Sie waren
da! Bereits seit zwei Tagen waren sie in Bruchtal und ich hatte sie noch nicht
gesehen. Keinen von ihnen. Auch die gigantische Flutwelle des Bruinen, in der
sich seine Wassermassen zu riesigen weißen Pferden formten, und mit Geröll
versetzt ins Tal donnerten, hatte ich verpaßt. Um ehrlich zu sein, mir hatte
der Mut gefehlt, mich in der Nähe des Ufers aufzuhalten, obwohl ich wußte, daß
die Nazgûl den Fluß nicht überqueren würden. Lieber hatte ich auf den Anblick
verzichtet, als mich dem Grauen der Neun zu stellen. Jetzt, im nachhinein,
bedauerte ich das zutiefst. Doch es war nun nicht mehr zu ändern.
Konzentriert
steckte ich die Nadelspitze in den feinen Stoff und prüfte kritisch den Abstand
zum vorherigen Stich, bevor ich den Faden hindurchzog.
Ich hatte
es von Liriel erfahren. Wieviel sie wirklich über die Neuankömmlinge wußte,
konnte ich nicht sagen. Aber ihr war sicherlich bekannt, daß dies die Gesuchten
waren, deretwegen auch ihr Vater und Bruder aufgebrochen waren. Sie waren noch
nicht zurück. Glorfindel allein von den Ausgesandten war mit Aragorn und den
vier Hobbits heimgekehrt.
Ich ließ
meine Handarbeit sinken und blickte zum Fenster hinaus. Der Herbst hatte
Bruchtal fest im Griff. Alle Bäume trugen ihr Laub in leuchtendem Gold und Rot.
Eine leichte Windböe jagte die herabgefallenen Blätter den Fußpfad entlang,
wirbelte sie herum und fegte sie in eine Ecke zwischen zwei Büschen. Ein
Eichhörnchen sammelte emsig Nüsse am Fuße einer jungen Eiche, trug sie in diese
oder jene Richtung, buddelte hier eifrig den Boden auf, schob da ein paar
Zweige eines niedrigen Gewächses auseinander, und versteckte seine Beute. Ein
Igel trottete gemächlich an dem arbeitsamen Nager vorbei, hob schnuppernd das
Näschen wie zum Gruß und steuerte einen kleinen Reisighaufen an, um zu prüfen,
ob er sich wohl zum Überwintern eignen würde. Eine ganze Schar Vögel sang, vor
meinen Augen verborgen, in den Bäumen.
Mitten in
das Idyll ertönte helles Lachen. Zwei krauslockige kleine Burschen rannten
leichtfüßig durchs Bild.
Achtlos
ließ ich das Bettuch, an dem ich gerade arbeitete, fallen und eilte zum
Fenster. Das mußten Merry und Pippin sein! Ich spürte den Drang,
hinüberzulaufen. Es schien, als ob sie ein lustiges Spiel spielten, und ich
hätte mich ihnen allzu gerne angeschlossen. Aber durfte ich es wagen, ihnen zu
begegnen? Seufzend kehrte ich an meinem Platz zurück und hob die Handarbeit
auf. Die Nadel baumelte am Faden herab und stach mich, als ich nach ihr griff.
„Autsch!“
Ich steckte den Finger in den Mund und nuckelte daran herum, während ich ein
mittelgroßes Loch in die Luft starrte.
Andererseits
konnte ich Bilbo aber auch nicht meiden. Der alte Hobbit erschien in letzter
Zeit zwar nicht mehr regelmäßig zu den gemeinsamen Mahlzeiten – ein Umstand,
den ich als sehr beunruhigend empfand – aber früher oder später würde ich ihn
treffen, wenn einer der jungen Hobbits bei ihm war. Was dann? Würde ich es nach
meiner anderen Torheit, die zur Änderung der Geschichte geführt hatte, nun dazu
bringen, daß in der endgültigen Version des „Herrn der Ringe“ eine Mary-Sue in
Bruchtal auftauchte?
