Kennt ihr
das. Ihr wacht nach einer durchzechten Nacht auf und wißt nicht mehr wie ihr in
euer Bett gekommen seid? Und könnt euch an nichts mehr erinnern?
Vielleicht.
Aber wißt
ihr auch wie das ist, wenn ihr niemanden fragen könnt, was passiert ist? Nicht,
weil ihr euch geniert, sondern weil niemand euch versteht? Weil niemand eure
Sprache spricht?
Wahrscheinlich
eher nicht.
Ich
erinnerte mich, daß ich gut gelaunt mit meinen Tischkameraden irgendein
elbisches Trinklied gesungen hatte. Das heißt, die Elben hatten gesungen, ich
hatte gegrölt. Außerdem hatte ich mich prächtig mit Lindor unterhalten. Das war
übrigens mein Führer. Irgendwie und irgendwann war es mir gelungen, seinen Namen
aufzuschnappen. Keiner hatte ein Wort des anderen verstanden, oder zumindest
nicht den Satzzusammenhang. In meinem berauschten Zustand hatte ich seine Worte
noch viel weniger auseinanderhalten können als vorher und was ich mir an
elbischem Kauderwelsch alles zusammengebastelt hatte, wollte ich lieber gar
nicht erst wissen.
Als die
Elben begonnen hatten zu tanzen, wollte Lindor mich überreden, mich ihnen
anzuschließen. Alles was danach kam, versank in einem dichter werdenden Nebel.
Ich hatte vorher schon mit dem Stuhl geschaukelt, und als ich jetzt zu ihm
aufblickte, verlor ich mein stark angeschlagenes Gleichgewicht. Ich krachte
äußerst unelegant mitsamt dem Stuhl zu Boden, was noch nicht einmal das
peinlichste gewesen wäre, wenn ich mich wenigstens alleine wieder hätte erheben
können...
Das
letzte, an das ich mich erinnern konnte war, daß Lindor mir lachend aufgeholfen
hatte und dann war da noch das verschwommene Bild des Elben, als er mich auf
seinen starken Armen aus dem Saal trug, während ich meine Arme ziemlich
ungeniert um seinen Hals geschlungen hatte.
Ich
blickte mich in meinem Zimmer um. Meine Klamotten lagen auf dem Boden verteilt.
Ich sah an mir herunter und trug natürlich kein Nachthemd. Ich schloß die Augen
und versuchte zunächst einmal den Gedanken, der sich in meinem verkaterten Kopf
formte zu verdrängen.
Das mußte
alles gar nichts heißen. Das Chaos konnte ich alleine angerichtet haben und
selbstverständlich hatte ich mir in meinem Zustand nicht die Mühe gemacht, im
Schrank nach Kleidern zu forschen. Davon abgesehen war es bestimmt stockdunkel
gewesen, was eine Suche unmöglich gemacht hätte. Zumindest konnte ich keine
Kerze oder einen Fackelhalter erblicken.
Jetzt
schien die Sonne noch ein wenig trüb und verschleiert durch die großen Fenster
herein. Es mußte früher Morgen sein. Aber Winternächte waren lang und das
>früh< somit relativ.
Ich
drehte mich auf die andere Seite, zog die Federdecke über die kalten Schultern
und kuschelte mich in die Kissen. Was war wirklich gestern Abend passiert? Ich
versuchte vergeblich mir mein schlechtes Gewissen auszureden. Immer mußte ich
mir den Kopf darüber zerbrechen, wie sehr ich mich bei allen möglichen
Gelegenheiten blamiert hatte. Nun, gründlich blamiert hatte ich mich, das stand
außer Frage, aber das war vermutlich auch alles.
Ich
schätze es muß so eine halbe Stunde qualvollen inneren Kampfes später gewesen
sein, als ich es endlich über mich brachte, mich zu erheben. Merkwürdigerweise
hielt sich mein Katzenjammer an diesem Morgen in Grenzen. Eigentlich hätte ich
halbtot sein und spätestens beim Aufstehen den Drang mich zu übergeben
empfinden sollen. Statt dessen hatte ich nur dröhnende Kopfschmerzen und einen
üblen Druck hinter den Augen, der mir noch mehr von meiner ohnehin dürftigen
Sehkraft nahm.
