Die Gastgeber hatten sich gleich nach dem Essen
entschuldigt und so saßen die drei Gefährten an diesem Abend allein im Speisesaal.
Hamfast pries soeben den vorzüglichen Wein in den höchsten Tönen, wozu wohl
auch der starke Genuß desselben seinen Teil beitrug, auch wenn er selbst
behauptete, anders herum wäre es richtig. Er hatte sich sein Pfeifchen gestopft
und blies seine Rauchkringel über den Tisch. Mal aneinandergereiht, wie eine
lange Kette, mal einzeln hüpfend oder sich im Kreis drehend.
„Wie macht Ihr das?“ fragte Taurfaron, der schon
eine ganze zeitlang nur dagesessen und den schwebenden Kreisen nachgeblickt
hatte. Galadhion schien weder Auge noch Ohr für die beiden Gefährten zu haben
und hatte kaum etwas gegessen.
Der kleine Mann hielt in seiner Lobeshymne auf das
edle Getränk inne und kniff die Augen zusammen in der Bemühung, seinen leicht
verschwimmenden Blick auf die Kringel zu fokussieren. „Hm, das ist eine Kunst,
die von unserem Volk schon sehr lange geübt wird“, erklärte er dann wichtig.
„Es läßt sich nur schwer beschreiben. Aber vielleicht wollt Ihr es einmal
versuchen?“ Er hielt dem Elben großzügig seine Pfeife hin.
Dieser winkte entsetzt ab. „Ivann bewahre!
Brennendes Holz und Blätter! Das mag ja gut sein, um meinen Kamin oder Herd zu
heizen, aber doch nicht mich selber!“ Ihm war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen
und wie um einen inneren Brand zu löschen, nahm er zunächst einmal einen
ordentlichen Zug aus seinem Weinkrug.
Der Hobbit kicherte. „Vielleicht sollte unser
Freund hier mal kräftig daran ziehen.“ Er deutete mit dem Pfeifenstiel auf
Galadhion. „Möglicherweise würde er dann etwas mitteilsamer.“
Es folgte ein unangenehmes Schweigen. Galadhion
hatte die Unterarme auf den Tisch gestützt und starrte in seinen Krug. Er hatte
nur zweimal kurz daran genippt. Taurfaron setzte bereits dazu an, das Gespräch
auf ein anderes Thema zu lenken, als er kläglich stöhnte. „Wenn es wenigstens
etwas zum Mitteilen gäbe“, sagte er leise und mehr zu sich selber, wurde aber
natürlich trotzdem von seinen Gefährten gehört.
„Soll das heißen, daß sie...“ Taurfaron hielt inne
und sah seinen Freund mitfühlend an. „Sie hat wieder nicht mit dir gesprochen?“
Galadhion schwieg erneut. Die beiden anderen sahen
sich an und ihr Blick sagte deutlich, was sie in diesem Moment beschlossen. Sie
würden sich den stillen Kummer ihres Kameraden nicht länger mit ansehen. Es
mußte etwas geschehen, und wenn sie auch noch nicht wußten, was dies sein
sollte, so nahmen sie sich fest vor, seinem Glück ein wenig nachzuhelfen.
~*~
„Ich verstehe einfach nicht, was er an dieser
Tindómerel findet, die ihn doch so offensichtlich zu mißachten scheint. Gibt es
bei Euch Elben denn so wenige Frauen, daß er sich keine andere suchen kann, die
besser zu ihm paßt?“ Der Hobbit trippelte neben Taurfaron her, der mit großen
Schritten durch die Flure des Palastes strebte. Ihm war das Verhalten des
jüngeren der beiden Elben vollkommen unverständlich. Seit Tagen schon hatte er
die Dame jeden Tag mehrmals aufgesucht und war an der Tür von ihrem
Dienstmädchen fortgewiesen worden. Doch anstatt sich damit abzufinden, hatte er
nur immer wieder aufs Neue um Einlaß gebeten, allerdings vergeblich. So eine
Frau konnte doch unmöglich liebenswürdig sein! Hamfast begann sich zu fragen,
wo Galadhion sie überhaupt kennengelernt hatte, wenn sie ihm ständig aus dem
Weg ging.
Taurfaron seufzte. „Er liebt sie eben.“ Was hätte
er auch anders sagen sollen. War ihm das Gebaren seines Freundes doch selbst
nicht ganz klar. Sicher, die Eldar verschenkten ihr Herz nur einmal. Aber mußte
dieser dumme Elb es auch ausgerechnet einer Noldo verehren, die er kaum kannte?