Der
Gedanke war beunruhigend.
„Woran
denkst du?“
„Wer?
Ich? Oh.“
„Ja du!“
Liriel lachte glockenklar. „Oder durchbohrt hier noch jemand den Raum mit
leeren Blicken?“
„Weiß
nicht.“ Ich sah mich um. Nein, alle anderen saßen ganz konzentriert über ihrer
Arbeit.
„Ich habe
Me-... zwei Hobbits draußen gesehen.“
„Tatsächlich?
Die laufen schon eine ganze Weile dort herum. Sie werfen sich gegenseitig etwas
zu, glaube ich.“
„Elronds
Kuchenplatte vielleicht?“* feixte ich und winkte kichernd ab, als Liriel mich
fragend ansah.
Zu
unruhig, um weiterzunähen, trat ich wieder ans Fenster. Nein, die beiden
Hobbits warfen sich nichts zu. Wenigstens nicht mehr. Sie liefen hinter irgend
etwas her. Gerade verschwanden sie in einem Gestrüpp, tauchten kurze Zeit
später auf der anderen Seite wieder auf und waren im nächsten Moment meinen
Blicken wieder entzogen.
„Jagen
die etwas?“
„Sich
selber wie es scheint.“
„Sie
haben sich aber erstaunlich schnell von ihren Strapazen erholt“, staunte ich.
„Woher
weißt du...?“
„Von
Bilbo“, log ich ohne eine Sekunde des Zögerns.
„Weißt
du, wann Lindor und Galvorn zurückkommen?“ fragte ich nicht nur um den
gefährlichen Boden zu verlassen. Ich machte mir Sorgen. Vielleicht konnte
Liriel ja einfach mal anfragen, wie es ihnen erging, über dieses Osanwe-kenta,
also die Gedankenübertragung.
Freudig
sah ich zu ihr hinüber. Ja, natürlich! Warum war ich nicht eher auf die Idee
gekommen?!
Mein Herz
sank und hinterließ das Gefühl hilfloser Leere, als Liriel traurig den Kopf
schüttelte.
„Sie
haben den Kontakt zu mir abgebrochen. Du verstehst das nicht. Sie... würden
sich nur unnötig in Gefahr begeben, wenn...“ Liriel brach ab, und versuchte
mich mit einem verunglückten Lächeln zu beruhigen.
Was
sollte das denn heißen?
„Du
willst mir jetzt aber nicht erzählen, daß irgend jemand dieses Gespräch abhören
könnte, oder?“ blaffte ich.
Liriel
lachte. „Nein, das nicht.“
„Was
sonst?“
„Sie
würden meine Angst um sie spüren, und das würde sie nur schwächen.“
Zweifelnd
betrachtete ich sie. Ihre Angst war berechtigt. Niemand trat gerne den
Ringgeistern gegenüber – Calaquende oder nicht. Aber ob dies tatsächlich der
Grund für die Funkstille war? Das konnte ich mir beim besten Willen nicht
vorstellen. Davon abgesehen mußte die Ungewißheit ihre Sorge nur vergrößern.
Aber
leider blieb mir nichts anderes übrig, als diese Entscheidung zu akzeptieren,
da es nicht einmal sinnvoll war, Liriel von ihrer Unsinnigkeit zu überzeugen,
wenn sie keine Möglichkeit hatte, die neu erworbene Erkenntnis ihrem Vater und
Bruder mitzuteilen.
Die
beiden Hobbits im Garten krähten vor Freude.
Ein
dunkles Ding flog durch das scheibenlose Fenster, dicht an meiner Nase vorbei
und landete mit dumpfem Klatschen an der rückwärtigen Wand.
Was zum
Nazgûl...?!
Mit
spitzen Fingern hob ich das plüschige Geschoß auf. Im ersten Moment hatte ich
befürchtet, jemand hätte das arme Eichhörnchen durch die Luft geschleudert.
Doch es war nur ein Knäuel aus sehr grob gesponnener dunkler Schafwolle.