Gähnend
schleppte ich mich durch die Schranktür in mein schickes Nebenräumchen. Liriel
hatte mir gestern erklärt wie das mit dem Waschzuber und der Kloschüssel
funktionierte. Zumindest hatte sie es versucht. Soweit ich begriffen hatte
verfügte Bruchtal über eine Art Leitungssystem, durch das man mit einer
Handpumpe das Wasser zum Waschen und Baden heraufholen konnte. Wie man es dann
allerdings erwärmte, hatte ich nicht verstanden. Und wohin das Zeug fiel, das
man in diese vornehme Version eines Plumpsklos kippte, wollte ich nicht
wirklich wissen. Jetzt mußte es eine kalte Katzenwäsche tun, die zumindest rein
wortgemäß zu meinem ~jammer paßte und da ich morgens sowieso ein wenig
wasserscheu bin, war mir das auch ganz recht.
Nur meine
Zahnbürste vermißte ich. Brauchten Elben keine? Scheinbar nicht. Aber Hobbits.
Was war mit denen? Ich hatte am Vortag nicht wirklich darauf geachtet, war mir
aber sicher, daß es mir aufgefallen wäre, wenn Bilbo schlechte oder gar faule
Zähne gehabt hätte. Nun, ich mußte mich gedulden, bis ich ihn fragen konnte.
Stöhnend
hob ich mein Kleid auf und betrachtete es kritisch. Es war ein wenig
zerknittert von der Nacht am Boden, aber ansonsten ganz okay. Keine
Rotweinflecken. Gut genug, entschied ich und streifte es über. Als ich zu dem
Frisiertisch trat, starrte mir aus dem Spiegel ein bleiches Gesicht mit dunkel
umrandeten Augen entgegen.
„Du
siehst so aus, wie ich mich fühle“, murmelte ich und fuhr nachlässig mit der
Bürste zwei-dreimal durch meine dünnen Fusseln. Da ich nichts finden konnte,
das ich als Haargummi hätte mißbrauchen können, mußte ich sie wieder offen
tragen. Es machte nichts und störte mich nicht.
Ganz
anders dieses dröhnende Gepolter gegen meine Zimmertür. „Nicht so laut“, ächzte
ich und hielt mir die Hände an die Ohren.
Meine
Worte wurden als Aufforderung einzutreten aufgefaßt. Augenblicklich öffnete
sich die Tür und Bilbo trampelte mit heiterem Gesichtsausdruck herein und auf
mich zu.
Seinen
schmetternden Morgengruß beantwortete ich mit einem weiteren Wehlaut.
Was
wollte dieser Poltergeist, von mir?
Frühstück?
Oh nein,
geh weg! Bloß jetzt nichts essen!
Ich
setzte mich mit einem Plumps auf mein Bett und verzog gequält das Gesicht.
Hab
Mitleid mit mir! Siehst du nicht, wie elend ich mich fühle?
Nein, ich
will ganz bestimmt kein Frühstück! Der bloße Gedanke daran ließ meinen Magen
rebellieren.
Und
konnte der kleine Schreihals nicht leiser sprechen? Ich verstand ohnehin kein
Wort.
Lindor?
Was ist mit Lindor?
Plötzlich
hellwach starrte ich das wuselige Männchen an. Es grinste breit und schwieg.
Großartig!
Jetzt wo er sprechen sollte, schwieg er!
„Was.
ist. mit. Lindor?“
Er nickte
feixend.
„Nein, du
abgeschnittener Zwerg, nicht ja oder nein, sondern was“, fuhr ich ihn an und griff mir ob meiner eigenen Lautstärke
winselnd an die Schläfen.
Wieder
ein bestätigendes Nicken.
„Oh, Eru
bitte... mach daß er sich auf meinen schiefen Gesang oder meinetwegen auch auf
mein Herumgeschaukel samt Absturz bezieht. Von mir aus soll er ihm von meinem
Beinahe-Aufprall erzählt haben.“ Das war es! Wahrscheinlich hatte er das getan
und berichtete mir gerade, wie sehr der dumme Elb sich darüber amüsiert hatte.
Apathisch
wippte ich den Oberkörper vor und zurück, die Hände auf die Ohren und die Augen
zusammengepreßt und lamentierte halblaut vor mich hin.
Wenigstens
war er jetzt still. Dafür konnte ich seinen fragenden Blick förmlich spüren.
Da hatte
wohl endlich einer begriffen, wie krank ich war.
Vorsichtig
tastete eine kleine Hand nach meiner Wange und strich begütigend darüber,
während jemand einen leisen, heilenden Singsang anstimmte. Dieser jemand war
natürlich Bilbo, aber seine Worte klangen von ganz weit weg zu mir. Mir wurde
schwindlig und jetzt endlich kam der Brechreiz. Ich hatte gerade noch Zeit, den
kleinen Mann hastig beiseite zu schubsen, stürzte stolpernd durch die Tür und
hängte meinen Kopf über den Zuber, weil es bis zur Toilettenschüssel nicht mehr
reichte.