Es half nichts, darüber nachzugrübeln. Es war nun einmal so und ließ sich nicht
ändern.
Der Elb bog in einen anderen Gang ein. „Seid Ihr
sicher, daß wir hier richtig sind?“ Der kleine Mann blickte in alle Richtungen
und konnte nicht nachvollziehen, wie sein Gefährte sich hier zurechtzufinden
vermochte.
Dieser nickte nur und ging unbeirrt weiter. Vor
einer schweren, mit kunstvollen Schnitzereien verzierten und eisenbeschlagenen
Tür blieb er stehen. „Seid Ihr sicher, daß dies hier eine gute Idee ist?“
Hamfast schluckte, gab sich einen Ruck, stellte ich
auf die Zehenspitzen und griff nach dem Türklopfer. „Wenn Ihr keine bessere habt...“ Laut ertönte das dreimalige Pochen,
dessen voller Klang sich über die gesamte Fläche der Holztür ausbreitete.
Ungeduldig wartete der Kleine noch, als der Elb
sich plötzlich anschickte einzutreten. Die schweren Flügel öffneten sich und
jetzt wußte Hamfast auch, weshalb er die Aufforderung dazu nicht gehört hatte.
Von den feinen Ohren des Erstgeborenen jedoch, hatte das dicke, massive Holz
den Klang der Stimme nicht abhalten können.
Gil-galad war allein und blickte forschend von
seinem Buch auf. Hamfast nahm fein artig seinen Hut ab und Taurfaron machte eine
galante, aber etwas verlegene Verbeugung. Beide blieben am Eingang stehen und
wußten nicht recht wo und wie sie damit beginnen sollten, ihr Anliegen
vorzutragen.
Mit stillem Bedauern legte der Hohe König sein Buch
beiseite und winkte den beiden näherzutreten. „Bitte, kommt herein und setzt
Euch. Gibt es etwas, das ich für Euch tun kann?“ fragte er, nachdem die beiden
seiner Einladung nachgekommen waren.
„Nun, ja...“, druckste Hamfast herum und sah sein
Gegenüber hilfesuchend an, doch der Elb machte keine Anstalten, ihm unter die
Arme zu greifen. Dies hier war schließlich seine Idee gewesen, und jetzt sollte
er selbst zusehen, wie er damit zurechtkam. Taurfaron lächelte ihm nur
freundlich zu und machte eine auffordernde Geste.
Der kleine Mann drehte seinen Hut ein paar Mal in
den Händen, als ob er nun hier seine Unterstützung finden könnte. „Ähm, also,
also ich weiß nicht recht, wo ich beginnen soll...“
Gil-galad lächelte gütig. „Sagt mir einfach, was
Euch bedrückt, Herr Hamfast“, versuchte er dem Kleinen Mut zu machen.
„Nun, der Liebesschmerz meines Freundes bedrückt
mich“, platzte dieser nun heraus.
Taurfaron blickte mit einem innerlichen Stöhnen zur
Decke.
„Euer Liebesschmerz?“
Er blickte den Hohen König erschrocken an. „N-nein.
Galadhions.“ Er warf dem Hobbit einen bösen Blick zu. Wie konnte man nur
dermaßen unsensibel sein?
Dieser hatte nun endlich den ihm so nötigen Anfang
gefunden und plapperte munter drauf los. „Es ist nämlich so, Herr Gil-galad,
daß der Herr Galadhion sich unsterblich...“ Er stockte und kratzte sich hinterm
Ohr. ‚unsterblich’ war vielleicht nicht der rechte Ausdruck, wenn es sich um
einen Elben handelte, der ohnehin unsterblich war. Aber egal. „Also er hat sein
Herz an die Frau Tindómerel verschenkt und die Dame will nun einfach nicht mit
ihm reden. Jeden Tag hat er es versucht, aber sie schickt ihn immer wieder
fort.“
Der Hohe König nickte verstehend. Ihm war es
bereits aufgefallen, daß der junge Elb sich ständig beim Essen entschuldigen
ließ, den ganzen Tag verschwunden und dann regelmäßig sehr wortkarg war, wenn
er wieder auftauchte. „Was habe ich damit zu tun?“
„Naja, wir dachten. Wenn es Euch vielleicht nichts
ausmachen würde für ein paar Tage noch einen Gast aufzunehmen... Eine Einladung
von Euch könnte sie nicht ablehnen, und wenn sie erst einmal hier ist, kann sie
ihm doch nicht immer davonlaufen. Und für Euch würde es kaum mehr Arbeit
bedeuten, wenn Ihr statt drei Gästen vier hättet.“ Hamfast schwieg und sah den
König erwartungsvoll an.
