Ættryne

 

 

 

Der junge Mann zog die Brauen verständnislos zusammen. „Zum Waffenschmied? Wieso willst du, daß ich dir dahin folge?“ Er streichelte seiner braunen Stute noch einmal über den seidigen Hals, bevor er aus der Box trat und die Tür hinter sich verschloß. Fricstan war vor einigen Tagen dem Éohere beigetreten und hatte darum gebeten, in der Éored von Hauptmann Gylthain dienen zu dürfen.

 

Man hatte ihm nicht sogleich eine Entscheidung mitgeteilt und ihn vertröstet. Fricstan verstand nicht, wieso das so lange dauerte.

 

„Mach dir keine Gedanken!“ hatte Gylthain ihm nur übermütig zugezwinkert. „Ich regle das schon. Aber du mußt mir versprechen, der alten Fryda keinen Distelzweig unter den Sattel zu klemmen.“

 

Jetzt stand der junge Hauptmann im Mittelgang des Stalles. Er trug seine Kampfrüstung, kam gerade von einer Feldübung und war über und über mit Schmutz bedeckt. Den Helm hatte er unter den linken Arm geklemmt und strich sich mit der Rechten eine verklebte Haarsträhne aus dem Gesicht.

 

„Ich möchte dir etwas zeigen“, wich er der Frage des Freundes aus. „Ich möchte, daß du der erste bist, der es sieht.“

 

„Ein neues Schwert?“ zweifelte Fricstan. Er konnte sich nicht vorstellen, daß Gylthain um einer geringeren Waffe willen solch ein Aufhebens machen würde. Doch er wußte auch, wie viel ihm Ættryne bedeutete.

 

„In gewisser Weise.“ Gylthain klang geheimnisvoll und wiegte den Kopf sachte, Fricstans Vermutung weder bestätigend noch verwerfend.

 

Fricstan folgte seinem Freund kopfschüttelnd nach draußen und fragte sich, was das zu bedeuten hatte.

 

„Du weißt doch, daß ich letztes Jahr in Gondor war“, erzählte Gylthain auf dem Weg. Eine überflüssige Feststellung, das sah der junge Hauptmann ein und grummelte etwas unmutig über die ungeschickte Wortwahl in den kurzen Bart.

 

„Hast du einmal ein gondorianisches Schwert gesehen?“ fragte er dann. „Nein? Nun, sie haben zusätzlich zum Heft eine Querstange. Hier!“ Gylthain ballte die Faust, als hielte er ein Schwert und zeigte mit der anderen Hand, an welcher Stelle diese zu finden war. „Nennt sich Parierstange.“

 

„Aha“, erwiderte Fricstan knapp und ein wenig desinteressiert, wie Gylthain fand.

 

„Verstehst du, was ich dir zu erklären versuche?“ hakte er nach.

 

„Ja, klar doch. Zusätzliche Querstange. Ungefähr hier.“ Fricstan imitierte nächlässig die Handbewegungen seines zukünftigen Hauptmanns.

 

Gylthain schnaufte ungeduldig durch die Nase. „Überleg doch! Mit solch einer Stange schützt du nicht nur zusätzlich deine Hand, du hast auch noch zwei weitere Hiebhilfen. Du bist flexibler, ohne daß du das ganze Schwert herumreißen mußt, um deine Gegner zu erreichen!“

 

Fricstan hatte einen Apfel aus der Tasche gezogen, polierte ihn an seinem Hemd blank und biß laut schmatzend hinein. „M-hmm...“ war alles, was er auf die begeisterten Ausführungen Gylthains zu sagen hatte.

 

Dieser erhob die Arme, um sie in einer hilflosen Geste zu ringen, wobei ihm um ein Haar der Helm, den er immer noch unter dem linken geklemmt trug, herabgefallen wäre.

 

Fricstan grinste. Er kannte seinen Freund gut genug um zu wissen, wo seine Schwächen lagen.

 

„Also gut“, lenkte er ein. „Was soll dieses Gerede über gondorianische Schwerter? Willst du mir erzählen, daß du dir eines hast schmieden lassen? Das kann ich nicht glauben! Du würdes niemals Ættryne hergeben oder ihm zumuten, zukünftig als Wandgehänge deine Gemächer zu zieren!“

 

Gylthain grinste versöhnt. Seine Augen leuchteten wie immer, wenn von Ættryne die Rede war. Fricstan sah dieses Glitzern bei anderen nur, wenn sie ihre Liebste anhimmelten.

„Die Antwort ist ja und nein!“

 

Die beiden hatten jetzt die Schmiede erreicht. Gylthain öffnete das kleine Gatter, das in die Umfriedung führte, die den kleinen Hinterhof umgab. Mit einer übertrieben galanten Geste ließ er Fricstan den Vortritt.

 

Dieser blickte sich neugierig in dem Hof um. In einem luftigen Unterstand brannte das Schmiedefeuer. Ein Knabe hatte den Blasebalg getreten und war völlig verschwitzt und rußverschmiert. Jetzt ruhte die Arbeit, und er lehnte mit den verschränkten Armen lässig auf die Knie gestützt neben seinem Arbeitsgerät. Der Waffenschmied stand mit dem Rücken zu den beiden Ankömmlingen und beendete soeben sein neuestes Werk. Als er Schritte hinter sich hörte, wandte er sich zu ihnen um.

 

„Ah, Ihr seid es, Hauptmann Gylthain!“

 

„Ist es fertig?“

 

„Gewiß, gewiß. Noch einen Augenblick erbitte ich Eure Geduld.“ Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu, und sie hörten eine Eisenfeile schmiergeln. Dann drehte er sich um. Er hielt das Schwert am äußersten Knauf und am unteren Ende der Schneide waagerecht seinem Besuch entgegen.

 

„Ættryne?“ platzte es aus Fricstan heraus.

 

„Ja, Ættryne!“ nickte Gylthain stolz. Er trat vor und ergriff das Schwert an der Schneide, kurz unterhalb des Griffs. Dann hielt er es mit diesem nach oben, um ihn besser betrachten zu können. Er bestätigte den ängstlich fragenden Blick des Schmiedes mit einem zufriedenen Grinsen, bevor er sich zu Fricstan umdrehte.

 

Der glaubte noch immer, seinen Augen nicht trauen zu können. Das war Ættryne und doch nicht Ættryne! Dieser Wahnsinnige hatte tatsächlich eine Parierstange an dem Schwert anbringen lassen! Und was bitte waren das für fiese scharfe Spitzen an allen drei Enden des Griffes?!

 

Gylthain stand hochaufgerichtet. Das Schwert stolz in der Hand, und seine Augen funkelten vor Begeistung. Beinahe liebevoll fuhr er mit dem Finger über einen dieser scharfen Kegel.

 

„Von nun an wird sich niemand mehr von einem Schlag mit dir erholen!“ raunte er wie zu sich selbst, wohlwissend, daß sein Freund den Zusammenhang nicht begreifen würde. „Niemand! Um sich von hinten heranzuschleichen!“

 

 

ENDE

 

 

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© März 2018