Ættryne

 

 

 

„Wie viele sind es?“ Delwyn fragte mit der Sachlichkeit eines erfahrenen Kämpfers im Tonfall ihrer Stimme, und der Angst einer Mutter im Blick.

 

Zu viele! war Gylmer versucht zu antworten, doch er biß sich auf die Zunge. „Etwa Dreißig“, log er, um ihre Lage nicht noch aussichtsloser wirken zu lassen als sie war.

 

Gylthain stand auf dem Platz, den der Vater ihm gewiesen hatte, sein Schwert in der Hand, und versuchte, möglichst furchtlos dreinzublicken. Er hatte die Stirn in Falten gelegt - zumindest hatte er es versucht - die Brauen zusammengezogen und die Lippen geschürzt. Dies war sein erster Kampf. Und er wollte tapfer sein.

 

Sein älterer Bruder hatte bereits gegen Orks gekämpft. Er diente seit einigen Monaten in der Éored ihres Vaters. Aus seinen Erzählungen hatte Gylthain eine ungefähre Vorstellung davon, wie diese Kobolde aussahen und was da auf sie zukam.

 

Der Angriff ließ nicht lange auf sich warten. Wie ein Schwarm schwarzer Ameisen strömten sie über die Ebene.

 

„Dreißig? Das sind mindestens Fünfzig!“ hörte Gylthain seine Mutter dem Vater zuraunen. Leise, und offenbar nicht für seine Ohren bestimmt. Er faßte das Schwert fester, vergaß grimmig dreinzublicken, war deshalb aber nicht weniger entschlossen.

 

„Wenigstens haben sie keine Pfeile.“ Ein leiser Hoffnungsschimmer schwang in Gylmers Stimme. „Kämpft gut und achtet auf eure Deckung!“

 

In schnell aufeinander folgenden Abständen schoß er fünf wohlgezielte Pfeile ab, bevor die Orkrotte heran war.

 

Dann zerschnitt ein klares, metallisches Geräusch hell die Luft, als Gylmer sein Schwert aus der Scheide zog. „Scier grimme!“ übertönte sein Kampfruf den heranrollenden Lärm, und im nächsten Moment waren die Feinde über ihnen.

 

Einen Moment später lagen drei der Angreifer tot zu Gylmers Füßen, der vierte bekam den Schild in die Seite und flog hart gegen den nächsten Felsen, und dem fünften trennte ein waagerecht geführter Streich eben dieses Schildes beinahe den Kopf ab, als der mit einem stählernen Reifen umspannte Rand ihm den Hals durchschnitt.

 

Delwyn führte ein etwas zierlicheres Schwert in ihrer Rechten und einen gebogenen Dolch in der Linken. Gerade wehrte sie mit beiden Waffen über Kreuz einen Schwerthieb ab, versetzte dem Ork einen Tritt in die Magengrube und tötete, ihre Arme zu beiden Seiten ausholend, gleich zwei Gegner auf einmal.

 

Lambold schlug sich nicht weniger tapfer als sein Hauptmann. Schon recht bald mußte er seinen Platz wechseln, weil er wegen der sich um ihn auftürmenden Orkleichen an Bewegungsfreiheit verlor.

 

Auch Gylford wehrte den ersten Ansturm mit Leichtigkeit ab und fand außerdem noch die Zeit, auf seinen kleinen Bruder zu achten.

 

Doch wie es schien hatte dieser kaum Hilfe nötig. Zwar hatte Gylthains Schwert eine geringere Reichweite, als die der Erwachsenen, doch das glich er durch seine Behendigkeit aus. Er war kleiner, etwa genauso groß wie die Orks, und tauchte flink unter ihren Armen weg, um sie von der Seite oder im Rücken zu attackieren. So glich er ihre Überzahl geschickt aus und wehrte sich erfolgreich gegen drei Gegner auf einmal.

 

Die beiden Knappen waren leider weniger glücklich. Schon nach dem ersten Ansturm waren sie verwundet zu Boden gegangen und waren den anderen keine weitere Hilfe mehr.

 

Nach diesen kurzen, hoffnungsvollen ersten Kampfminuten, wendete sich das Blatt zu Ungunsten Gylmers und seiner Familie. Zu viele Orks stürzten sich auf einmal auf Delwyn und brachten sie in arge Bedrängnis.

 

Gylmer schrie in Angst um seine Gemahlin auf. Es gelang ihm jedoch nicht, ihr zur Hilfe zu eilen. Zu groß war die Übermacht, die auch ihm entgegentrat.

 

Dann ging Lambold mit einem Schmerzensschrei zu Boden, und Gylford gelang es nur mit arger Not, seine Angreifer von sich abzuhalten.

 

Gylthain war es gelungen, einem der drei Orks, die ihn zuerst attackiert hatten, sein Schwert in die Eingeweide zu treiben, doch standen plötzlich zwei neue vor ihm, als wären sie aus dem Boden gewachsen. Somit mußte er sich nun gegen vier dieser scheußlichen Kreaturen behaupten, denen es außerdem gelungen war, ihn mit dem Rücken gegen eine Felswand zu drängen.

 

In dieser Situation hörte Gylthain seinen Vater angstvoll aufschreien und sah die Not der Eltern. Der Knabe heulte vor Wut und Frustration, als es ihm nicht gelingen wollte, sich seiner Gegner zu entledigen und seine Lieben zu unterstützen. Seine im Entsetzen geweiteten Augen glitten immer wieder hinüber zu ihnen, doch Blicke waren alles, womit er sie erreichen konnte.

 

Gylthain sah, wie sein Vater sich Luft zu verschaffen suchte. Er schlug um sich wie ein Recke aus den alten Geschichten. Doch egal wie viele Gegner er auch niederschlug, immer wieder sah er sich neuen Feinden gegenüber. Jetzt rammte er einem hinter ihm stehenden Ork den harten Knauf seines Schwertes mit solcher Wucht in die Rippen, daß der Knabe glaubte, dessen Knochen brechen zu hören.

 

Dann ging Delwyn plötzlich zu Boden. Gylthain kreischte. Noch verzweifelter versuchte er, seine Gegner loszuwerden. Gylford war eben dies gerade gelungen, und er sprang mit langen Sätzen in Richtung der Mutter.

 

Gylmer hatte sich endlich freigekämpft und wollte ebenfalls zu seiner Gemahlin, da erhob sich der wehrlos geglaubte Feind in seinem Rücken und stieß sein Scimitar von hinten in die Brust des Mannes, daß es vorne wieder hervorragte. Schwarz. Blutig. Gylmer stand wie ein Baum, der, obwohl bereits gefällt, noch einen Moment steht, bevor er langsam schwankt und schließlich auf den Boden schlägt.

 

Gylthains Atem stockte. Es war ihm, als würde die Zeit stehenbleiben und die Welt um ihn herum sich drehen. Die Kampfgeräusche drangen nicht mehr an seine Ohren und alles verschwamm ihm vor den Augen. Kaum noch bekam er mit, wie eine Orkaxt den Schädel seines Bruders spaltete.

 

Das letzte was er sah war, wie diese Bestien auf den Wagen kletterten und seine kleinen Geschwister herauszerrten. Dann wurde ihm schwarz vor den Augen.

 

 

~*~

 

 

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