Es war nicht etwa seine Idee gewesen, ihre
Anwesenheit auf ungewisse Zeit auszudehnen. Gil-galad selbst hatte ihn gebeten
noch länger zu bleiben für den Fall, daß er ihn noch etwas fragen wollte. Und
der kleine Mann hatte recht. Es würde für ihn wirklich keine Belastung bedeuten,
erwartete man von ihm in der Regel doch nur, seinen Gästen bei den Mahlzeiten
Gesellschaft zu leisten. Auf jeden Fall war dies bei weitem angenehmer, als
wenn der Kleine ihn gebeten hätte, zwischen den beiden zu vermitteln. Er ließ
ein zustimmendes „Hm!“ hören und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
„Tindómerel?“ fragte er nach einiger Zeit und
schüttelte verständnislos den Kopf. „Konnte er sich keine andere Dame
aussuchen...?“
~*~
Kurz nachdem die beiden Bittsteller gegangen waren,
trat Elrond ein. Gil-galad blickte ihn fragend an. „Nun? Hast du etwas
gefunden?“
Mit einem dumpfen Aufschlag ließ der junge Elb
einen Stapel Bücher, die er unter seinen Arm geklemmt hatte, auf den Tisch in
der Mitte des Raumes fallen, wobei sich eine ziemlich dicke Staubschicht von
ihnen löste, welche Elrond einen Moment wie in einen Nebel hüllte. Er hustete
und verscheuchte mit der Hand den Staub vor Mund und Nase. „Wie man es nimmt.“
Er hustete wieder. „Aber möglicherweise könnten wir da drin einen Anhaltspunkt
finden.“
Der Hohe König trat näher und ließ seinen Blick
über die Aufschriften auf den Rücken der Bücher schweifen, dann ergriff er das
Oberste und begann darin zu blättern. Die Schrift war verblaßt, aber trotzdem
noch gut leserlich, die Seiten alt und vergilbt. Sie knisterten ein wenig
brüchig, als er sie durch die Finger gleiten ließ.
„Du weißt, daß Taurfaron mit seinem Einwand nicht
ganz unrecht hatte? Auch uns war dies bereits aufgefallen.“ Elrond betrachtete
seinen Fürsten nachdenklich.
Eine Seite des aufgeschlagenen Werkes schien
Gil-galad zu fesseln. Er reagierte zunächst nicht auf die Worte seines
Beraters. Er begab sich zu seinem Sessel, ließ sich dort nieder, das Buch in
der Hand und vertiefte sich hinein.
„Nun, ich denke, daß wir im Moment wahrhaftig
andere Sorgen haben“, erwiderte er nach einer Weile sinnend, ohne aufzublicken.
„Den Vorgängen im Grünwald muß jetzt unsere ganze Aufmerksamkeit gelten.“
Elrond öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch
dann ergriff er ebenfalls eines der mitgebrachten Bücher und beugte sich
grübelnd über seine Lektüre. Seine Gedanken schweiften ab und ein Verdacht
festigte sich in ihm, den er nicht auszusprechen wagte.
Bis spät in die Nacht hinein saßen die beiden Elben
über den alten Aufzeichnungen. Elrond war zuletzt auf ein paar sehr
interessante Hinweise gestoßen, denen er nachzugehen gedachte.
~*~
Anmutig ließ sie sich auf dem Stuhl nieder, mit dem
man die Ausstattung der Gartenlaube an diesem Vormittag ergänzt hatte. Die
dargebotene Tasse Tee nahm sie mit einem stolzen, kaum merklichen Heben des
Kinns entgegen, das Gebäck lehnte sie mit einer leichten Bewegung ihrer Finger
ab. Zurückhaltend aber höflich beantwortete sie die an sie gerichteten Fragen
Gil-galads und beteiligte sich ansonsten nicht an der Unterhaltung.
Sie hatte den Hohen König mit einem Lächeln und
einem förmlichen Knicks begrüßt, Elrond eines lieblichen Kopfnickens und die
anderen Gäste keines Blickes gewürdigt.
