Ættryne

 

 

 

Gylthain lag flach auf dem Bauch zwischen einem dornigen Gestrüpp und beobachte das Treiben im Orklager. Er hatte zwei weitere Tage gebraucht, um die Spur zu finden und die kleine Gruppe einzuholen. Kurz bevor die Abenddämmerung eingebrochen war, hatte er sie entdeckt. Der Lärm, den die Orks verursachten, hatte ihn rechtzeitig auf ihre Anwesenheit aufmerksam gemacht. Dann, im Schutz der Dunkelheit, war er herangekrochen.

 

Sie lagerten um ein kleines, aus dörren Zweigen genährtes Feuer und brieten irgendwelche Fleischstücke darüber, von denen der Knabe lieber nicht wissen wollte, um welches Getier es sich dabei handelte. Sein Magen knurrte. Bei den beiden Zurückgebliebenen hatte er nur einen Beutel mit trübem Wasser und etwas steinhartes Brot gefunden. Beides war kaum genießbar gewesen, doch es hatte ihm die Kraft gegeben, durchzuhalten.

 

Die Orks hatten keine Wachen aufgestellt. Sie fühlten sich sicher. Hatten keine Ahnung, daß jemand sie verfolgte, um sie für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen.

 

Gylthain spannte den Griff um seine plumpe Waffe. Den Blick auf das Treiben im Lager gerichtet, wartete er auf eine günstige Gelegenheit. Als einer der Orks aufstand, um aus dem Feuerschein in die Büsche zu treten, erhob er sich leise wie eine Katze und huschte in die Richtung, die er eingeschlagen hatte. Seine Augen hatten sich ausreichend an die Dunkelheit gewöhnt, und es gelang ihm, sich unbemerkt an den anderen heranzuschleichen. Er zögerte nicht eine Sekunde, bevor er ihm die schartige Klinge über den Hals zog. Ohne einen Laut auszustoßen, sank der tote Körper zu Boden.

 

„Noch Vierzehn“, dachte der Knabe, den Leichnam keines Blickes würdigend.

 

Dann wartete er. Wartete darauf, daß einer der anderen den Fortgegangenen vermissen würde. Die Minuten zogen sich schleppend dahin. Endlich drang fragendes Gegrunze an sein Ohr. Er machte sich bereit. Dann hörte er schlurfende Schritte. Gegen den Schein des Feuers sah er eine der Kreaturen auf sich zukommen. Sie rief etwas. Vermutlich den Namen des Gesuchten. Bevor der Ork ihn fand, stieß Gylthain ihm die Klinge aus seiner hockenden Position von unten ins Herz. Auch er konnte nicht mehr schreien, doch der Knabe hatte einige Mühe, sich unter dem Leichnam hervorzuarbeiten.

 

„Noch Dreizehn“, zählte er weiter.

 

Diesmal dauerte es nicht so lange, bis die übrigens Orks Verdacht schöpften. Und diesmal bekam er es mit dreien auf einmal zu tun. Doch noch immer rechneten sie nicht mit einem Gegner. Durch diesen Vorteil, und weil sie ihn in der Dunkelheit nicht sehen konnten, während ihre Gestalten sich gegen den Flammenschein abzeichneten, war es Gylthain möglich, auch diese drei mit schnellen Streichen zu erlegen. Doch diesmal verlief sein Angriff nicht so lautlos, denn er hatte keine Zeit, seine Hiebe so sorgsam zu wählen.

 

Da es zu lange gedauert hätte, das Schwert erst wieder aus einem toten Körper zu ziehen, zog Gylthain es vor, es dem ersten der Ankömmlinge quer über die Brust zu ziehen. Er stieß einen Todesschrei aus, bevor er zu Boden ging. Der zweite bekam einen Streich quer über das Gesicht - Gylthain hatte in der Eile nicht richtig zielen können, und so wurde er zwar schwer verwundet, aber nicht tödlich. Gylthain rollte sich schnell zur Seite und zog dem dritten das Scimitar von hinten über beide Kniekehlen. Der Ork heulte wie ein Hund, als er zu Boden sackte. Gylthain sprang auf und triebe ihm die Stichwaffe von hinten in die Brust. Dann holte er zum Tritt aus und zerquetschte mit der harten Sohle seines Lederstiefels dem zweiten, sich am Boden windenden Ork, den Kehlkopf.

