Boden versinken.
Da
erwachte Elronds Heilerinstinkt. „Geh ins Haus und zieh dir trockene Kleidung
an, damit du dich nicht erkältest. Es ist nicht die richtige Jahreszeit zum
Baden im Freien. Nicht für ein Menschenkind.“
Da ich
mich nicht von der Stelle bewegte, kam er auf mich zu, drehte mich behutsam in
die richtige Richtung und wiederholte seine Worte mit strengem Unterton. Da
begriff ich, daß ich nochmal mit einem blauen Auge davon gekommen war und
machte mich schnell aus dem Staub...
__________
* Aus der
Übersetzung von Margret Carroux. Gandalfs Bericht bei Elronds Rat. Ich dachte
mir, wenn jemand etwas mehrfach berichtet, tut er dies häufig nur leicht abgewandelt
mit den selben Worten.
~*~