Unschlüssig drehte ich das Ding in meiner Hand, als sich jemand vorwurfsvoll
räusperte.
„Könnten
wir unseren Ball zurückbekommen?“
„Bitte“,
korrigierte eine zweite Stimme, deren Inhaber den ersten Sprecher zurechtweisend
in die Rippen boxte.
„Klar.“
Viel zu perplex, um die Herausgabe zu verweigern, reichte ich den – äh – Ball
hinüber.
„Du bist
Elli, richtig? Bilbo hat von dir erzählt.“
Na, das
ging ja schneller als vorgesehen... „Und ihr seid?“ stellte ich mich unwissend.
„Ich bin
Merry – Meriadoc Brandybock. Und das ist Peregrin Tuck.“
„Pippin!“
„Freut
mich!“ erwiderte ich verbindlich und war froh, eine der vielen von Bilbo
gelernten Floskeln im Westron anbringen zu können. >Zu euren Diensten<
wäre wohl auch möglich gewesen, aber ich wollte lieber nicht testen, wie
wörtlich sie eine solche Einladung nehmen würden.
Pippin
grinste spitzbübisch und Merry blickte nicht minder frech. Ich fragte mich,
über welches meiner Fettnäpfchen sie sich insgeheim amüsierten.
„Möchtest
du mitspielen?“ bot Merry großzügig an.
Mir lag
bereits eine freudige Zustimmung auf den Lippen, doch dann schüttelte ich
bedauernd den Kopf. „Ich habe hier noch zu tun. Aber ich danke euch für das
Angebot.“
„Warum
bist du nicht mit ihnen gegangen?“ Die Hobbits waren im Nu durch die
Fensteröffnung geklettert und sausten über die Wiese. „Das wolltest du doch?“
„Ach...“
Ich nahm entschlossen mein Bettuch auf. „Ich kann mich nicht immer vor der
Arbeit drücken.“
Sehnsüchtig
blickte ich den beiden nach, als sie aus diesem Teil des Gartens verschwanden.
Ich seufzte. Nein, ich konnte nicht verhindern, daß ich ihnen begegnete, aber
es war bestimmt besser, ein wenig Abstand zu halten.
„Du
drückst dich wohl öfter?“
Ich fuhr
wie elektrisiert in die Höhe, als hinter mir diese spöttelnde Frage erklang.
Das war doch... „Galvorn!“
Es fehlte
nicht viel und ich hätte mich ihm jubelnd an den Hals geworfen. Vielleicht
hätte ich das noch getan – allen guten Manieren zum Trotz – doch der große
Bruder nahm soeben seine Schwester in den Arm und begrüßte die überglückliche
Liriel mit einem Kuß auf die Wange.
Hmpf! Na
dann eben nicht!
Ich hatte
keine Zeit, mich in meine auf irrationale Weise gekränkten Gefühle hineinzusteigern,
denn gerade kam jemand zur Tür herein, über dessen Erscheinen ich noch viel
erleichterter war. Schließlich blieb Galvorn gar nichts anderes übrig als den
gefährlichen Auftrag zu überleben, da er – bevor ihm irgend etwas zustoßen
konnte - erst noch jenes für mich so schicksalsträchtige Gespräch mit Radagast
führen mußte.
Für seine Zukunft hatte ich nichts in
Erfahrung bringen können, in mutlosen Momenten jedoch das Schlimmste
befürchtet.
Lindor.
Den Valar sei Dank! Er war bleich und müde, aber unversehrt. Ein kleines
Lächeln umspielte seine Lippen. Schweigend betrachtete er die harmonische Szene
zwischen den Geschwistern.
Ich
rannte auf ihn zu, blieb dicht vor ihm stehen, zögerte einen Atemzug und dann,
hilflos vor Freude, trommelte ich mit den Fäusten gegen seine Brust. Dabei rief
ich ihm eine Reihe unverdienter Schimpfworte zu, während mir Tränen der
Erleichterung übers Gesicht liefen. Lindor ließ es anfänglich geschehen und
lachte. Dann packte er meine Handgelenke.