 

Jetzt waren die übrigen Orks am Lagerfeuer auf den Beinen und stürmten auf das Gebüsch zu. Gylthain reagierte ohne zu zögern. Gegen diese Übermacht hatte er nicht die geringste Chance. Aber er kannte das Gelände inzwischen gut genug. Hakenschlagend floh er von dem Platz und auf die andere Seite des Lagers, wo er sich hinter einem Felsbrocken verbarg.

 

Die Orks heulten und schrien, als sie zwar ihre toten Kameraden, aber nicht den Urheber des Gemetzels fanden.

 

„Noch Zehn.“

 

Gylthain zwang sich zur Ruhe. Er mußte jetzt die Nerven bewahren und auf eine neue Gelegenheit warten.

 

Diese kam, als die Orks schimpfend und diskutierend zurück zum Lager trampelten. Gylthain zählte. Acht. Zwei waren noch irgendwo außerhalb des Feuerscheins. Angestrengt lauschte er in die Nacht. Da! Es war ihm, als ob Schritte sich näherten. Noch tiefer duckte er sich auf den Boden. Versuchte, gegen den sternenklaren Himmel etwas zu erkennen.

 

Die Schritte kamen näher, und zwei unförmige Köpfe schoben sich in sein Blickfeld. Gylthain lag regungslos. Jetzt waren sie nahe genug heran. Wie von der Sehne geschossen sprang der Knabe vor ihnen in die Höhe und machte ihrem Leben ein schnelles Ende.

 

Jetzt war der Tumult im Lager unbeschreiblich. Gylthain fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht, das Blut fortwischend, das nicht das seine war. Er faßte das Scimitar mit beiden Händen und verweilte an seinem Platz.

 

„Noch Acht!“ knurrte der Knabe grimmig. Er wollte nicht mehr fliehen.

 

Statt dessen rannte er mit wütenden Schreien auf die ihm entgegenkommenden Feinde los. Die Orks stoppten in ihrem Lauf. Erschrocken, weil sie dachten, sie würden von mehreren Gegnern angegriffen. Einige wendeten sich sogar zur Flucht.

 

Sie standen nicht dicht beieinander. Ein Umstand, der Gylthain zu Nutzen kam. Im Vorbeirennen zog er dem ihm am nächsten Stehenden die Schneide von unten schräg nach oben geführt über die Brust. Da der Ork keinen Panzer sondern nur dünne Stoffetzen trug, grub sie sich tief in sein Fleisch. Dem nächsten zog Gylthain die noch erhobene Waffen in gleicher Weise von oben nach unten über den Leib. Der dritte hatte sich bereits umgewendet, um das Weite zu suchen. Er bekam die Klinge im Rücken zu spüren.

 

Noch Fünf. Gylthain keuchte vor Anstrengung, als er das Scimitar in beiden Händen gerade vor sich ausgestreckt dem nächsten Flüchtling in den hinteren Unterleib rammte. Ein Fußtritt befreite die Klinge, und Gylthain erkannte, daß die verbliebenen Orks es ihm nicht so leicht machen würden.

 

Sie hatten sich zusammengerottet und erwarteten ihn am Feuer.

 

Gylthain blieb stehen und fokussierte sie furchtlos, während er versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Einer der Vier hielt das Schwert seines Vaters in seinen schmutzigen Klauen. Gylthain fletschte die Zähne und schnaufte wie ein wilder Stier - oder zumindest wie jemand, der einmal einer werden wollte.

 

Es schien der Anführer der Gruppe zu sein. Er gab in der häßlichen Sprache dieser Biester den anderen einige Anweisungen, woraufhin diese sich Gylthain von drei Seiten näherten. Er selbst blieb am Feuer stehen.

 

Gylthain dachte schnell. Noch hatte er Zeit zu fliehen. Er war flink. Viel flinker als diese unförmigen Biester. Aber er stand still. Er würde die Sache zuende bringen. Jetzt und hier.

 

 

~*~

 

 

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