Hamfast musterte sie jetzt dafür um so aufmerksamer.
Kritisch legte der Kleine den Kopf schief, während er sie ohne Hemmungen
eingehend betrachtete. Selbst Taurfarons leises, tadelndes Räuspern konnte ihn
nicht davon abhalten.
Begeistert hielt er den Atem an. Tindómerel war
wirklich eine sehr schöne Frau. Ihre tiefblauen Augen strahlten trotz ihrer
augenblicklichen Reserviertheit eine angenehme Wärme aus und die feinen,
samtig-weichen Linien ihres Gesichtes und die edlen Konturen ihres Mundes waren
nicht so verächtlich oder wütend verzogen, wie der Hobbit erwartet hatte. Ein
vornehmer Ernst lag auf ihren Zügen und die rosigen Lippen waren sogar zu einem
leichten, wenn auch etwas kühlen Lächeln, geschwungen.
In ihr seidig glänzendes schwarzes Haar, das voll
und lang über ihren Rücken fiel, hatte sie einige dünne Zöpfe geflochten.
Kleine Diamanten waren in die Strähnen verwoben und glitzerten wie tausend
Sterne, wenn sich das Sonnenlicht in ihnen brach. Ihr hellgrünes Kleid war von
allerfeinster Seide, mit Silberfäden reich und dennoch dezent bestickt, und an
den Nähten ebenfalls mit winzigen Diamanten besetzt.
Fasziniert hingen die Augen des Halblings noch
immer an ihr, als Taurfaron ihn, nachdem alle unauffälligeren Methoden versagt
hatten, kräftig in die Rippen stieß. Klirrend fiel Hamfasts Löffel, den er
wippend zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten hatte, auf seinen Teller.
Taurfaron hustete verlegen. Elrond zog eine Augenbraue hoch. Gil-galad übersah
den Vorfall diskret. Tindómerel beachtete den Knirps scheinbar ohnehin nicht.
Galadhion leitete das Gespräch geschickt auf ein anderes Thema und lenkte so
elegant von dem peinlichen Vorfall ab.
Nicht nur seine beiden Freunde waren über
Galadhions Verhalten aufs Äußerste erstaunt. So, wie sich der junge Elb in den
letzten Tagen gebärdet hatte, hatten sie erwartet, daß er vor Verlegenheit und
Scham erröten und keinen Ton herausbekommen, oder liebestrunken herumstottern
oder gar vor Tindómerel auf die Knie fallen würde.
Doch er wirkte ungewöhnlich gelassen. Bei ihrem
Empfang war er nicht zugegen gewesen, sondern erst dazugekommen, als die kleine
Gesellschaft sich zum Imbiß in der Laube niederließ. Er hatte die Anwesenden
galant und ohne Scheu begrüßt und sich ungezwungen auf einen Stuhl gesetzt, der
in unaufdringlicher Entfernung zu dem der jungen Frau stand. Kein Haar an ihm
und keine seiner Bewegungen oder Worte verrieten auch nur die geringste
Verlegenheit.
Widerwillig mußte Tindómerel sich eingestehen, daß
das sichere und gewandte Auftreten ihres Verehrers und seine ganze charmante
Art ihr imponierten. Ja, sie war derart beeindruckt von ihm, daß es ihr das ein
oder andere Mal schwerfiel, ihre Unnahbarkeit zu bewahren. Hatte sie sich
zuerst innerlich darüber empört, daß er sie nicht sogleich und außerdem
ziemlich zugeknöpft begrüßt hatte, so war sie nach einiger Zeit richtiggehend
enttäuscht, daß er sie nicht so, wie sie es erwartet hatte, zu beachten schien.
Hamfast legte unauffällig seinen Löffel beiseite
und lächelte zufrieden in sich hinein. Die Dame gefiel ihm außerordentlich gut.
„Sie ist ein bißchen blaß“, sagte er später, als
sie sich auf ihr Zimmer zurückgezogen hatte, feixend zu Galadhion. „aber
ansonsten recht hübsch.“ Er zwinkerte dem Elben zu, der nun tief und gelöst
aufatmete. Seine Hand zitterte leicht, als er die Tasse auf den Tisch stellte.
Dann erhob er sich langsam. „Entschuldigt mich“, murmelte er und ging in den
großangelegten Park, um sein erregtes Gemüt zu beruhigen.