„Ich habe
mir solche Sorgen gemacht! Warum habt ihr euch nicht gemeldet?“ zankte ich, so
selbstverständlich, wie man sich in unserer Welt über den vergessenen
Telefonanruf beschwert.
Lindor
schüttelte immernoch lachend den Kopf. Statt einer Antwort zog er mich in eine
Umarmung, in die er auch Liriel mit einschloß. Galvorn stand daneben und machte
den Eindruck als hätte er nicht übel Lust, sich dem kollektiven Liebkosen
anzuschließen. Aber dann grinste er anzüglich und verschränkte die Arme vor der
Brust.
Den Kopf
an Lindors Schulter geschmiegt, betrachtete ich Galvorn. Er sah atemberaubend
gut aus in seiner verstaubten Reisekleidung. Der leger offenstehende Mantel und
das nicht wie üblich hoch zugeknöpfte Hemd, erlaubten mir einen schmachtenden
Blick auf seine nackte Brust. Er trug jetzt keine Waffen, aber seine Haare
waren nach Art der Krieger geflochten, und ließen ihn ungewohnt kämpferisch
erscheinen. Die Frisur war schon leicht zerzaust und einige Strähnen hatten
sich gelöst. Er hatte nie besser ausgesehen.
Galvorn
zog mich völlig in seinen Bann. Ich konnte – und wollte – gar nichts dagegen
tun. Längst war sein unverschämtes Grinsen einem liebevollen Ausdruck gewichen.
Unsere Blicke trafen sich und verschmolzen ineinander. Dann spürte ich
deutlich, wie sein Geist sich mit meinem zu verbinden suchte. Ein Gefühl, das
nur schwer zu fassen und darum noch schwerer zu beschreiben ist. Es war, als
griffe eine unsichtbare Hand nach meinem Herzen. Nicht grob und fordernd,
sondern sachte. Fragend. Hoffend. Verwirrt und ängstlich verschloß ich mich,
und sogleich zog er sich ein Stück zurück. Wartete geduldig und näherte sich
erst aufs Neue, als ich meine Fassung wiedergefunden hatte.
Beim
zweiten Versuch war ich vorbereitet auf das, was kam, oder zumindest bildete
ich mir das ein. Ich vertraute mich Galvorn an und ließ es einfach geschehen.
Wie gut,
daß Lindor mich festhielt! Denn in gleicher Weise, wie mein Herz sich leicht
und frei zu fühlen begann, spürte ich, wie mein Körper an Schwere zunahm, als
wollte er sich von meinem Geist trennen, dessen aufschwingendem Hochgefühl er
nicht zu folgen vermochte. Obwohl Galvorn sich nicht von der Stelle gerührt
hatte, und uns räumlich gesehen gut zwei Meter trennten, war es mir, als käme
er auf mich zu. Nie zuvor hatte ich mich ihm so nahe gefühlt. Ich vergaß alles
um mich herum. Einen ausgeprägten Moment lang gab es nur ihn und mich.
Plötzlich
war es mir, als könnte ich ihn in meinem Kopf hören. Zwar verstand ich keine
Worte, aber der Klang seiner Stimme drang von innen an meine Ohren. Verwundert
riß ich die Augen auf. Galvorn sah mich erstaunt an. Begriff er, was hier vor
sich ging? Erkannte er es aus meiner Reaktion, oder konnte er meine Gedanken
ebenfalls hören? Ich hatte soeben ziemlich bildlich gedacht, und meine
erotischen Phantasien waren nun nicht gerade das, was man in Mittelerde noch
als schicklich bezeichnen würde... Die Vorstellung, Galvorn könnte etwas davon
mitbekommen haben, färbte meine Wangen dunkelrot.
Doch sein
Blick blieb nachdenklich. Nein. Er hatte es nicht gehört. Ich atmete tief
durch, was gar nicht so einfach war, da Galvorn mein Herz noch gefangen hielt.