Laßt mich
den darauf folgenden Übelkeitsausbruch übergehen. Es langt völlig wenn ich
sage, daß ich mich bestimmt eine Stunde lang nicht mehr aus der knieenden Lage
erheben konnte und den Kopf nicht weiter als eine Armlänge von dem
Auffangbecken entfernen durfte, wenn ich nicht eine noch größere Sauerei
anrichten wollte.
Ich hörte
leise, sanfte Stimmen um mich herum. Ja, ganz recht. >sanft<. Trotz
meiner Kopfschmerzen. Und trotz meiner jämmerlichen Verfassung erkannte ich,
daß es Elben sein mußten. Ich spürte etwas Kühles an meiner Stirn und in meinem
Nacken, das mir wohl tat und bemerkte, daß umsichtige Hände mich stützten. Ich
schämte mich in Grund und Boden und konnte dennoch nichts gegen meine
unangenehme Lage unternehmen.
Später
wurde mir auf- und ins Bett geholfen. In meiner ersten Reaktion klammerte ich
mich dankbar an die Matratze. Doch dann begann sie sich zu drehen und ich fiel,
fiel immer tiefer. Das ganze Bett drehte sich mit mir, wie eine Schraube,
schneller und tiefer hinab. Mühsam hob ich die schweren Lider. Dadurch kam die
Übelkeit wieder, aber der Schwindel verging.
Stöhnend
versuchte ich, mich auf den Rücken zu rollen, wobei mir jemand mit sicherem,
geübtem Griff half. Ich versuchte meinen Blick auf die Person zu fokussieren,
die sich auf der Bettkante niedergelassen hatte. Ganz allmählich klärte sich
das Bild und ich blickte in zwei warme, gütige Augen. Der Elb legte eine Hand
auf meine Stirn, wie um mein Fieber zu bestimmen und flüsterte beruhigende
Worte.
Langsam
erinnerte ich mich, daß ich ihn am Abend zuvor am Tisch der Zwillinge gesehen
hatte. Aus der Nähe betrachtet stellte ich fest, daß er sogar noch besser
aussah als diese, soweit das überhaupt möglich war.
Ein
lustiges Kichern erklang auf der gegenüberliegenden Seite des Bettes. Bilbo,
wie ich unschwer heraushören konnte. Der Elb lächelte milde und ich erkannte, daß
ich ihn angestarrt hatte. Beschämt schloß ich die Augen, nur um sie gleich
darauf wegen der neuen Schwindelattacke wieder aufzureißen.
Wer war
dieser Elb? Ein unbändiger Drang danach ihn zu fragen, ließ mich die trockenen
Lippen öffnen. Ich mußte mehrmals schlucken, bevor meine strapazierten
Stimmbänder einen Laut formen konnten.
„Galvorn?“
hauchte ich und konnte nicht sagen, weshalb ich gerade seinen Namen wählte. Das
war nun wirklich unwahrscheinlich.
Der
schwarzhaarige Elbengott schüttelte auch erwartungsgemäß den Kopf. Sein Lächeln
vertiefte sich ein wenig als er antwortete: „Elrond.“
Elrond...
Meine Lider flackerten vor Anstrengung. Mir war als hätte jemand mit einer
Spritze Blei in meine Venen injiziert und dieses breite sich nun mit dem Blutkreislauf
aus, bis in die äußersten Enden meiner Glieder. Meine Hände zuckten krampfhaft,
als ich versuchte sie zu heben. Ich verspürte den heftigen Wunsch, zwei Finger
gegen meine Nasenwurzel zu drücken oder noch besser, die Augen mit
Streichhölzern am Zufallen zu hindern. Ich fürchtete mich vor dem Verlieren
meines Bewußtseins, das im Augenblick einem Gefühl des Ertrinkens gleichkam.
Als hätte er meine Gedanken gelesen begann der Dunkelhaarige sachte meine
Schläfen zu massieren.
Elrond...
Das erklärte natürlich die Ähnlichkeit mit den Zwillingen. Aber... sollte
Elrond nicht längst in Valinor sein?
Sanft
kreisten seine Finger über meine Schläfen, über die Brauen, unter den Augen
entlang bis zur Nasenwurzel und wieder zurück zu den Schläfen. Seine
Berührungen linderten den Schmerz und verscheuchten das dumpfe Pochen hinter
meiner Stirn. Bald begann ich zu schnurren wie ein Kätzchen.
Nun,
welches auch immer seine Motive gewesen sein mochten den Unsterblichen Landen
den Rücken zu kehren; ich war überglücklich darüber, daß er den Weg nach
Mittelerde zurückgefunden hatte.
Als er
nun noch meinen Nacken behutsam knetete, entspannte ich mich völlig und
schlummerte langsam ein.
~*~