Vielleicht spürte er das und wollte es deshalb loslassen. Aber dagegen wehrte
ich mich energisch!
>Nein!
Bleib!< schrie ich innerlich und ein Lächeln huschte über Galvorns Gesicht.
Dem zum Trotz zog er sich langsam zurück.
>Sie
beobachten uns schon alle< antwortete er, und es fiel mir gar nicht auf, daß
er die Lippen nicht bewegt hatte.
>Na
und? Sollen sie doch!< entgegnete ich trotzig.
Galvorn lachte
amüsiert auf. Er kam auf mich zu, nahm meine Hand und legte seinen Arm um meine
Schultern, als Lindor mich ihm übergab. Galvorn führte mich aus dem Raum. Wohin
er mich leitete und ob uns jemand folgte, wußte ich nicht. Es war mir auch
egal. Ich sah niemand außer ihm.
„Ich
möchte dich aber lieber nicht mit so vielen neugierigen Blicken teilen“,
erklärte er mir sein Handeln.
Nun, mir
sollte es recht sein. Ich kuschelte mich an ihn, schloß die Augen und gab ein
leises Schnurren von mir.
Natürlich
führte er mich hinaus in die Gärten. Wohin sonst sollte es einen Elben ziehen,
wenn er bereit war, sein Herz sprechen zu lassen?! Es war ein wundervoller Tag.
Trotz aller Herbststimmung. Oder vielleicht sogar gerade deshalb. Die Sonne
schien angenehm warm vom strahlend blauen Himmel. Kein Wölkchen war zu sehen.
Doch es hätte ebenso gut in Strömen regnen können – mir wäre es als das
herrlichste und passendste Wetter erschienen, das ich mir hätte wünschen
können!
Ich
öffnete die Augen erst wieder, als ich kleine Wasserlachen um meine bloßen Füße
spürte. Feinstes, weiches Moos wuchs hier, vollgesaugt von den sanften
Regenfällen vereinzelter Tage, genährt von einem Bilderbuch-Gartenteich mit
rosaroten Seerosen und blühenden Ufern.
Waren
hier die Jahreszeiten verdreht? Ich blinzelte und staunte und beschloß nicht
weiter darüber nachzudenken, sondern den Anblick zu genießen.
„Sieh
nur, wie die Natur unsere Freude teilt!“
Nachdem
er dies gesagt hatte, lenkte Galvorn meine Aufmerksamkeit auf einen Schwarm
bunter Schmetterlinge. Sie unterbrachen ihren fröhlichen Reigen von Blüte zu
Blüte, scharten sich zusammen und flogen um unsere Köpfe, als wollten sie uns
willkommen heißen. Einer setzte sich sogar auf meine Nase und verweilte dort.
Ich gab keinen Mucks von mir und schielte fasziniert auf die zarten, fächernden
Flügel.
Das muß
wohl ein ziemlich amüsantes Bild gewesen sein. Galvorn lachte hell auf und trat
ohne meine Hand loszulassen auf Armeslänge zur Seite, um mich besser betrachten
zu können. Der Falter blieb davon völlig unberührt auf meiner Nase sitzen.
„Das
steht dir gut“, ulkte er.
„Was? Der
Schmetterling oder das Schielen?“ näselte ich, bemüht, beleidigt zu klingen.
„Beides.“
Es war nur ein gehauchtes Wort, und ich hatte das Gefühl, als wäre der
Schmetterling von der Nase hinunter in meinen Bauch gerutscht. Doch als ich die
Augen nach einem wohlig ausgekosteten Moment öffnete, saß er noch unverändert
an seinem Platz.
Galvorn
trat näher, baute mit seinem Finger eine Brücke, und als das Tierchen gehorsam
hinüber gekrabbelt war, präsentierte er es mir in seiner hohlen Hand, damit ich
es besser ansehen konnte.
„Ein
Tagpfauenauge!“ staunte ich. Ich hatte nicht erwartet, so etwas Vertrautes zu
erblicken.
Und wie
zutraulich das Tierchen war! Ich hielt mich mit beiden Händen an Galvorns
Unterarm fest und betrachtete es aus nächster Nähe. Es bewegte unablässig seine
Fühler und bestaunte mich nicht minder neugierig. Ich hatte das Gefühl, als
müßte es gleich zu sprechen anfangen...
Natürlich
tat es das nicht. Aber Galvorn summte eine leise Melodie und der Falter schlug
seine Flügel im Takt dazu.
„Er hat
gar keine Angst!“ sprach ich das Offensichtliche aus.
„Und
wieso sollte er?“ Das Erstaunen in Galvorns Stimme brachte mich zum schmunzeln.
„Du
hattest bisher nicht viele Kontakte zu Menschen, richtig?“
„Stimmt.“
Er schwieg und bemühte sich, selbst eine Antwort auf die Frage zu finden, die
er nicht aussprechen wollte. Ob ich ihn schockieren und ihm erzählen sollte,
daß manche Menschen Schmetterlinge mit Netzen einfangen und sie an einer Nadel
in ein Album pinnen?
Der
Falter in Galvorns Hand betrachte mich treuherzig wie ein kleines Hündchen.
Die
makabere Bemerkung blieb mir als Kloß im Hals stecken.
Ich
lächelte Galvorn unsicher an und erklärte ausweichend: „Tiere sind zu Menschen
nicht so zutraulich wie zu Elben.“
Galvorn
zog eine Augenbraue hoch. „Sie werden ihre Gründe dafür haben.“
Ich
nickte ernst und bemerkte dann erst den Schalk hinter der überheblichen
Fassade.
Hmpf.
Dummer Elb! Arrogant drehte ich mich um und musterte mit erhobenem Kinn und vor
der Brust verschränkten Armen die Landschaft auf der gegenüberliegenden Seite.
Nun,
wenigstens tat ich so als ob. Doch meine ganze Aufmerksamkeit war nach hinten
auf Galvorn gerichtet.
Was würde
er tun? Wie würde er auf mein gekränktes Gebaren reagieren? Würde er versuchen,
mich zu beschwichtigen? Würde er auf mich zukommen? Die Arme um mich legen und
mich halten?
Oder fand
er es besser, mich in Ruhe zu lassen bis meine Laune sich von selbst gelegt
hatte? Würde er einfach gehen? War er gar beleidigt, weil ich mit ihm spielte?
Oder so wenig Humor besaß?
Wie
empfand Galvorn die Situation?
Ich hörte
ihn nicht. Ich konnte ihn nicht sehen – nicht einmal seinen Schatten, der mir verraten
hätte, daß oder ob er sich bewegte.
Als sich
überhaupt nichts tat, wurde ich immer unruhiger. War er überhaupt noch da?
Ich
glaube, ich hielt diese Ungewißheit so ungefähr zwei Minuten lang aus. Dann
fuhr ich auf den Absätzen herum und...
... wäre
beinahe mit ihm zusammengestoßen.
„Ich,
ähm...“, stotterte ich verlegen.
Galvorn
nickte verstehend. Er lächelte sanft.
„Du
stehst nicht mehr auf deinem Platz“, kommentierte ich etwas mutiger.
Galvorn
schüttelte leicht den Kopf und lächelte noch immer.
Hm,
vielleicht hätte ich mich einfach nicht wieder umdrehen sollen, überlegte ich.
„Ich...
ich... ich sollte – wollte...“, stammelte ich mit hochrotem Kopf.
Weiter
kam ich nicht. Nicht wegen meiner ungenügenden Fähigkeit mich auszudrücken,
sondern weil Galvorn unerwartet die Initiative ergriff und meine Lippen mit
einem Kuß verschloß.
Ich riß
überrascht die Augen auf – dann erlangte ich meine Geistesgegenwart zurück und
schlang meine Arme um Galvorns Hals, um zu verhindern, daß er mir wieder abhanden
kam.
__________
* siehe „And Legolas for the Elves“ von teanna
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